Wer das Unerwartete erkennt und es in positive Chancen verwandelt, kann seine Karriere beschleunigen.
Planung bringt Sicherheit. Zu wissen, wohin die Reise geht, und einen Plan zu haben, vermittelt Stabilität in einer sich ständig verändernden Welt. Doch es gibt eine andere Kraft, die unser Leben maßgeblich beeinflusst: das Unerwartete. Wie man mit dem Unvorhergesehenen umgeht, bestimmt oft, wo man am Ende steht.
Forschungen zeigen, dass viele erfolgreiche Menschen eine besondere Fähigkeit entwickelt haben: Sie erkennen das Unerwartete und verwandeln es in positive Chancen. Diese „Serendipity-Mindset“ ist eine Fähigkeit, die sich bewusst entwickeln lässt – besonders im Hinblick auf die eigene Karriere.
Serendipität ist die zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist. Serendipity ist „aktives Glück“ im Gegensatz zum „blinden Glück“ (z. B. wenn man in eine gute Familie hineingeboren wird). Jeder verpasste Flug oder Spaziergang im Park kann zu einer Chance werden – für eine neue Freundschaft, ein neues Interesse oder einen neuen Job.
Serendipität gedeiht an der Schnittstelle von Zufall und menschlichem Handeln. Wer unerwartete Ereignisse erkennt und darauf reagiert, nutzt den Zufall aktiv. Serendipity ist daher ein Phänomen, das sich durch Überraschung, Aktivität und Wertigkeit entfaltet.
Ein Beispiel ist die Kartoffel-Waschmaschine. Vor ein paar Jahren haben Bauern in China die Waschmaschinen zweckentfremdet. Statt Kleidung haben sie Kartoffeln darin gewaschen. Davon sind die Maschinen aber schnell kaputtgegangen. Als das Unternehmen Haier davon hörte, hat es seine Waschmaschinen schnell angepasst, damit sie mit dem zusätzlichen Schmutz der Kartoffeln zurechtkommen. Das Unternehmen hat die Möglichkeit erkannt, ein neues Geschäftsfeld zu erschließen.
Serendipität spielt eine zentrale Rolle bei der Gestaltung unseres Lebens. In einer kürzlich erschienenen systematischen Übersichtsarbeit hat der Autor die vorhandenen Forschungsergebnisse zu Serendipität analysiert, um zu verstehen, was sie ausmacht, wie sie sich von „blindem Glück“ unterscheidet – und was es wahrscheinlicher macht, dass sie eintritt. Wir können diesen Prozess beeinflussen, indem wir uns überlegen: Wie kann ich mehr solcher Momente kreieren? Wo könnten für mich günstige Zufälle passieren? Mit welchen Menschen muss ich mich dafür umgeben?
Man kann auch selbst Serendipitätsauslöser schaffen, zum Beispiel mit der Hakenstrategie. Dabei setzt man in einem Gespräch möglichst viele Punkte, an denen sich die andere Person einhaken kann. Wer auf einer Konferenz gefragt wird, was er beruflich macht, kann zum Beispiel sagen: Ich arbeite in der Personalabteilung, habe mich in die Philosophie der Wissenschaft eingelesen, aber was mich wirklich interessiert, ist Klavier zu spielen. Er bietet damit drei Punkte, an denen sich der andere einhaken kann. Solche Strategien gibt es viele.
Drei Merkmale von Serendipität
Die Überraschung: die Enthüllung von Möglichkeiten
Das Herzstück von Serendipität ist die Überraschung – ein unerwartetes, ungeplantes oder ungewöhnliches Ereignis, das unsere Aufmerksamkeit erregt. Dabei geht es nicht nur um objektive Ereignisse, sondern auch um die subjektive Wahrnehmung des Erstaunens. Serendipität liegt im Auge des Betrachters und entfaltet sich, wenn wir es am wenigsten erwarten. Im Gegensatz zu strukturierten Bemühungen, bei denen die Verbesserungsziele im Voraus festgelegt werden, gedeiht Serendipität im Reich des Unvorhergesehenen.
Die Wirkung: menschengesteuerte Handlungen jenseits des blinden Glücks
Serendipität ist kein passives Ergebnis, sondern ein Produkt von Anstrengung, Aktion und einem vorbereiteten Geist. Es unterscheidet sich vom blinden Glück dadurch, dass es auf menschlichem Handeln beruht, das die Punkte zwischen scheinbar unzusammenhängenden Ereignissen verbindet. Indem der Einzelne auf unerwartete Momente reagiert, trägt er durch sein Bewusstsein, seine Kreativität und seine Initiative aktiv zum Prozess bei.
Der Wert: subjektiv und schwer fassbar
Der Wert von Serendipität ist subjektiv und variiert von Person zu Person. Er kann sich im Moment manifestieren oder sich im Laufe der Zeit offenbaren, wobei er schwer fassbar ist und sich ständig verändert. Was der eine als vorteilhaft empfindet, hat für den anderen nicht unbedingt denselben Wert. Serendipität ist im Wesentlichen ein dynamisches Zusammenspiel von Überraschung, Handlungsfähigkeit und subjektiver Einschätzung des Wertes.
Sie ist kein linearer Prozess, sondern ein Tanz von Serendipitätsauslösern (z. B. wenn man versehentlich einen Kaffee verschüttet), Assoziationen (wenn man das Verschütten des Kaffees als Gelegenheit nutzt, um mit der Person neben sich zu sprechen) und Materialisierung (wenn man sich mit dieser Person zu einer weiteren Verabredung trifft, die sich zu einem neuen Job entwickelt). Oft gibt es eine Zeitverzögerung, eine „Inkubationszeit“, die es uns ermöglicht, die Bedeutung eines Zufallsereignisses erst im Nachhinein zu erkennen.
Karriere-Erfolg aktiv gestalten
Die Vorstellung, dass beruflicher Erfolg ausschließlich von harter Arbeit oder Glück abhängt, ist weit verbreitet. Doch die Erfahrungen erfolgreicher Menschen zeigen, dass „aktives Glück“ oft das Ergebnis gezielter Handlungen und strategischer Entscheidungen ist (Busch, 2024). Wer proaktiv agiert und seine Karriere aktiv gestaltet, kann Chancen nutzen, die auf den ersten Blick zufällig erscheinen.
Ein bewährter Ansatz ist das Stellen interessanter Fragen. In beruflichen Kontexten ist dies von entscheidender Bedeutung. Menschen, die neugierige Fragen stellen, werden als intelligenter und sympathischer wahrgenommen (Brooks & John, 2018). Dies kann in Bewerbungsgesprächen und Meetings den Unterschied machen: Wer nicht nur Fragen zur Position, sondern auch zur Person stellt, hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Das können Fragen zu Interessen oder zum Werdegang der Person sein. Es ist daher sinnvoll, die Person vorher zu googeln und nach gemeinsamen Interessen Ausschau zu halten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Finden von Mentoren und Fürsprechern. Mentoren können wahre Karrieremotoren sein. Es ist wichtig, Beziehungen zu Mentoren aktiv zu entwickeln und zu pflegen. Ein Beispiel ist Bill Gates, der in Warren Buffett nicht nur einen Geschäftspartner, sondern auch einen Mentor für seine philanthropischen Aktivitäten fand. Solche Mentor-Mentee-Beziehungen können Türen öffnen und Karrieren entscheidend beeinflussen. Mentoren können Professoren oder erfahrene Kollegen sein, die man aktiv anspricht und sie um ihren Rat oder ihre Einschätzung bittet.
Dankbarkeit und Netzwerke
Ein oft unterschätzter Erfolgsfaktor ist die Dankbarkeit. Studien zeigen, dass Dankbarkeit nicht nur richtig ist, sondern auch die Wahrnehmung von Wärme und Kompetenz erhöht (Grant & Gino, 2010). Eine einfache Dankes-E-Mail kann einen bleibenden Eindruck hinterlassen, besonders nach Absagen. Auch wenn man eine Position nicht erhält, bietet sich die Gelegenheit, eine positive Beziehung aufzubauen. Interviewer erinnern sich eher an Bewerber, die positiv auffallen, und ziehen diese bei zukünftigen Gelegenheiten in Betracht.
Dies ist besonders wichtig, da viele der besten Jobs nicht öffentlich ausgeschrieben werden. Indem man sich mit Menschen in der Branche vernetzt und seine Fähigkeiten und Leidenschaften kommuniziert, kann man Zugang zu diesen „versteckten“ Stellen bekommen. Richard Branson, Gründer von Virgin, hat zahlreiche Karrieren durch unkonventionelle Wege ermöglicht, indem er auf die Tipps seiner Mitarbeitenden reagierte.
Ein entscheidender Faktor für den Karriereerfolg ist es, mehr zu geben, als man nimmt. Menschen, die anderen helfen, ohne eine direkte Gegenleistung zu erwarten, sind oft langfristig erfolgreicher (Grant, 2013). Es geht nicht darum, jemanden einen Gefallen zu tun, um davon zu profitieren oder vielleicht sogar einen Job zu bekommen, sondern offen zu sein. Eine „Go-Give“-Einstellung – sei es durch Mentorschaft oder Engagement im Team – stärkt Netzwerke und schafft nachhaltige Beziehungen.
Die Macht der Beharrlichkeit
Letztendlich geht es oft darum, Zufälligkeit durch Beharrlichkeit zu überwinden. Wer sich auf viele Stellen bewirbt, erhöht seine Erfolgschancen. Jedes Gespräch, jede Bewerbung ist eine weitere Möglichkeit, die richtige Position zu finden. Ein bekanntes Beispiel ist J.K. Rowling, deren Manuskript für Harry Potter mehrfach abgelehnt wurde, bevor es schließlich akzeptiert wurde. Ihre Hartnäckigkeit zahlte sich aus, und heute zählt sie zu den erfolgreichsten Autorinnen der Welt.
Indem man seine Karriere aktiv gestaltet, erhöht man die Chancen, sein eigenes Karriere-Glück zu schaffen. Es geht nicht nur darum, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, sondern auch darum, die richtigen Schritte zu unternehmen, um seine Chancen zu maximieren. Wie der Naturforscher Louis Pasteur sagte: „Das Glück begünstigt den vorbereiteten Geist.“
Weitere Literatur
Brooks, A. W., & John, L. K. (2018). The Surprising Power of Questions. Harvard Business Review.
Busch, C. (2024). Erfolgsfaktor Zufall, Murmann Verlag.
Busch, Ch. (2022). Towards a Theory of Serendipity: A Systematic Review and Conceptualization. Journal of Management Studies. 61. 10.1111/joms.12890. https://doi.org/10.1111/joms.12890
Gabarro, J. J., & Kotter, J. P. (1980). Managing Your Boss. Harvard Business Review.
Grant, A. M., & Gino, F. (2010). A Little Thanks Goes a Long Way: Explaining Why Gratitude Expressions Motivate Prosocial Behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 98(6), 946–955. https://doi.org/10.1037/a0017935
Ibarra, H., & Lineback, K. (2005). What’s Your Story? Harvard Business Review.
Professor Dr. Christian Busch, MSc (Management, Organisationen), Promotion an der London School of Economics (LSE), Associate Professor of Clinical Management an der University of Southern California in Los Angeles, Foto: Justine Stoddart