Deepfakes: Weniger berührend

Eine Studie zur Wahrnehmung und emotionalen Bewertung von computergenerierten Gesichtern zeigt, dass reale Gesichter mehr berühren – aber nur bei positiven Emotionen.

Sie sehen täuschend echt aus, sind aber von Künstlicher Intelligenz (KI) erzeugt: Sogenannte Deepfakes, künstlich generierte Bilder oder Videos, die uns immer häufiger begegnen. Bislang war unklar, wie sich unsere Annahmen darüber, ob ein abgebildetes Gesicht realen Ursprungs ist oder nicht, darauf auswirkt, wie wir es wahrnehmen und wie wir darauf reagieren.

Die Forschenden Anna Eiserbeck, Martin Maier, Julia Baum und Rasha Abdel Rahman von der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und vom Exzellenzcluster Science of Intelligence (SCIoI) haben mittels Gehirnstrommessungen untersucht, wie diese Annahmen über die Echtheit von Bildern psychologische und neuronale Messgrößen der Gesichtswahrnehmung beeinflussen. Ergebnis: Ein computergeneriertes Lächeln wirkt – auf mehreren Ebenen – weniger berührend.

Wirkung abhängig von Gesichtsausdruck

Bei Gesichtern, die als Deepfake gekennzeichnet waren, zeigten die Teilnehmenden geringere Wahrnehmungs- und Gefühlsreaktionen und ein langsamerer Bewertungsprozess als bei Gesichtern, die als echt gekennzeichnet waren, berichtet der experimentelle Psychologe und SCIoI-Forscher Martin Maier. Diese Unterschiede gab es bei negativen Gesichtsausdrücken nicht. Die Teilnehmenden reagierten auf diese Bilder in gleicher Weise und unabhängig davon, ob sie für echt oder für Deepfakes gehalten wurden. Die Reaktionen wurden mittels Elektroenzephalogramm (EEG) gemessen, also anhand der elektrischen Aktivität an der Kopfhaut der Studienteilnehmenden. „Die Ergebnisse zeigen zum ersten Mal, dass es einen Unterschied in der psychologischen Wirkung von positiven und negativen Gesichtsausdrücken gibt, die von Deepfakes dargestellt werden“, so Maier.

Diese neuen Erkenntnisse werden nach Ansicht der Forschenden Relevanz für die gesellschaftliche Debatte um den Umgang mit Deepfakes und ihre Regulierung haben. „Auch wenn Bilder von echten und computergenerierten Gesichtern an sich nicht unterscheidbar sind, könnten Wahrnehmung und emotionale Reaktionen darauf unterschiedlich ausfallen“, sagt Rasha Abdel Rahman, Professorin für Neurokognitive Psychologie an der HU und Forschungsleiterin am Exzellenzcluster SCIoI. Entscheidend sei, ob die Betrachter wissen, dass sie ein echtes oder ein künstlich generiertes Gesicht vor sich haben.

Die Forschenden untersuchten auch, wie sich die Reaktion des Gehirns auf Bilder von Gesichtern im Laufe der Verarbeitung entwickelt. Dabei konzentrierten sie sich auf drei Phasen: die frühe visuelle Wahrnehmung (bis zu 200 Millisekunden, nachdem ein Gesicht gezeigt wurde, bevor wir uns überhaupt bewusst sind, dass wir es gesehen haben), die reflexive emotionale Verarbeitung (200 bis 350 Millisekunden, die unsere unmittelbaren emotionalen Reaktionen widerspiegelt) und die bewertende Verarbeitung (350 Millisekunden und später, die eine überlegtere Betrachtung kennzeichnet). Die Messergebnisse zeigen, dass die typischen frühen visuellen und emotionalen Reaktionen schwächer ausfallen, wenn Menschen ein Lächeln betrachteten, von dem sie glauben, es sei durch Deepfake-Technologie erzeugt worden.

Die Ergebnisse dieser Studie tragen maßgeblich zum Verständnis der verhaltensbezogenen und neuronalen Dynamik der menschlichen Interaktion mit KI-generierten Gesichtern bei. Ein tiefgreifendes Verständnis der psychologischen und neuronalen Auswirkungen von Deepfake-Technologie ist von zentraler Bedeutung, um ihr Potenzial zum Nutzen der Gesellschaft zu gestalten und um die Gesellschaft widerstandsfähiger gegenüber den Herausforderungen zu machen, die diese Technologie mit sich bringt.

Relevanz für KI-erzeugte Inhalte

Die Erkenntnisse können auch im Marketing, Verkauf und in der Dienstleistung Auswirkungen haben, wo bereits computergenerierte Gesichter eingesetzt werden. Wer etwa beim Einchecken ins Hotel von einem lächelnden Deepfake-Gesicht begrüßt wird, reagiert weniger emotional als auf echtes Gesicht. Denn das Wissen um die Künstlichkeit der Figur kann die Wirkung insbesondere bei positiven Emotionen beeinträchtigen. Das gilt auch bei Filmen, die KI einsetzen, um frühere Filmfiguren wieder aufleben zu lassen. Die Mimik der künstlich erzeugten Figuren wirkt nicht so lebendig und echt wie die eines Schauspielers oder einer Schauspielerin.

Bei Desinformationskampagnen wiederum deuten die Ergebnisse darauf hin, dass künstlich erzeugte negative Inhalte ihre Wirkung auch dann entfalten, wenn die Betrachtenden vermuten, dass die Bilder gefälscht sind

Die Studie ist in der Zeitschaft Nature  erschienen.

Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.

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