Kritisches Denken: Future Skill oder alter Wein in neuen Schläuchen?

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Der Begriff „kritisches Denken“ wird in den letzten Jahren immer häufiger genannt. Was ist das überhaupt? Kann man es messen und lässt es sich trainieren?

Ob im Management, im Studium oder in der Ausbildung – kritisches Denken gilt als wichtige Fähigkeit, um heute erfolgreich zu sein. Die OECD bezeichnet es sogar als Future Skill. Doch was ist kritisches Denken?

Es gibt mehrere Definitionen des Begriffs. Bei einem Vergleich wird deutlich, dass es kognitive Fähigkeiten wie logisches Schlussfolgern und quantitatives Denken beinhaltet und darüber hinaus mehrere der folgenden Aspekte:

  • Metakognition, also das Reflektieren der eigenen Denkprozesse,
  • Persönlichkeit, Motivation und Einstellungen, beispielsweise Offenheit und Neugier sowie die Bereitschaft, Schlussfolgerungen kritisch zu prüfen, Autoritäten zu hinterfragen und geistige Anstrengung zu leisten,
  • Problemlösetechniken, zum Beispiel zum Schlussfolgern, zur Informationssuche und -bewertung oder zur Analyse von Zahlen, Daten und Fakten.

Kritisches Denken ist daher ein Zusammenspiel von kognitiven Fähigkeiten, Metakognition, Persönlichkeit, Motivation, Einstellung und Problemlösetechniken, die logisches Denken und unvoreingenommene Schlussfolgerungen ermöglichen.

Wie der ideale kritische Denker aussehen soll, hat nach dem Psychologen Otto Kruse (2017) eine Befragung von Mitgliedern der American Philosophical Association ergeben: „Der ideale kritische Denker ist gewohnheitsmäßig wissbegierig, gut informiert, vernunftorientiert, flexibel, ausgewogen bei Bewertungen, ehrlich im Umgang mit persönlicher Voreingenommenheit, genau im Urteilen, bereit sich zu korrigieren, klar in seinen Absichten, systematisch in komplizierten Angelegenheiten, gewissenhaft bei der Informationssuche, vernünftig bei der Auswahl von Kriterien, fokussiert bei Untersuchungen, und hartnäckig beim Erzielen von Ergebnissen, die so präzise sind wie Gegenstand und Umstände es nur erlauben.“

Woher kommt „kritisches Denken“?

Kritisches Denken ist etwas, womit sich die Menschen schon seit langem beschäftigen, insbesondere die Philosophie. Der Begriff selbst kam erst im 20. Jahrhundert auf, als auch die Pädagogik und die Psychologie begannen, sich des Themas anzunehmen. Bereits Sokrates ging der Frage nach, wie man mit Gesprächstechniken Erkenntnisse gewinnen kann – hier ging es also um Problemlösetechniken. Aufklärer wie Immanuel Kant (1784) stellten Aspekte der Motivation und Einstellung heraus: „Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

Der Begriff „kritisches Denken“ wurde 1910 von dem Philosophen und Pädagogen John Dewey eingeführt als eine pädagogische Zielsetzung, nämlich die Förderung wissenschaftlichen Denkens in Alltagssituationen. Der Psychologe Edward Glaser (1941) betrachtete das kritische Denken als Element von Problemlösefähigkeit und machte den Begriff in der psychologischen Forschung zum Problemlösen prominent. Kritisches Denken – ob explizit so benannt oder nicht – ist Teil jeder wissenschaftlichen Ausbildung an Hochschulen.

Warum ist kritisches Denken so wichtig?

Die Kompetenz, Informationen zu analysieren und unvoreingenommen zu Schlussfolgerungen zu kommen, war natürlich schon immer wichtig, nicht nur in der Wissenschaft. Denn sie hilft generell, gute Entscheidungen zu treffen. Wenn kritisches Denken also schon immer wichtig war, warum bezeichnen wir es dann als Future Skill?

Tatsächlich ist kritisches Denken in einigen Bereichen heute noch relevanter als früher, beispielsweise im Beruf, für Gesundheitsverhalten und für den Schutz der Gesellschaft. Im Beruf wird es immer wichtiger, große Mengen teils widersprüchlicher Informationen zu analysieren und auf Basis dieser Analyse Entscheidungen zu treffen. Die Arbeitswelt ist so komplex, dass einfache Lösungen und ein paar gute Ideen oder Weisheiten meistens nicht mehr ausreichen, um Erfolge zu erzielen. Die Analyse von Zahlen, Daten und Fakten ist oft unerlässlich. Für Entscheider und Entscheiderinnen ist es immer häufiger notwendig, komplexe Problemstellungen zu verstehen und Schlussfolgerungen zu prüfen. Auch neue Berufe…

Dr. Stephan Josef Stegt, Diplom Psychologe, MBA, Leiter des Instituts für Test- und Begabungsforschung der ITB Consulting GmbH in Bonn

Dr. Alexander Zimmerhofer, Diplom Psychologe, Leiter des Bereichs Unternehmenslösungen-digital der ITB Consulting GmbH in Bonn

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