Neue Sichtweise: Narzissmus ist keine Krankheit

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Narzissmus ist ein ganz normales Persönlichkeitsmerkmal, sagt Professor Mitja Back und erklärt,  warum der Hype um bösartige Narzissten vor allem der Geschäftemacherei dient und Manager eher narzisstisch sind.

In Ihrem neuen Buch bezeichnen Sie Narzissmus als eine Persönlichkeitseigenschaft. Aber er gilt doch als schlecht, gefährlich oder bösartig. Was stimmt denn nun?

Narzissmus ist ein Persönlichkeitsmerkmal wie Nervosität, Schüchternheit oder Extraversion. Genauso, wie wir nicht sagen können, wir haben keine Körpergröße, genauso wenig können wir sagen, Narzissmus hat nichts mit uns zu tun. Wir alle haben eine Narzissmus-Ausprägung – eine niedrige, eine mittlere und manche haben eben eine höhere Ausprägung. Letztere würden wir im allgemeinen Sprachgebrauch als Narzissten bezeichnen. Das sind aber keine gestörten und kranken Menschen. Das Besondere an Narzissten ist ihre große Kraft und Energie, im Positiven wie im Negativen.

Woher kommt der derzeitige Hype um Narzissten?

Narzissten sind Personen mit auffälligen Eigenschaften und das zieht andere an. Auf der einen Seite begeistern sie und auf der andere Seite nerven und frustrieren sie. Narzissten interessieren sich einerseits nicht wirklich für die Belange anderer Menschen und anderseits dürsten sie danach, von ihnen anerkannt zu werden. Das Paradoxe macht die Faszination aus.

Unzählige Berater und Coaches warnen, dass Narzissten böse sind und einen zerstören. Alles nur Geschäftemacherei?

Ja, das scheint es mir zu sein. Es gibt unendliche viele Hinweise, mehr oder weniger professionell aufbereitet wie: Fünf Manipulationstechniken von Narzissten und wie du dich dagegen wehrst. Das ist nicht sehr hilfreich und nicht durch Forschung gedeckt. Denn Narzissten haben eigentlich keinen inneren Antrieb zur Boshaftigkeit. Ihnen geht es um das Erreichen von sozialem Status. Die Aggressivität und das Runtermachen von anderen kommt nur dann als sekundäre Strategie ins Spiel, wenn der Weg zum Status blockiert ist – wenn niemand zuhört, es Kritik oder Rivalen gibt. Aber Narzissten haben keinen Spaß daran, andere zu manipulieren und auszunutzen. Das haben eher Psychopathen oder Sadisten. Viele Psychopathen sind auch Narzissten, aber umgekehrt sind nur sehr wenige Narzissten auch Psychopathen. Und Psychopathen sind sehr selten.

Es heißt oft, Narzissten sind eigentlich unsicher und schwach und müssen das durch ihre Grandiosität kompensieren. Sie nennen das den Masken-Mythos. Stimmt der auch nicht?

Das ist eine alte psychoanalytische Idee, wobei eine kalte Erziehung innerliche Schwäche und Leere erzeugen soll. Und die muss dann überdeckt werden durch die eigene Großartigkeit. Das klingt erst mal gut. Das Problem ist aber, dass wir keinerlei Evidenz dafür haben. Egal wie wir den Selbstwert messen. Narzissten haben einen höheren und auch stabileren Selbstwert. Auch wenn wir uns den Erziehungsstil anschauen, gibt es keinen Effekt einer kalten Erziehung. Diese Erzählung ist nicht sehr hilfreich. Ein Grund dafür ist vermutlich, dass meist Psychiater oder Psychotherapeuten in der Öffentlichkeit zu Wort kommen und die haben mit einer speziellen Klientel von Narzissten zu tun, nämlich den Gescheiterten und die haben eine innere Unsicherheit. Diese Schwäche ist eine potentielle Konsequenz eines scheiternden Narzissten, aber nicht die Grundlage des Narzissmus, den wir überall beobachten.

Viele behaupten, dass der Narzissmus in unserer Gesellschaft ansteigt.

Das ist Quatsch, auch wenn das oft behauptet und mit der These einer Generation Me oder einer narzisstischen Epidemie viel Geld verdient wird. Über die Generationen nimmt der Narzissmus nicht zu. Was wir klar sehen, ist ein Alterseffekt: Narzissmus nimmt mit dem Alter ab. Auch Narzissten werden altersmilde, aber auf allen Niveaus. Es kann also einen 60jährigen geben, der narzisstischer ist als ein 18Jähriger. Im Mittel aber sind ältere Menschen weniger narzisstisch als Jüngere – weil sie älter sind und nicht, weil sie einer anderen Generation angehören.

Welche Rolle spielen die sozialen Medien?

In den sozialen Medien sieht man ja tatsächlich ein Narzissmus-Feuerwerk und einen Narzissmus-Exzess nach dem anderen. Trotzdem machen soziale Medien nicht narzisstisch. Dass wir trotzdem den Eindruck haben, hat mit der Sichtbarkeit zu tun. Die sozialen Medien sind prädestiniert für Narzissten, weil sie mit einem Post ex…

Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.

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