Trotz Work-Life-Balance, Entlastung und sinnvoller Arbeit steigt der Anteil psychisch erkrankter Jugendlicher. Stress verursacht vor allem die berufliche Orientierungslosigkeit.
Wie ticken junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Diese Fragen werden seit einigen Jahren eingehend diskutiert. Die Antworten fallen unterschiedlich aus. Je nachdem, wer sie stellt. Das Spektrum reicht von “eigentlich gibt es keine Unterschiede!” über “die machen es genau richtig und zeigen Älteren, wie man es machen soll!”. Oder auch „bei all dem Druck unter dem sie leiden, von Leistungsgesellschaft bis Klimakrise, da wundert es einen doch nicht, wenn die krank sind!“ bis “die sind einfach zu verwöhnt und müssen arbeiten lernen, sonst geht es mit der Wirtschaft bergab!”.
Also, wie tickt sogenannte Generation Z? Zusammenfassend (unter Verwendung von Daten aus der Schell-Studie 2019, dem Randstad Employer Brand Research 2022 (REMB) und der Studie „Jugend in Deutschland 2023“ von Schnelzer et al.) wird zunächst einmal der Eindruck einer „Null-Bock-Generation“, die primär freizeitorientiert sei, sich häufig krankmelde und wenig Leistungsmotivation habe, zurückgewiesen. Laut u.a. der Schnell-Studie ist die junge Generation, was ihre Werte anbelangt, bemerkenswert konservativ. Gute Freunde, vertrauensvolle Partnerschaft und Familie stehen demnach für fast alle bzw. die überwiegende Mehrheit ganz im Vordergrund. Entsprechendes gilt offenbar auch für deren Werte: Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Hilfsbereitschaft und auch Höflichkeit (REMB).
Laut REMB geben 70 Prozent an, engagiert zu arbeiten, womit sie sich diesbezüglich nicht von älteren Generationen unterscheiden. Zudem will fast die Hälfte Führungsverantwortung übernehmen. Wobei die jeweilige Tätigkeit jedoch sinnvoll sein müsse. Laut REMB ist für 84 Prozent die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit wichtig. Konsequenterweise ist die Generation mehrheitlich (94 Prozent- REMB) bereit, auch kurzfristig den Arbeitgeber zu wechseln, wenn es nicht mehr passt, wobei Arbeitsplatzsicherheit (60 Prozent), ein attraktives Gehalt und gute Sozialleistungen (56 Prozent) wichtig sind. Work-Life-Balance und Freizeit haben einen hohen Stellenwert. Da verwundert es zunächst, dass sich immerhin 46 Prozent als stark gestresst und 35 Prozent als erschöpft erleben. Hierfür werden gesellschaftsimmanente Belastungen und nicht zuletzt Klimakriese, Corona-Krise, Ukraine-Krieg, wirtschaftliche Probleme und u.a. Ausländerfeindlichkeit als Erklärungen gegeben.
Doch warum sind so viele junge Menschen psychisch belastet und manifest erkrankt? Bereits in älteren Erhebungen wurde ein Drittel der Jugendlichen als psychisch relevant belastet identifiziert (u.a.Jacobi et al. 2013)? Zudem steigt die Quote psychisch belasteter Jugendlicher – im Gegensatz zu Erwachsenen – seit vielen Jahren. Es gibt tragfähige Befunde dafür, dass dies im Rahmen der Corona-Einschränkungen weiter eskalierte.
Laut der Studie „Jugend in Deutschland 2023“ fühlt sich die junge Generation in erheblich höherem Maße gestresst als ältere Menschen (46 Prozent versus 20 Prozent bei über 50-Jährigen). Zudem erleben sich viele (35 Prozent versus 25 Prozent) als erschöpft. Und 33 Prozent (versus 11 Prozent) leiden unter Selbstzweifeln. Die Work-Life-Balance-Orientierung, einschließlich der Fokusierung auf Aus- und Erholungszeiten sowie sinnhafte Tätigkeiten, schützen viele junge Menschen offenbar nicht von massivem Stress- und Überlastungserleben.
Materielle Not, weshalb man gezwungen sein könnte, exzessiv zu arbeiten, kann angesichts des weiterhin sehr hohen Lebensstandartes in Deutschland nicht der Grund sein. Auch nicht in sozial schlechter gestellten Kreisen. Woraus sich die Frage ergibt, ob mehr vom Gleichen, also noch mehr Work-Life-Balance, noch mehr Entlastung, noch mehr Erholung etc. ein erfolgversprechender Lösungsweg wäre. Vielleicht sollte man einen Blick auf folgende Frage werfen:: Wie hängen Werte, Ziele und Belastungserleben bei jungen Menschen zusammen?
Aktuelle Erhebungen
Dazu liegen aktuell Erhebungen bei Gymnasiastinnen und Gymnasiasten (n=200, vgl S.Hillert et al 2018), Fachhochschülerinnen und Fachhochschülern (n=228, vgl S.Hillert et al 2019) und psychisch erkrankten Jugendlichen (aus allen sozialen Milieus, n=302, vgl S.Hillert et al 2020)) vor.Statt allgemeine als ethisch-moralisch angesehene Werte (wie z.B. Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit) abzufragen, fokussieren die Erhebungen auf Werte und Ziele, die absehbar gesundheitlich und lebensperspektivisch relevant sind („Das Wichtigste im Leben ist es, viel Geld zu verdienen.“, „Der Beruf sollte vor allem Spaß machen.“, „Das Wichtigste im Leben ist es, im Beruf Erfolg zu haben“ und „Partnerschaft und Familie sind am Wichtigsten“), die anhand einer Skala von 1 (trifft überhaupt nicht zu) bis 6 (trifft absolut zu) zu beantworten waren. Ziele, zumal was die beruflichen Perspektiven anbelangt, wurden direkt erfragt: „Für die Zeit nach dem Schulabschluss beabsichtige ich: eine Ausbildung zu machen, ein Studium zu machen, weiß ich noch nicht“. Der angestrebte Beruf konnte dann als Freitext eingegeben oder aber „weiß ich noch nicht“ angekreuzt werden. Gesundheitliche bzw. Stress- Belastungen wurden parallel dazu zum einen direkt erfragt, zum anderen wurden standardisierte Instrumente, u.a. eine für Schülerinnen und Schüler adaptierte Version des Maslach Burnout Inventars verwendet.
Die Ergebnisse aller befragten Jugendlichen sind vergleichbar und lassen sich auf folgenden Nenner bringen: Was lebensperspektivische Werte und Ziele anbelangt, steht „Spaß“ für alle Befragten mit weitem Abstand um Vordergrund. Gefolgt von Partnerschaft, Freunden und Familie. Karriere machen und Geld verdienen findet sich relativ dazu weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen (Abb. 1). Was die weiteren beruflichen Perspektiven anbelangt, sind sich Jugendliche – und selbst Schüler einer Fachhochschule – mehrheitlich im Unklaren. Nur 42,2 Prozent der Gymnasiasten und 52,8 Prozent der Fachhochschüler können konkrete Ziel-Berufe angeben (wobei neben den überwiegend realistischen Berufen, Ärzte, Lehrer, Psychologen, Juristen etc. jede Nennung eines Berufes, auch Influencer gewertet wurde). Spannend wird es, wenn diese Muster mit dem Belastungserleben abgeglichen werden…
Danach müssten diejenigen Jugendlichen, die konkrete Vorstellungen haben bzw. bestimmte Berufe angeben (zumal solche mit Numerus clausus), das höchste Belastungserleben haben. Schließlich machen solche Ziele Druck. Sie sind nur dann erreichbar, wenn Leistungen erbracht werden. Und das wiederum schränkt die Freiheitsgrade und die Freizeit erheblich ein. Soweit die Theorie.
Burnout bei Orientierungslosigkeit
Die Ergebnisse sind – bei fast allen Befragten – solchen Vorstellungen und Lehrmeinungen diametral entgegengesetzt. Die am höchsten belasteten Jugendlichen sind diejenigen, die ihre berufliche Perspektive mit „weiß nicht“ zusammenfassen (Abb. 2). Sie erleben sich in erheblichem höherem Maße z.B. als „ausgebrannter“ als Mitschülerinnen und Mitschüler, die konkrete Ziele benennen können. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil Burnout traditionell als ein Phänomen gilt, dass langjährig in ihren (sozialen) Berufen besonders engagierte Menschen betrifft. Wie sollen bzw. können zumal beruflich orientierungslose Schülerinnen und Schüler, die sich sicher nicht langjährig in (sozialen) Berufen über ihre Kräfte hinaus engagiert haben, an einem solchen „Krankheitsbild“ leiden?
Besondere Prägnanz bekommen diese Befunde, wenn man sich die Ergebnisse von psychisch erkrankten Jugendlichen ansieht. Diese sind noch etwas orientierungsloser als ihre gesunden Altersgenossinnen und Altersgenossen. Wobei wiederum gerade diejenigen, die bei Aufnahme in eine psychosomatische Fachklinik keine beruflichen Ziele angeben können, auch diejenigen sind, die (bei vergleichbarem Schweregrad bei Aufnahme) den deutlich schlechteren Therapieverlauf haben. Die dee, wonach man erst einmal gesund werden muss, um sich anschließend mit seinen beruflichen Zielen beschäftigen zu können, mag logisch klingen. Sie funktioniert aber nicht. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wer weiß, wo er im Leben hinwill und si…
Sophia Magdalena Hillert, Psychologie-Studentin (M.Sc.), DHGS Berlin, Nürnberg und Prien am Chiemsee