Um KI für Coaching optimal zu nutzen, reicht es nicht mehr, sich nur auf das Prompting zu konzentrieren. Denn inzwischen lassen sich mit Hilfe von KI-Agenten hochgradig spezialisierte KI-Agenten entwickeln.
Die Frage, wie Künstliche Intelligenz im und für Coaching sinnvoll genutzt werden kann, richtet den Blick auf zwei unterschiedliche Zugänge (Geißler, 2025). Der erste besteht darin, coachingunspezifischen KI-Plattformen wie z.B. ChatGPT, Claude, Gemini, Perplexity, NotebookLM usw. für Coaching zu nutzen, also KI-Plattformen mit einer gewissermaßen enzyklopädischen Wissensbasis. Diese stützt sich auf sogenannte Large Language Modelle (LLMs) (Baum, 2024), die unter anderem auch Wissen über Coaching beinhalten. Obwohl dieses im Gegensatz zu klassischen Enzyklopädien mithilfe generativer Intelligenz kreativ genutzt wird, ist es ein Wissen über verschiedene Coachingtheorien und -methoden, aber nicht ein Wissen, das die KI von sich aus in der Interaktion mit dem User auch handlungspraktisch anwendet.
Um dieses KI-Wissen professionell zu nutzen, ist deshalb ein coachingkompetentes Prompting (Edenhausen, 2024) notwendig. D.h. die User der KI müssen in der Interaktion mit ihr eine coachingprofessionelle Gesprächsführung übernehmen und ihr Fragen stellen bzw. Bearbeitungsaufträge geben, die für die Bearbeitung und Lösung ihrer Coachingproblematik sinnvoll bzw. zielführend sind.
Eine solche professionelle Gesprächsführung kann aber auf Seiten derjenigen, die die KI als Coachees nutzen, nicht erwartet werden. Denn die meisten KI-User benutzen ChatGPT & Co. wie eine kreative Wissensdatenbank. Aus diesem Grunde ist es notwendig, dass noch eine dritte Partei hinzukommt, nämlich ein professioneller Coach. Auf diese Weise wird aus der dyadischen KI-Nutzung dann in triadisches KI-Coaching (Geißler, 2025).
Diese Erkenntnis bezüglich der Frage, wie coachingunspezifische KI-Plattformen professionell genutzt werden können, spiegelt den technischen Entwicklungsstand der KI wider, wie er im Oktober 2024 vorlag, als der Autor das Manuskript zu seinem Buch „KI-Coaching“ dem Verlag eingereicht hat. Bevor überprüft wird, wie sich der Stand bis heute, d.h. Juni 2025 weiterentwickelt hat und welche Folgen sich daraus für die professionelle Nutzung im Coaching von coachingunspezifischen KI-Plattformen ergeben, soll noch eine zweite Erkenntnis referiert werden.
Diese bezieht sich auf die Möglichkeit, coachingspezifische Bots zu bauen. Je nach Komplexitätsgrad werden diese auch als KI-Assistenten oder KI-Agenten bezeichnet. Sie können auf zweierlei Weise genutzt werden. Die erste Möglichkeit besteht darin, dass sie menschliche Coaches ersetzen, wenn sie so programmiert sind, dass sie in der Interaktion mit ihren Coachees die Gesprächsführung übernehmen können (Terblanche, 2024).
Das ist aber nicht ganz unproblematisch, weil die so programmierten Gesprächsführungskompetenzen – trotz aller Flexibilisierungspotenziale – letztlich auf standardisierten Coachingmethoden aufbauen müssen. Aus diesem Grunde leiden alle so entwickelten KI-Programme unter dem Passungsproblem, d.h. darunter, dass die programmierte Gesprächsführung nicht passgenau zu der letztlich immer einzigartigen Coachingproblematik der Coachees passt und auch nicht ihren subjektiven Befindlichkeiten gerecht wird, die sich situationsspezifisch in der Interaktion mit dem Coachingbot bzw. KI-Assistenten einstellen (DiGirolamo, 2024).
Harald Geißler: KI-Coaching – Wie man Künstliche Intelligenz in und für Coaching nutzen kann. Wiesbaden: Springer Verlag, 2025, 202 Seiten, 49, 99 Euro
Aus diesem Grunde plädiert der Autor für eine triadische Nutzung coachingspezifisch entwickelter KI-Agenten, bei der Coach und Coachee in der Interaktion mit dem jeweiligen KI-Agenten die Gesprächsführung übernehmen und verantworten (!). Der KI-Agent unterstützt sie dabei mit seinem coachingdiagnostischen Problemerkennungs- und Problemlösungswissen. Ein Beispiel hierfür ist der AI Coach Assistent (AI-CA), der in dem Buch ausführlich vorgestellt wird (Geißler, 2025, Kap. 8).
Um das Wissen derartiger KI-Agenten coachingprofessionell zu nutzen, empfiehlt sich die Bereitstellung vorformulierter Prompt Skripte, d.h. professionell entwickelter und evaluierter Fragen bzw. Aufträge, die Coach und Coachee dem KI-Agenten zur Beantwortung bzw. Bearbeitung übergeben.
Im Einzelnen bieten sich dabei zwei paradigmatische Prompt-Typen an, nämlich Single-loop Prompts (Ebd., S. 53ff.) und Double-loop Prompts (Ebd., S. 55ff.). Erstere können sich darauf beziehen, dass die User der KI den Auftrag geben,
- eingegebene Texte in einer bestimmten Weise, d.h. mit Bezug auf bestimmte Kriterien zu überarbeiten, also z.B. sie mit Blick auf eine bestimmte Zielgruppe sprachlich zu überarbeiten,
- Problembeschreibungen daraufhin zu prüfen, ob möglicherweise wichtige Informationen fehlen,
- für Problembeschreibungen Ursachenanalysen zu erstellen,
- mit Bezug auf bestimmte Ansprüche und Ziele sowie unter Zugrundelegung bestimmter Ausgangsbedingungen kriteriengeleitet Konzepte zu erstellen
- und/oder für bestimmte Probleme Tipps und Lösungsvorschläge anzubieten.
Mit Double-loop Prompts hingegen wird die KI aufgefordert, die Normen und Werte zu analysieren, die dem Input der User und/oder dem Output der KI zugrunde liegen.
Für ein solchermaßen entwickeltes triadisches KI-Coaching spricht nicht zuletzt auch die ethische Human-in-the-Loop-Forderung, dass es letztlich immer Menschen sein müssen, die die Interaktion mit der KI verantwortlich steuern und ihren Output handlungspraktisch bewerten müssen (vgl. Floridi & Cowls, 2919).
Die aktuelle Entwicklungsdynamik
Künstliche Intelligenz hat in der letzten Zeit rasant weiterentwickelt. Die Frage, wie Künstliche Intelligenz heute im und für Coaching sinnvoll genutzt werden kann, muss deshalb heute anders beantwortet werden als zu dem Zeitpunkt, als das Manuskript eingereicht habe.
Das heißt: Wenn man sich heute mit einer anspruchsvollen Frage an eine KI wendet, kann man deutlich bessere Antworten erwarten als vor einem halben Jahr. Diese Verbesserung korrespondiert mit einer intensiven Differenzierung der angebotenen Kompetenzprofile der KI.
So finden wir z.B. bei ChatGPT eine Vielzahl unterschiedliche Modelle mit entsprechend unterschiedlichen Kompetenzprofilen bzw. -schwerpunkten. Diese werden im Playground von OpenAi, der Firma, die ChatGPT anbietet, folgendermaßen vorgestellt: gpt-4.1 (Smartes model for complex tasks), gpt-4.1-mini (Affordable model balancing speed and intelligence), gpt-4.1-nano (Fastest, most cost-effective model for low-latency tasks), gpt-o4-mini (Our fester, cost-efficient reasoning model delivering strong performance on math, coding und vision), gpt-o1-pro (A version of o1 that uses maximum compute for more reliable responses) usw.
Zu dieser Modelldiversifizierung kommt noch eine weitere Entwicklungskomponente hinzu, die ganz offensichtlich noch deutlich folgenreicher ist, nämlich die Entwicklung und Nutzung von KI-Agenten für die Entwicklung fachlich hochspezialisierter KI-Agenten (Fudan NLP Group, 2023). Was bedeutet das und wie kann man sich das konkret vorstellen?
Während die bisherige KI-Nutzung eine dyadische Grundstruktur hatte, weil nur zwei Parteien im Spiel sind, nämlich auf der einen Seite die User mit den Aufträgen (Prompts), die sie der KI geben, und auf der andere Seite die KI, die mithilfe des jeweils zugrunde liegenden Large Language Models, die Aufträge bearbeitet und dem User einen entsprechenden Output liefert, wird diese dyadische Grundstruktur der KI-Nutzung momentan immer mehr durch eine multiple Entwicklungs- und Nutzungsstruktur ersetzt.
Die folgenden beiden Beispiele sollen das illustrieren:
Bisher wurde KI-Nutzung ganz entscheidend durch Prompts bestimmt, wie z.B. dem folgenden: „Sage mir, welche Lösungsmöglichkeiten es für das Problem gibt, dass ich eine wichtige Aufgabe, wie z.B. die Erledigung meiner Steuererklärung immer wieder aufschiebe.“
Diese dyadische Nutzungsstruktur wird durch momentan immer mehr durch eine multiple KI-Nutzung und -Entwicklung ersetzt, bei der in mehreren Schritten vorgegangen wird, und zwar…
Professor Dr. Harald Geißler, Studium und Promotion in Erziehungswissenschaft, Professor an die Helmut-Schmidt-Universität Hamburg für das Fach Erziehungswissenschaft insbesondere Berufs- und Betriebspädagogik (2015 emeritiert). Forschungsschwerpunkte: Organisationslernen und Coaching, und zwar insbesondere Coaching mit modernen Medien.