Ausländische Fachkräfte: Anpassungen in der Eignungsdiagnostik erforderlich

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Die Einwanderung von Fachkräften und die Integration von Migranten erfordern Anpassungen der psychologischen Eignungsdiagnostik. Das betrifft die Sprache, das Umfeld und die interkulturelle Kompetenz.

Deutschland steckt in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess. Aufgrund der Demographie entsteht ein Fachkräftemangel, der den Wohlstand gefährdet und der ohne die Migration von ausländischen Fachkräften nicht bewältigt werden kann. Nach Schätzungen von Ökonomen müssen wir bis 2035 sieben Millionen Fachkräfte im Ausland anwerben, wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen. Gleichzeitig sind in den vergangenen Jahren mehrere Millionen Einwanderer nach Deutschland gekommen, meistens als Schutzsuchende. Wie kann es gelingen, qualifizierte Fachkräfte im Ausland zu gewinnen und die Migranten in den Arbeitsmarkt sowie die Gesellschaft zu integrieren? Und vor allem: Was muss die Eignungsdiagnostik (anders) machen, damit beides erfolgreich ist? Die aktuellen eignungsdiagnostischen Methoden stoßen bei dieser Thematik an Grenzen, so dass ein Umdenken erforderlich ist.

Die psychologische Eignungsdiagnostik hat Methoden entwickelt, mit denen sich Schulerfolg, Ausbildungserfolg, Studienerfolg und Berufserfolg vorhersagen lassen. Dazu gehören allgemeine und spezifische Leistungstests, Persönlichkeitstests, Kenntnistests, Interessentests, Situational Judgement Tests, Arbeitsproben, Assessment Center und Interviewverfahren. Diese Verfahren können zur Beratung verwendet werden, zur Auswahl von Auszubildenden, Studierenden, Mitarbeitern oder Führungskräften, sowie im Rahmen der Personalentwicklung. Das alles wird seit Jahrzehnten gemacht, evaluiert und weiterentwickelt, und es funktioniert ziemlich gut – bis jetzt.

Bei den Herausforderungen, denen wir in Deutschland im Zusammenhang mit Fachkräfteeinwanderung und Integration begegnen, stößt diese Eignungsdiagnostik an Grenzen. Es gibt vor allem drei Probleme:

Sprache und Kultur schränken die Aussagekraft ein: Die Methoden wurden für Muttersprachler aus dem westlichen Kulturkreis entwickelt. Doch wenn die Sprachkenntnisse noch auf einem niedrigen Niveau sind, kann ein Teilnehmender die Instruktionen kaum verstehen und die Testaufgaben schon rein sprachlich nicht erfassen – er kann also ihr Potenzial überhaupt nicht zeigen. Bei Persönlichkeitstests kommt neben der Sprache noch der kulturelle Hintergrund hinzu: Das Antwortverhalten ist in einer anderen Kultur möglicherweise völlig anders, und auch korrekt übersetzte Items funktionieren dann nicht mehr so wie bei deutschen oder europäischen Teilnehmenden.

Umfeld-Diagnostik wird zu wenig berücksichtigt: Die eignungsdiagnostischen Methoden zielen in erster Linie auf Merkmale ab, die in der Person liegen. Es findet kaum Diagnostik des Umfelds statt – und genau dieses ist in vielen Fällen besonders wichtig. Bei der ausländischen Fachkraft, die vor der Einreise nach Deutschland erst die deutsche Sprache lernen muss, kommt es nämlich sehr stark auf Rahmenbedingungen an, die außerhalb der Person liegen: Wenn die Fachkraft parallel zum Deutschlernen im Heimatland Vollzeit arbeiten und eine Familie ernähren muss, hat sie womöglich kaum Zeit und Energie für das Erlernen der Sprache.

Zusätzliche Kompetenzen sind relevant: Bei Fachkräftemigration und Integration sind Kompetenzen wichtig, die von den etablierten eignungsdiagnostischen Methoden nicht ausreichend erfasst werden. Dazu gehört beispielsweise die Begabung zum Erlernen einer Fremdsprache. Wenn eine Fachkraft es aufgrund mangelnder Sprachlernfähigkeit nicht schafft, den Deutschkurs im Heimatland mit einer erfolgreichen Deutschprüfung zu beenden, kann sie gar nicht nach Deutschland kommen. Eine andere Kompetenz ist die interkulturelle Kompetenz: Zu einer erfolgreichen Integration gehören nämlich nicht nur fachliche Kompetenzen und Sprachkenntnisse. Es muss auch eine Bereitschaft und die Fähigkeit geben, die Kultur zu verstehen, sie anzunehmen und sein Verhalten anzupassen. Für die interkulturelle Kompetenz gibt es kaum diagnostische Instrumente.

Drei Ansatzpunkte

Aus den drei Problemfeldern ergeben sich auch drei Ansatzpunkte für Anpassungen der psychologischen Eignungsdiagnostik:

Sprachfreie, kulturfreie Tests sowie Übertragungen in anderen Sprachen: Bei Fähigkeitstests kann man als erstes versuchen, sich auf die nonverbalen Aufgabenformate zu beschränken, beispielsweise Zahlreihen oder Matrizen bei Intelligenztests. Dies ist als erster Ansatz sicherlich hilfreich, aber verbale Aufgabenformate haben nicht umsonst ihren festen Platz in der psychologischen Eignungsdiagnostik. Somit müssen Anstrengungen unternommen werden, Testverfahren in einfacher Sprache zu erstellen und/oder in mehrere Sprachen zu übertragen und neu zu normieren. Das betrifft sowohl Leistungstests als auch Persönlichkeitsfragebogen. Teilweise kann es auch sinnvoll sein, vormals verbal präsentierte Inhalte durch Piktogramme oder Bilder zu ersetzen.

Umfeld-Diagnostik: Mit Fragebogen und Interviewverfahren können die Rahmenbedingungen für das Deutschlernen und die Integration in den Arbeitsmarkt erfasst werden. Zu den Rahmenbedingungen gehören vor allem die verfügbare Lernzeit und die Art u…

Dr. Stephan Josef Stegt, Diplom Psychologe, MBA, Leiter des Instituts für Test- und Begabungsforschung der ITB Consulting GmbH in Bonn

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