Business Schools bieten ihren Studierenden zunehmend Coaching mit unterschiedlichen Ansätzen an, doch es fehlen fachliche Standards. Fünf Leitlinien, an denen sie sich orientieren sollten.
Für viele Studierende ist ein Studium eine Phase, in der sie sich ausprobieren, sich selbst erkunden und auch Abschied nehmen von der eigenen Jugend. Auf den ersten Blick erscheint dieses psychosoziale Moratorium attraktiv und chancenreich. Die Suche nach eigenen Zielen, Werten oder dem eigenen Weg gestaltet sich oft jedoch konflikthaft. Vor dem Hintergrund vielfältiger gesellschaftlicher Krisen wird dies zur besonderen Herausforderung: Woran soll man sich orientieren, wenn die Gesellschaft selbst nach Orientierung sucht, die Arbeitswelt sich verändert und positive Zukunftsbilder fehlen? Wirtschaftshochschulen rücken die persönliche Entwicklung daher immer mehr in den Vordergrund (Schwertfeger, 2022).
Ein Blick auf die im europäischen Ranking der Financial Times vertretenen Business Schools zeigt, dass neben psychologischer Beratung und Karriereplanung zunehmend auch Coaching im engeren Sinne für Studierende angeboten wird. Im Gegensatz zu vielen anderen Lehrangeboten geht es im Coaching darum, durch Selbstreflexion und innere Arbeit die Lernenden zu unterstützen, individuelle Handlungsmöglichkeiten, Stärken und Potenziale zu erschließen und Orientierungsfragen zu klären. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Person wird ein Teil der universitären Ausbildung (Eberle & Spoun, 2012).
Als Hilfe zur Selbsthilfe zielen die Coaching-Angebote u.a. auf die Entwicklung von Einstellungen, Werthaltungen und überfachlichen Kompetenzen ab. Neben handlungsorientierten sollen vor allem sozial-kommunikative und personale Kompetenzen gefördert und das Streben nach Selbsterkenntnis und Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns gestärkt werden. Coaching scheint das Mittel der Wahl, um persönliche Anliegen in sicherer Umgebung ergebnisorientiert zu reflektieren und zu bearbeiten.
Bei aller Unterschiedlichkeit in Ansatz und Struktur stehen alle Hochschulen vor ähnlichen Herausforderungen in Bezug auf Legitimation, fachliche Standards und nicht zuletzt das darunter liegende Werte- und Menschenbild (Jones & Smith, 2021). Dabei sollten fünf Gestaltungskriterien bei der Entwicklung von Coaching-Programmen für Studierende eine Rolle spielen.
Unsere Überlegungen basieren auf einem mehrjährigen Erfahrungsaustausch und sind als Empfehlungen für den hochschulinternen und -übergreifenden Dialog gedacht.
- Leitbildorientierung
Business Schools haben unterschiedliche fachliche Angebote, aber auch unterschiedliche Leitbilder, die als Vision bzw. Mission die strategische Ausrichtung der Hochschule vorgeben. Inwiefern werden Weltoffenheit, Inklusion und Verantwortung für andere gelebt? Welche Rolle spielen gesellschaftliche Themen in den Curricula ((Khurana, 2010)?
Coaching-Programme sollten sich mit der Frage auseinandersetzen, welche Werte die Hochschule nach innen und nach außen vertritt. Sie sollten sich dazu in Beziehung setzen, ein kompatibles Werteverständnis entwickeln und dieses mit den beteiligten Coaches und Coachees reflektieren. Das kann das Bewusstsein für die Wertgebundenheit des eigenen wie des unternehmerischen Handelns stärken und die Studierenden für berufliche Herausforderungen sensibilisieren.
- Transformationsorientierung
In einer Zeit der sozial-ökologischen Transformation und zahlreicher Krisen in Wirtschaft und Gesellschaft sind zukunftsorientierte Lösungen gefragt, die politischen, sozialen und kulturellen Abhängigkeiten gerecht werden. Angehende Führungskräfte brauchen eine hohe Kompetenz, um die eigenen Handlungsmöglichkeiten in einem komplexen gesellschaftlichen Umfeld realistisch einzuschätzen.
Die im Coaching gestärkte Fähigkeit zur Selbstreflexion kann dabei unterstützen, Verantwortung für die eigene Person und für andere zu übernehmen. Auch das Zusammenspiel zwischen der Bewältigung innerer Konflikte und äußerer Anforderungen kann bewusst gemacht werden und die Erarbeitung tragfähiger Lösungen unterstützen.
Gerade das Coaching an Business Schools hat hier eine erweiterte gesellschaftliche Funktion: Die Reflexion darüber zu fördern, ob und wie jemand als künftige Führungskraft unternehmerisch zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen kann. Die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Dimension von Entscheidungen und Aktivitäten kann den Blick weiten und einen umfassenderen Zugang zur Führung befördern (Meynhardt et al., 2022). Coaching kann damit die Vorbereitung auf die soziale Rolle als Führungskraft, Manager oder Unternehmer unterstützen.
- Qualitätsorientierung
Unklar sind derzeit die Kriterien hinsichtlich der Qualität im Studierenden-Coaching an Business Schools. Sie transparent zu machen, bringt die Weiterentwicklung solcher individuellen Lernangebote für Studierende voran. Dies betrifft insbesondere überprüfbare Aussagen zu Struktur, Prozessen und eingesetzten Methoden. Hier können die in Coaching-Verbänden formulierten Anforderungen eine Anregung bieten. Es geht zudem um Zugangswege, Ablauf und Erfolgskriterien des Coachings (Greif, 2021).
Hinsichtlich der Coaches spielen Auswahlkriterien sowie Weiterbildungs- und Supervisionsangebote eine Rolle, z.B. zur Abgrenzung von Therapieangeboten oder zur verantwortungsvollen Anwendung von diagnostischen Verfahren. Die Auseinandersetzung mit solchen Kriterien hilft dabei, ein zielgruppen- sowie hochschulangemessenes Angebot zu entwickeln. Empfehlenswert ist ebenfalls der Austausch über Best-Practices zwischen den Business Schools.
- Theorie- und Forschungsorientierung
Mit jedem Coaching-Angebot ist eine pädagogische Idee verbunden. Diese sollte von theoretischen Überlegungen geleitet sein, die einer wissenschaftlichen Überprüfung offen gegenüberstehen (Yves, 2008). Im Coaching zeigt sich dies vor allem in den Annahmen über das Zusammenspiel von biologischen, psychischen und sozialen Faktoren. Welche Prämissen leiten die Ausrichtung eines Programmes, das zum Beispiel eine systemisch-konstruktivistische Perspektive zugrunde legt, eine psychodynamische Herangehensweise verfolgt oder Erkenntnisse der positiven Psychologie favorisiert?
Coaching-Programme sollten eigene Positionen des Angebotes sichtbar machen und sich am jeweiligen Forschungsstand orientieren. Insbesondere sollte nachvollziehbar sein, welche Rolle der Umgang mit Theoriepluralität spielt und welche ethische Verantwortung das Programm übernimmt.
Ein Aspekt der Professionalisierung eines Coaching-Programmes im akademischen Kontext ist zudem der Ausschluss von nicht überprüfbaren, bisher nicht wissenschaftlich überprüften bzw. erwiesenermaßen nicht geeigneten Methoden in Diagnostik und Intervention.
- Curriculumsorientierung
In der Praxis haben sich unterschiedliche Formen der Einbindung in das Studium an Business Schools etabliert. Die strukturierte Integration von Coaching-Elementen in die Lehre ist dabei anstrebenswert. Zum einen geht es hier um die Vermittlung von grundlegenden Coaching-Methoden und -Techniken im Sinne der „Führungskraft als Coach“. Zum anderen geht es um Komponenten zur Selbstreflexion bzw. gruppenbezogenen Lernprozessen. Besonders erfolgversprechend sind praxisorientierte Projekte, bei denen die Studierenden ihre Coaching-Fähigkeiten in realen Situationen anwenden und vertiefen können.
Ein weiterer Ausgangspunkt können auch Einzelcoachings mit internen bzw. externen Coaches sein. Ein solcher extracurricular angebotener Lernraum gibt Studierenden die Möglichkeit, persönliche Anliegen zu reflektieren und individuelle Lösungen zu erarbeiten. In jedem Fall ist es sinnvoll, den Studierenden genügend Zeit und Raum auch für ihre persönliche Entwicklung in der Studienzeit zur Verfügung zu stellen.
Anstoß zur Gestaltung
Die fünf hier aufgeführten Kriterien sind keinesfalls abschließend. Jedes für sich genommen enthält aber einen Gestaltungsanstoß und eröffnet Spielraum zur Gestaltung. Diesen auszufüllen erfordert eine klare Anerkennung des Coaching-Angebots durch die jeweilige Hochschulleitung und äußert sich in einer entsprechenden ideellen sowie finanziellen Unterstützung.
Erst die breite Unterstützung signalisiert den Studierenden die Bedeutung und Wertschätzung von Coaching für ihre persönliche und berufliche Entwicklung. Auf diese Weise wird die Integration von Coaching in das Hochschulangebot gestärkt und die Motivation der Studierenden zur Teilnahme erhöht.
Die Perspektiven von Coaching sind vielfältig. Daher ist es höchste Zeit zu diskutieren, wie es professionell im Sinne der Lernenden und einer zukunftsorientierten Wirtschaft und Gesellschaft gestaltet werden kann.
Weitere Literatur
Eberle, T. S., & Spoun, S. (Eds.). (2012). Durch Coaching Führungsqualitäten entwickeln: Kernkompetenzen erkennen und fördern. Zürich: Versus Verlag.
Greif, S. (2021). Was ist Coaching? Wissenschaftliche Grundlagen und praktische Methoden. E-Book im Selbstverlag, Vertrieb und Druck: tredition, Hamburg
Ives, Y. (2008). What is ‚coaching‘? An exploration of conflicting paradigms. International Journal of Evidence Based Coaching and Mentoring, 6(2), 100–113.
Jones, J., & Smith, H. A. (2022). A comparative study of formal coaching and mentoring programmes in higher education. International Journal of Mentoring and Coaching in Education, 11(2), 213-231.
Khurana, R. (2010). From higher aims to hired hands: The social transformation of American business schools and the unfulfilled promise of management as a profession. Princeton: Princeton University Press.
Meynhardt, T., Kirchgeorg, M., Pinkwart, A., Suchanek, A., & Zülch, H. (2022). Führen in der Krise: Herausforderungen an das Leipziger Führungsmodell. BoD–Books on Demand.
Schwertfeger, B. (2022). Die persönliche Entwicklung wird zum obersten Ziel, wirtschaft + weiterbildung, 5, 40-44.
Professor Dr. Timo Meynhardt, Diplom-Psychologe, Professor for Business Psychology and Leadership an der HHL- Leipzig Graduate School of Management in Leipzig
Professorin Dr. Myriam N. Bechtoldt, Diplom-Psychologin, Professor of Leadership an der EBS Business School in Oestrich-Winkel