Die Psycho-Industrie: Wie das Geschäft mit unserer Psyche funktioniert und was es so gefährlich macht

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Das Buch greift ein Phänomen auf, dass zunehmend für Ärger, Kopfschütteln und auch ernsthaften Schaden sorgt: die Psychologisierung nahezu aller Themen und die Anmaßung vieler Coaches, Speaker und Therapeuten, jedes – auch noch so banale – Problem psychologisch zu erklären und zu behandeln.

Psychologie verkauft sich eben gut und damit lässt sich ein lukratives Geschäft machen. Ob der allgegenwärtige Narzissmus, toxische Beziehungen, die Modediagnose ADHS, die Burnout-Welle oder die fast schon inflationären Depressionen – Psycho ist in. Diana Pflichthofer, selbst Fachärztin für psychosomatische Medizin, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin, ist das ein Dorn im Auge.

Dabei geht sie in ihrem Buch ausführlich und wiederholt auf die unklare Bezeichnungen und die skandalöse Lage ein. Die Bezeichnung Psychotherapeut ist geschützt. Nur Ärzte und Ärztinnen oder Psychologen und Psychologinnen mit einer drei- bis fünfjährigen Zusatzausbildung in Psychotherapie dürfen sich so bezeichnen und können auch mit den Krankenkassen abrechnen. Allerdings nur, wenn sie eine Ausbildung in einem der vier anerkannten Richtlinienverfahren ausgebildet sind. Dies sind die Psychoanalyse, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, die Verhaltenstherapie und die Systemische Therapie. Die Wartezeiten bei den approbierten Psychotherapeuten sind jedoch zermürbend  lang.

Der Begriff Psychotherapie ist dagegen nicht geschützt. Erlaubt ist also jedem mit einer Praxis für Psychotherapie, eine Psychotherapie XY, einer Psychotherapeutischen Praxis oder einer Praxis für Psychotherapie und Coaching zu werben.

Dazu kommt das Heilpraktikergesetz. Um Heilpraktiker zu werden, braucht man keine Ausbildung. Hauptschulabschluss genügt. Man muss nur einen Multiple-Choice-Test bestehen und eine mündliche Prüfung beim örtlichen Gesundheitsamt ablegen und kann sich danach zum Beispiel als Heilpraktiker für Psychotherapie bezeichnen. Therapie und Therapeut ist ebenfalls nicht geschützt. Man kann sich also – auch völlig unbedarft – Therapeut oder Therapeutin nennen und seine eigene Phantasie-Therapie anbieten.

Für den Laien und Hilfesuchenden ist das alles ein absolutes Unding, das die Autorin zurecht anprangert. Und natürlich darf sich auch jeder Coach oder Speaker nennen und größten Unsinn verbreiten. Kein Wunder, dass viele auf Scharlatane und Abzocker reinfallen.

Das Problem des Buches ist jedoch, dass die Autorin auf die Psychoanalyse – als sei sie die einzig akzeptable Therapieform – fixiert ist. Sie erklärt den eigenen Ansatz – die Psychoanalyse – zum Maß aller Dinge. Alle anderen Therapierichtungen werden mehr oder weniger abgewertet. Natürlich kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber die Erkenntnisse und Erfolge der Verhaltenstherapie lassen sich nun mal nicht wegdenken. Und ob die Psychoanalyse wirklich eine Wissenschaft ist, sei dahingestellt. Schließlich hat sie ihre Hypothesen weder operationalisiert noch mit empirischen Methoden getestet.

Besonders die Kognitive Verhaltenstherapie lehnt Pflichthofer ab. Sie würde statt einer gründlichen Anamnese auf Fragebögen setzen und die individuelle Therapie durch vorgefertigte Module ersetzen. Aber auch die Evolutionäre Psychologie und die Positive Psychologie kritisiert sie heftig. Letztere mit ihrem Glücksversprechen sicher zurecht.

Die Autorin beklagt, dass viele Versatzstücke aus der Psychoanalyse gerissen wurden und angeboten werden. Psychotherapeutische Konzepte würden verramscht, einfache und schnelle Antworten auf psychische Probleme angeboten. Entertainment gehe vor Therapie, Prominenz vor Kompetenz.

Dabei knüpft sich die Autorin vor allem drei Vertreter der Psycho-Industrie vor: den Arzt und TV-Moderator Eckart von Hirschhausen, den Psychologen und ZDF-Moderator Leon Windscheid und die Psychologin und Psychotherapeutin Stefanie Stahl.

Eckhard von Hirschhausen sei kein Facharzt für psychische Erkrankungen, würde aber in TV-Sendungen über die medikamentöse Behandlung von ADHS sprechen. Leon Winterscheid würde die dünne Evidenz vieler Studien, die er in seinen Sendungen präsentiere, verschweigen. Und Stefanie Stahl behaupte, dass das innere Kind in den ersten Lebensjahren unveränderlich geprägt würde.

Besonders auf Stahl hat sie eingeschossen und analysiert sehr detailliert, welchen Unsinn diese in ihren Bestsellern schreibt. Die Psychologin habe ein Unternehmen mit 14 Mitarbeitern aufgebaut. Sie werde regelmäßig von renommierten Medien wie Stern, Spiegel, Die ZEIT und Die Welt sowie von zahlreichen Frauenzeitschriften promotet. Und in einem Interview mit dem Stern soll sie gesagt haben, sie stehe „für die wissenschaftliche Psychologie“.

In ihrem Buch „Wer wir sind“  habe sie jedoch dreist abgeschrieben. Pflichthofer hat sogar ein Gutachten bei einem Plagiatsprüfer beauftragt, das zu dem Schluss kam, dass Stahl an mindestens 24 Stellen plagiiert habe. Als die Süddeutsche Zeitung  darüber berichtete, geschah nichts. Ihre Kolumnen und Artikel erschienen weiter, die Radiostationen sendeten weiter Interviews mit „Deutschlands Psychologin Nr. 1“.

Stahl selbst ging auf die Kritik erst gar nicht ein, argumentierte dann, so die SZ , dass ihre Leserinnen und Leser an ihren Büchern schätzten, „dass sie leicht zu lesen sind und einen spannenden Einblick in ihre Psyche geben“. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, „die mich inspirieren“, erwähne sie „ausdrücklich und explizit“, aus Gründen der Lesbarkeit, aber verzichte sie „ganz bewusst auf einen wissenschaftlichen Stil des Zitierens“. An ihrer Arbeitsweise möchte die Autorin allem Anschein nach festhalten, so die SZ: „Ich werde meine Bücher auch weiterhin und aus tiefer Überzeugung einfach, klar und für jedermann verständlich schreiben.“ Auf die eigentlichen Vorwürfe, dass sie fremde Sätze und Passagen als die eigenen ausgegeben habe, gehe sie in diesem Statement konsequent nicht ein. Das ist einfach nur dreist.

Die Autorin schildert ihre frustrierenden  Erfahrungen mit den Medien, die Kritik an Stahl nicht bringen wollen. Schließlich sind ihre Kolumnen und Aussagen beliebt. Das ist bedenklich und zeigt, wie leicht es im schlimmsten Fall selbst ausgemachte Scharlatane haben, in den Medien omnipräsent zu sein. Oft schreiben Journalisten und Redakteure völlig ahnungslos Lobeshymnen über fragwürdige Theorien oder aberwitzige Dinge wie über Facereading oder den psychogenetischen Code einer Person. Und weil es so gut ankommt (und viele Klicks produziert), übernehmen andere das dann. Auch die SZ veröffentlicht im übrigen weiter zahlreiche Artikel (meist dpa-Meldungen), in denen Stahl promotet wird.

So berechtigt die Kritik an den drei Vertretern sein mag, sie haben immerhin noch ein Studium der Psychologie oder Medizin absolviert. Im Gegensatz zu den unzähligen Coaches und Speakern, die oftmals völlig unbeleckt von psychologischem Wissen hanebüchenen Unsinn verbreiten.

Am Schluss versucht sich die Autorin mit einer Erklärung für die Misere. Es liege vielleicht auch an den Psychotherapeuten, die die Öffentlichkeit scheuen, zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind und Kritik als nicht beachtenswert abtun. Ihr Appell: „Wir Psychotherapeuten müssen uns aus unseren unterirdischen Tunnelsystemen und den Elfenbeintürmen herausbewegen.“

Diana Pflichthofer: Die Psycho-Industrie. Wie das Geschäft mit unserer Psyche funktioniert und was es so gefährlich macht. Wien: Goldegg Verlag, 2024, 286 Seiten, 25,00 Euro

Bärbel Schwertfeger Bild

Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.

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