Brauchbare Illegalität – Über Regelbrüche in Organisationen  

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Offizielle Regeln sind nicht immer sinnvoll und führen zur besten Lösung. Doch ein offener Austausch über Regelbrüche ist nicht möglich. Welche Umwege dabei helfen können.

Organisationen brauchen Regeln, um möglichst reibungslos funktionieren zu können. Aber nicht jede Regel ist auch in jeder Situation sinnvoll. Doch wie geht man mit Abweichungen um? Ob sie brauchbar oder unbrauchbar sind, hängt immer davon ab, wer darauf schaut. Geht es darum, dass einzelne Abteilungen durch das Brechen gesamtorganisationaler Regeln ihre Leistungen optimieren oder dass sie sich durch strikte Regelkonformität mit den Vorgaben der Gesamtorganisation anpassen? Geht es eher um kurzfristige Gewinnmaximierung durch ein aggressives Agieren auch am Rande der Legalität, oder geht es um den langfristigen Aufbau von gesellschaftlicher Legitimation durch das strikte Befolgen von Gesetzen?

Die Schwierigkeit bei der Beantwortung dieser Fragen ist, dass je nach betroffener Stelle zwangsläufig ganz unterschiedliche Bezugsprobleme gesehen werden. In Organisationen wird deswegen permanent ausgehandelt, welche davon als zentral anzusehen sind.

Meist finden diese Aushandlungen in formal abgesicherten Kommunikationssettings statt. Es werden Workshops abgehalten, in denen neue strategische Ausrichtungen diskutiert werden, Großkonferenzen veranstaltet, in denen sich eine Verortung zwischen widersprüchlichen Anforderungen ausbildet, oder Krisensitzungen einberufen, in denen der Umgang mit einem aktuellen Problem festgelegt wird. Die Herausforderung bei Diskussionen über die Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit von Gesetzesverstößen und Regelabweichungen besteht just darin, dass sich diese den üblichen kommunikativen Zugriffen und formalen Aushandlungsmechanismen entziehen.

Zensureffekte und Tabus

Organisationen stecken daher in einem grundlegenden Dilemma. Auf der einen Seite bräuchten sie einen offenen Austausch darüber, wie sinnvoll eine Regelabweichung für ihre Handlungsabläufe ist. Nur so kann geklärt werden, ob ein Problem der Organisation nur durch eine mehr oder minder intelligent gemachte Regelabweichung gelöst werden kann oder ob eine Regelabweichung lediglich einzelnen Personen nutzt, der Organisation aber bessere Lösungen zur Verfügung stehen. Auf der anderen Seite besteht eine große Schwäche funktionaler Regelabweichungen und brauchbarer Illegalitäten darin, dass sie kaum offen diskutiert werden können. In offiziellen Settings lässt sich daher nicht besprechen, ob sie als beste Lösung akzeptiert werden sollten oder ob es sinnvollere, mit der Formalstruktur vereinbare Vorgehensweisen gibt.

Welche Möglichkeiten existieren, trotz der permanent drohenden Zensureffekte über solche Themen wenigstens in einem eingeschränkten Radius sprechen zu können?

Au…

Professor Dr. Stefan Kühl ist promovierter Soziologe und Professor für Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld sowie Senior Consultant der Beratungsfirma Metaplan in Quickborn

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