Erholungsparadoxon: Erst mental abschalten, dann Sport treiben

Verena Saloukeh

Sport hilft, vom stressigen Arbeitsalltag abzuschalten. Aber das gedankliche Loslassen ist auch Voraussetzung dafür, um sportlich aktiv zu werden.

Viele Berufstätige kennen es nur zu gut: Nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag endlich auf dem Sofa zu landen, tut wirklich gut. Doch kaum sitzt man, beginnt das Gedankenkarussell: „Ach, ich wollte noch diese Mail schreiben… Vielleicht sollte ich das besser jetzt noch schnell erledigen. Sonst ärgert sich der Kollege, der mich heute ohnehin schon so kritisiert hat. Danach sollte ich aber vielleicht endlich mal wieder noch etwas Sport machen. Das würde vielleicht sogar helfen, mal auf andere Gedanken zu kommen. Aber danach noch aufraffen?! Schwierig…“ Nur warum klappt es nie?

Frühere Forschungsergebnisse zeigten in der Tat, dass Berufstätige nach stressigen Arbeitstagen weniger Sport treiben, obwohl sie wissen, dass es ihnen guttun würde. Ebenso ist bekannt, dass sportliche Aktivität die Erholung von der Arbeit unterstützen kann. Denn sportliche Aktivität kann das mentale Abschalten (d.h. das gedankliche Loslösen) von der Arbeit erleichtern und dadurch ungünstige Folgen von Arbeitsstress auf das Wohlbefinden reduzieren.

Allerdings zeigte sich in der Erholungsforschung ein paradoxes Phänomen: Genau an den stressigen Arbeitstagen, an denen Erholung – darunter auch mentales Abschalten – besonders wichtig wäre, fällt sie Berufstätigen oft umso schwerer, sich zu erholen. Forscherinnen der Universität Mannheim haben dieses sogenannte Erholungsparadoxon nun bezogen auf sportliche Aktivität als Erholungsmaßnahme untersucht. In einem kürzlich veröffentlichten Forschungsartikel schlugen sie vor, dass sportliche Aktivität nicht nur das mentale Abschalten von der Arbeit fördert, sondern dass das mentale Abschalten bereits eine Voraussetzung dafür ist, nach einem stressigen Tag überhaupt noch sportlich aktiv zu werden. Ihre Annahme: Erst die Arbeit gedanklich hinter sich lassen, damit überhaupt neue Energie und Motivation zum Sporttreiben aufgebracht werden kann.

Überraschende Ergebnisse

Um diese Annahme zu überprüfen, führten die Forscherinnen eine Tagebuchstudie durch. Über insgesamt 514 Tagen beantworteten 93 Berufstätige Fragen zu ihrem Arbeitsstress, ihrer Fähigkeit, nach der Arbeit mental abzuschalten, ihrer sportlichen Aktivität am Feierabend und zu ihrem Wohlbefinden am nächsten Morgen. Die Analyse dieser Daten zeigte tatsächlich, dass mentales Abschalten nach einem stressigen Arbeitstag schwerfällt und infolgedessen an diesen Tagen weniger Sport getrieben wird.

Überraschenderweise zeigte sich allerdings auch, dass Sport nicht immer das Wohlbefinden verbessert: Längerer Sport am Feierabend führte sogar zu geringerer Vitalität am nächsten Morgen. Diese Ergebnisse bedeuten jedoch nicht, dass Sport per se schlecht für das Wohlbefinden ist. Vielmehr sollte zukünftige Forschung die Bedingungen untersuchen, unter denen Sport die zuvor häufig belegten positiven Effekte auf Wohlbefinden und Gesundheit hat.

So könnte es beispielsweise eine Rolle spielen, zu welcher Tageszeit Sport getrieben wird (z.B. unmittelbar vor dem Schlafengehen, was die Schlafqualität beeinträchtigen könnte) oder wie die sportliche Aktivität wahrgenommen wird (z.B. erlebte Freude oder Anstrengung beim Sport anstelle der Dauer, wie lange Sport getrieben wird).

Erklärung des Erholungsparadoxon

Zusammenfassend erklären die Erkenntnisse der Studie das Erholungsparadoxon bezogen auf sportliche Aktivität: Obwohl es gerade an stressigen Arbeitstagen hilfreich sein könnte, sportliche Aktivität als Erholungsmaßnahme zu nutzen, wird es gerade dann weniger eingesetzt, weil es am mentalen Abschalten mangelt. Die Studie legt dabei nahe, dass mentales Abschalten nicht nur eine Folge von Sport sein kann, sondern bereits eine wesentliche Voraussetzung, um nach einem stressigen Arbeitstag überhaupt noch Sport zu treiben.

Auch wenn weitere Untersuchungen notwendig sind, um die zeitliche Abfolge dieser Prozesse besser zu verstehen, ist klar: Praktische Interventionen zur Förderung sportlicher Aktivität sollten insbesondere die gedankliche Trennung zwischen Arbeit und Freizeit unterstützen. Denn das gezielte Abschalten unmittelbar nach der Arbeit könnte der Schlüssel sein, um Motivation und Energie für sportliche Aktivität aufzubringen und so indirekt Gesundheit und Wohlbefinden zu fördern.

Kurz gesagt: Es könnte helfen, zuerst die Arbeit gedanklich zur Seite zu schieben, bevor man mit noch gestresstem Kopf versucht, sich zum Sport zu überwinden, „weil es ja so wichtig und hilfreich wäre“. Dieses Ergebnis unterstreicht einmal mehr die Bedeutung gezielter und umfassender Maßnahmen zur Gesundheitsförderung: Um Sport zu fördern, sollte auch mentales Abschalten – gerade an stressigen Tagen und unmittelbar nach Arbeitsende – gefördert werden.

Weiterführende Literatur

Koch, T. J., Nesher Shoshan, H., Völker, J., & Sonnentag, S. (2024). Psychological detachment matters right after work: Engaging in physical exercise after stressful workdays. International Journal of Stress Management. Advance online publication. https://doi.org/10.1037/str0000312

Puetz, T. W., O’Connor, P. J., & Dishman, R. K. (2006). Effects of chronic exercise on feelings of energy and fatigue: A quantitative synthesis. Psychological Bulletin, 132(6), 866–876. https://doi.org/10.1037/0033-2909.132.6.866

Sonnentag, S. (2018). The recovery paradox: Portraying the complex interplay between job stressors, lack of recovery, and poor well-being. Research in Organizational Behavior, 38, 169-185. https://doi.org/10.1016/j.riob.2018.11.002

Sonnentag, S., & Jelden, S. (2009). Job stressors and the pursuit of sport activities: A day-level perspective. Journal of Occupational Health Psychology, 14(2), 165-181. https://doi.org/10.1037/a0014953

Dr. rer. soc.Theresa J. S. Koch, M.Sc. in Wirtschaftspsychologie, Promotion in Psychologie, Senior Scientist, Institut für Klinische und Gesundheitspsychologie an der Universität Wien

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