Assessment Center können eine sehr wirksame Methode der Personalauswahl sein, sofern sie methodisch professionell entwickelt und durchgeführt werden. Genau hiermit haben aber viele Arbeitgeber nach wie vor ein Problem.
Assessment Center (AC) gehören zu den simulationsorientierten Verfahren der Personalauswahl (Schuler, 2014). In Form von Rollenspielen, Vorträgen oder ähnlichen Verhaltensübungen simulieren sie erfolgsrelevante Situationen aus dem Berufsalltag der vakanten Stelle und ermöglichen so eine direkte Beobachtung des Verhaltens von Bewerberinnen und Bewerbern in arbeitsplatzrelevanten Szenarien. In diesem Sinne ähneln Assessment Center klassischen Arbeitsproben, mit einem wichtigen Unterschied: Sie untersuchen nicht nur eine berufliche Tätigkeit, sondern mehrere Arbeitssituationen und ermöglichen so insbesondere bei Arbeitsplätzen, die vielfältige Anforderungen stellen, eine breite Einschätzung der Stärken und Schwächen.
Dabei erweist es sich durchaus als sinnvoll, neben Verhaltensübungen auch andere diagnostische Methoden, wie etwa Leistungstests oder hochstrukturierte Interviews in das Verfahren zu integrieren (Becker et al., 2011; Schuler, 2014). All dies macht das AC zu einer prognostisch validen, aber auch aufwändigen Methode. Werden mehrere Bewerberinnen und Bewerber gleichzeitig eingeladen so investieren sie in der Regel einen ganzen Tag in das Auswahlverfahren. Auf der Seite der Arbeitgeber sind mehre Menschen mit der Entwicklung und Durchführen des Verfahrens beschäftigt (Kanning, 2019).
Umso wichtiger ist es für alle Beteiligten, dass ein AC wissenschaftlichen Qualitätskriterien genügt, damit sich die Investitionen auch lohnen. Vergleichbar zum Einstellungsinterview (Sackett et al., 2021) variieren auch im AC die einzelnen Verfahren sehr stark in ihrer prognostischen Validität, also in der Möglichkeit, zukünftige berufliche Leistung vorherzusagen. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür liefert die Studie von Boltz et al., (2011). Sie konnte zeigen, dass die prognostische Validität unterschiedlich aufgebauter Assessment Center, die in einem Unternehmen für dieselbe Führungsposition entwickelt wurden, ganz erheblich variierte. Die Bandbreite der prognostischen Validität bewegte sich zwischen 0,06 und 0,5. Im ersten Falle war das Ergebnis des Auswahlverfahren also so nützlich wie der Wurf einer Münze, im letzten Fall erwies sich das AC als durchaus sinnvoll, auch wenn hier nicht alle Potenziale ausgeschöpft wurden.
Zu den wichtigsten Qualitätsmerkmalen des Assessment Centers gehören die folgenden Punkte (vgl. Kanning, 2019; Schuler, 2014):
- Die Entwicklung des Verfahrens baut auf einer differenzierten Anforderungsanalyse auf. Dabei werden mehreren Personen befragt, die aus unterschiedlichen Perspektiven auf den vakanten Arbeitsplatz schauen (Führungsebene, Kollegen/innen, Kunden/innen, geführte Personen.
- Jede auf diesem Wege ermittelte Kompetenzdimension, die für den Arbeitsplatz wichtig ist, wird mehrfach in voreinander unabhängigen Übungen (z. B. Rollenspiele, Gruppendiskussionen, Vorträge) untersucht.
- Innerhalb jeder Übung werden maximal drei Kompetenzdimensionen eingeschätzt, sodass eine differenzierte Beurteilung möglich ist, ohne die Beobachterinnen und Beobachter zu überlasten.
- Dabei wird innerhalb jeder Übung verbindlich definiert, für welches Verhalten wie viele Punkte auf einer mehrstufigen Bewertungsskala zur Einschätzung der jeweiligen Kompetenzdimension vergeben werden.
- Die Übungen werden standardisiert durchgeführt, so dass eine hohe Vergleichbarkeit der Übungen zwischen den Bewerberinnen und Bewerbern gewährleistet ist. So werden beispielsweise in Gruppendiskussionen Rollenspielerinnen bzw. Rollenspieler eigesetzt.
- Die Beobachterinnen und Beobachter, die die Bewertung vornehmen, werden für diese Aufgabe geschult.
- Die Beobachterinnen und Beobachter haben möglichst keine Vorinformationen über die Bewerberinnen und Bewerber, um Erwartungseffekte zu vermeiden.
- Die Beobachterinnen und Beobachter tauschen sich im Laufe des AC-Tages nicht über ihre Einschätzungen aus. So verhindern sie Beeinflussungseffekte.
- Die Beobachterinnen und Beobachter haben in den Pausen keinen persönlichen Kontakt zu den Bewerberinnen und Bewerbern, damit die Bewertung der Kompetenzen allein auf den verhaltensrelevanten Übungen basiert.
- Das Ergebnis wird mathematisch ermittelt. Dazu wird über allen einzelnen Einschätzungen einer Kompetenzdimension ein Mittelwert berechnet.
- Die abschließende Entscheidung, ob eine bestimmte Person für die Stelle geeignet ist oder nicht, erfolgt über einen Vergleich der berechneten Werte (Leistungsprofil einer Person) mit den aufgrund der Anforderungsanalyse definierten Mindestanforderungen (Anforderungsprofil der Stelle).
- Den Bewerberinnen und Bewerber werden die Ergebnisse in einem Feedback erläutert.
Soweit die Forschung. Inwieweit werden derartige Qualitätskriterien aber in der Praxis berücksichtigt? Genau dieser Frage geht unsere Studie nach.
Studie zur Praxis
Die Studie wurde in Form einer Online-Befragung durchgeführt. Über soziale Netzwerke wurden Personen angesprochen, die Assessment Center durchführen, bzw. an der Entwicklung und Durchführung entsprechender Verfahren beteiligt waren. Die Stichprobe umfasst 57 Personen. 59 Prozent waren weiblich und 41 Prozent männlich. Das Durchschnittsalter lag bei 35 Jahren. Die Unternehmensgröße bewegt sich zwischen 10 und 415.000 Beschäftigten (Median = 6.800 Beschäftigte). Der Fragebogen orientierte sich weitestgehend an der Studie von Kanning et al. (2007). Abgefragt wurden zahlreiche Informationen zu den vor Ort durchgeführten Assessment Centern. Dabei ging es sowohl um die Entwicklung der Verfahren (Anforderungsanalyse, Schulung der Kommissionsmitglieder, Anzahl und Art der Übungen, konkrete Gestaltungselemente der Übungen etc.) als auch um den Abla…
Professor Uwe Peter Kanning, Diplom-Psychologe, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück.
Alina Camille Jungjohann, Bachelor of Science Wirtschaftspsychologie,
ab Oktober Werkstudentin bei RWE Offshore Wind