Lust auf Leistung. Wie wir Arbeit (wieder) lieben lernen

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Moderne Arbeitskonzepte – wie New Work – versprechen oft eine leichtere, angenehmere Arbeitswelt. In seinem Buch erklärt Professor Ingo Hamm, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Darmstadt, dagegen, warum Arbeit keine Last sein sollte. Er widerlegt die Vorstellung, dass Arbeit minimiert werden sollte, um Platz für das „eigentliche“ Leben zu schaffen. Stattdessen argumentiert er, dass Arbeit nicht als notwendiges Übel, sondern als Quelle von Zufriedenheit betrachtet werden sollte.

Zufriedenheit werde nicht durch die bloße Reduzierung der Arbeitsbelastung oder neue Benefits erreicht, sondern durch bewusstes Engagement in einer Tätigkeit, die sowohl fordert als auch erfüllt. Wenn Arbeit lediglich als etwas wahrgenommen werde, das effizient und ohne Anstrengung erledigt werden soll, gehe der Stolz auf die eigene Leistung verloren – ein Stolz, der entscheidend dafür ist, sich mit der Arbeit zu identifizieren.

Die emotionale Bindung zur Arbeit – die Freude daran, etwas zu bewirken und ein wertvolles Ergebnis zu schaffen – gehe in der modernen Arbeitswelt oft verloren. Viele Mitarbeitende betrachteten Teamarbeit vor Ort eher als Belastung denn als Quelle der Zufriedenheit. Während der Fokus auf eine perfekte Work-Life-Balance gerichtet werde, werde vergessen, dass Arbeit selbst tief befriedigen kann, wenn die richtigen Bedingungen gegeben sind: Sinn, Stolz und die Möglichkeit, sich zu entfalten.

Hamm fordert dazu auf, den Fokus von oberflächlichen Erleichterungen und kurzfristigen Anreizen hin zu einer echten inneren Motivation zu lenken, die uns langfristig zufriedener und glücklicher macht. Der Autor berichtet von einer Ärztin an einem Klinikum in Berlin, deren innerer Antrieb es ist, Menschen glücklich und gesund zu machen – obwohl die Arbeitsbedingungen in Kliniken bekanntermaßen oft sehr schlecht sind, die Bürokratie ausufert und mit Personalmangel jongliert werden muss. Dennoch liebt diese Ärztin ihren Job. Wie kann das sein? Es sind die täglichen Erfolgserlebnisse im Umgang mit den Patienten und im Einklang mit ihren inneren Antrieben.

Er plädiert für eine hohe Übereinstimmung zwischen dem inneren Antrieb und der ausgeübten Tätigkeit. Sich im Job für immer mehr Geld und Benefits zu verausgaben, sei für viele Menschen nicht erstrebenswert. Stattdessen gehe es darum, in der Arbeit aufzugehen und den sogenannten „Flow“ zu erleben, einen Zustand, den der Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi untersucht hat. Beim Flow-Erlebnis ist es wichtig, weder über- noch unterfordert zu sein. Hamm betont jedoch, dass es nicht darum geht, die eigene Komfortzone zu verlassen, sondern den Fokus auf die Tätigkeit selbst zu legen. Flow entsteht in der Tätigkeit und den Rahmenbedingungen, die ungestörtes Arbeiten ermöglichen.

Doch woher kommt die Lust auf Leistung?

Hamm beschreibt die von den Pädagogen Manfred Holodynski und Rolf Oerter identifizierten vier Phasen, in denen kleine Kinder ihre Leistungsmotivation entwickeln, die kulturell erworben wird. Bereits in den ersten Lebensjahren entsteht auf spielerische und natürliche Weise die Lust auf Leistung. Wenn Kleinkinder Gegenstände umwerfen, tun sie dies aus Freude am Effekt, was ihnen ein erstes Gefühl von Selbstwirksamkeit vermittelt. Später kommt der Stolz hinzu, etwas selbst bewirkt zu haben – etwa die Erkenntnis, dass man selbstständig mit dem Löffel essen kann. Im dritten Schritt lernen Kinder, zwischen Erfolg und Misserfolg zu unterscheiden, indem sie die Konsequenzen ihres Handelns erfahren. Dabei spielen die soziale Umwelt, insbesondere Eltern, eine entscheidende Rolle, indem sie Verhalten belohnen oder bestrafen. Mit etwa viereinhalb Jahren beginnen Kinder, sich selbst Ziele zu setzen und ihr Anspruchsniveau zu erhöhen – der Turm wird höher gebaut, und so erfahren sie die Freude an der eigenen Leistung.

Doch insbesondere in westlichen Kulturen wird die Lust auf Leistung oft verlernt. Leistungsmotivation gilt als „uncool“ oder wird mit Selbstausbeutung gleichgesetzt. Wer Misserfolge vermeidet und defensiv durchs Leben geht (Misserfolgs-Vermeider), erfährt laut Hamm nicht die gleichen Glücksmomente wie durch Erfolge (Erfolgs-Sucher). Der Autor ist aber optimistisch: Was man verlernt hat, kann auch wieder gelernt werden. Dabei gehe es nicht darum, sich durch fragwürdige „Tschakka-Motivations-Gurus“ inspirieren zu lassen, sondern um das Erleben von positiven Effekten. Auch bei der Work-Life-Balance sollte es weniger um äußere Faktoren gehen, sondern darum, in welchen Momenten wir Erfüllung erleben – sei es im Verein, in der Familie, im Hobby oder natürlich auch im Job.

Motivationsvergiftung und innere Antriebe

Hamm diagnostiziert eine gewisse Motivationsvergiftung, da wir uns zu oft von den Folgen einer Tätigkeit motivieren lassen, anstatt von der Tätigkeit selbst. Prüfungen werden geschrieben, um gute Noten oder Lob zu bekommen, nicht aus Freude an der Aufgabe. Diese zweckrationale Motivation sei in unserer Kultur normal geworden. Doch sie birgt Risiken, weil sie Mensch und Tätigkeit voneinander entfremdet.

Er skizziert die Forschung des Psychologen Falko Rheinberg, der sich mit inneren Antrieben beschäftigt hat, wie beispielsweise das eigene Selbstwertgefühl durch Kompetenzerleben gesteigert werden kann oder wie man Nervenkitzel erlebt. Interessant ist die Erläuterung der inneren Antriebe. Er beschreibt drei grundlegende Aspekte des Tuns – „Machen, Denken, Interagieren“ – und stellt 17 Archetypen vor, die dabei helfen sollen, den eigenen Antrieb zu ergründen. Leider fehlen valide Tests, um diese Antriebe zu messen, was der Autor selbst kritisch anmerkt. An einer Stelle (S. 99) erwähnt Hamm zwei bekannte typologische Persönlichkeitstests, ohne darauf einzugehen, wie umstritten sie sind.

Ein zentrales Element für positive Selbstwirksamkeitserfahrungen im Job sei die Kundenorientierung. Direkter Kontakt zu Kunden schaffe die Möglichkeit, positive Rückmeldungen zu erhalten und echte Zufriedenheit zu erleben. Hamm betont, dass der Fokus weniger auf einem abstrakten Purpose wie „wir retten die Welt“ liegen sollte, sondern auf der konkreten Arbeit mit Kundinnen und Kunden, die Feedback geben und Dankbarkeit zeigen. Er empfiehlt, Mitarbeitende dazu zu ermutigen, über ihre täglichen Aufgaben nachzudenken und zu überlegen, wie diese sinnvoll verändert werden können. Das sei nachhaltiger als das bloße Vorschreiben von Verhaltensweisen.

Existenzialistische Perspektive

Hamm beschreibt die Erfahrung im Job auch aus einer existenzialistischen Perspektive. Er argumentiert, dass Ungerechtigkeit, Leid, Vergänglichkeit und Angst zum täglichen Leben dazugehören, und fragt, warum wir so oft Schwierigkeiten haben, das zu akzeptieren. Seine Antwort liegt in der Psychologie: Es sei die Angst vor Kontrollverlust, die uns davon abhält, diese unvermeidlichen Aspekte des Lebens zu akzeptieren. Entscheidend sei es, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen und eine Arbeit zu wählen, die zur eigenen Persönlichkeit passt. Herausforderungen und Widrigkeiten seien dabei unvermeidbar, und es gehe darum, sie aktiv zu bewältigen, um Sinn und Erfüllung zu finden. Zum Schluss fasst er noch Barrieren und Treiber für die Leistungslust zusammen und stellt sieben Maximen auf.

Fazit

Das ansprechend gestaltete Buch bietet einen positiven und motivierenden Blick auf Leistung und Zufriedenheit im Berufsleben. Hamm zeigt, wie die Freude an der eigenen Arbeit – die „Leistungslust“ – wiederentfacht werden kann, indem Leistungsbremsen abgebaut und die Faktoren für mehr Selbstwirksamkeit maximiert werden (können). Er betont, dass Geld zwar wichtig sei, aber nicht immer mehr Glück bringt. Auch sei immer weniger Arbeit nicht der Schlüssel zur Zufriedenheit.

Allerdings berücksichtigt der Autor nur begrenzt, dass nicht jeder Mensch den Mut, die Fähigkeiten oder die Optionen hat, ungünstige Arbeitsbedingungen zu verlassen. In prekären Arbeitsverhältnissen oder toxischen Arbeitsumfeldern ist es oft schwer, die empfohlene innere Motivation zu finden oder aktiv Veränderungen herbeizuführen. Das Buch bietet zahlreiche praxisnahe Anregungen, besonders für Führungskräfte, HR und Mitarbeitende, die jeweils am Ende der Kapitel zu finden sind. Diese Anregungen können dabei helfen, mehr Selbstwirksamkeit im Job und im Leben zu erfahren. Ein aktuelles Buch zu einem wichtigen Thema unsere Zeit.

Ingo Hamm: Lust auf Leistung. Wie wir Arbeit (wieder) lieben lernen. München: Verlag Franz Vahlen. 2024, 288 Seiten, 24,90 Euro

 

 

 

 

Head of People bei DocCheck AG

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