Die Masken der Psychopathen. Wie man sie durchschaut und nicht zum Opfer wird

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Schon wieder ein Buch über Buch über Psychopathen? Schließlich bekommt man derzeit mit nichts mehr Aufmerksamkeit als mit Veröffentlichungen über Psychopathen und Narzissten. Denn – so die meist vertretene These – sie lauern überall.

Doch die Autoren Heinz Schuler und Dominik Schwarzinger sind Wissenschaftler. Professor Heinz Schuler, der im August 2021 mit 76 Jahren verstorben ist, gilt als Begründer der deutschsprachigen Personalpsychologie und galt als führender Wissenschaftler auf den Gebieten Berufseignungsdiagnostik und Leistungserfassung. Er hat zusammen mit Dominik Schwarzinger, der heute Professor an der Hochschule für Medien. Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Berlin ist, den ersten berufsbezogenen Test zur Dunklen Triade TOP entwickelt. Die beiden wissen also – im Gegensatz zu vielen anderen Möchtegern-Experten und Profilerinnen – worüber sie schreiben.

Es beginnt mit den Beschreibungen von drei Personen, die offenkundig psychopathische Züge haben: James Bond, Napoleon Bonaparte und Pablo Picasso. Dann kommt ziemlich unvermittelt ein Selbsttest, der eigentlich erst für den Schluss des Buches vorgesehen war. Offenbar dachte der Verlag, das ist besser. Er lehnt sich das an Testverfahren von Robert D. Hare an, das als Goldstandard in der Psychopathie-Forschung gilt. Nur sehr wenige werden bei einem Punktwert von Null landen, ebenfalls nur sehr wenige werden bei einem Punktwert landen, der für eine echten Psychopathen steht.

Denn mit den Psychopathie-Merkmalen ist es wie mit anderen Persönlichkeitsmerkmalen: Sie sind dimensional. Das heißt, (fast) jeder hat psychopathische Merkmale und die können durchaus nützlich sein. Man ist also nicht Psychopath oder nicht. Man hat mehr oder weniger ausgeprägte psychopathische Züge. Psychopathie ist zudem ein komplexes Syndrom, das aus verschiedenen Bestandteilen besteht. Es müssen nicht alle vorhanden sein und nicht alle gleich stark ausgeprägt sein. Und es müssen viele vorliegen für eine klare Diagnose.

Es folgt ein kurzer Abriss der Geschichte der Psychopathie. „Psychopathie ist eine von der Wissenschaft gründlich erforschte antisoziale Persönlichkeitsstörung.“ Ein wichtiger Aspekt: Psychopathen sind nicht verwirrt, unzurechnungsfähig oder leben und handeln in einer Traumwelt oder Wahnvorstellung, wie es Schizophrene zuweilen tun. Sie handeln bewusst, mit „voller, kalten, instrumenteller Absicht“. Das ist auch der Grund, warum sie meist – wenn sie etwas Strafbares getan haben – im regulären Strafvollzug landen und nicht in die geschlossene Psychiatrie kommen. Sie tragen die Maske der Normalität.

Erfasst wird Psychopathie häufig mit der Psychopathy Checklist (PCL) von Robert D. Hare. Dabei lassen sich vier Facetten unterscheiden: ein betrügerischer interpersonaler Stil, affektive Defizite/emotionale Kälte, ein impulsiver, verantwortungs- und zielloser Lebenswandel und eine kriminelle, antisoziale Vorgeschichte und Verhaltensweisen. Die meisten Menschen haben subklinische Werte. Sie sind also keine echten Psychopathen.

Etwa 15 Prozent der Bevölkerung haben überdurchschnittliche subklinische Psychopathie-Werte – vorsichtig gerechnet etwa sieben Millionen Menschen in Deutschland. Sie sind allerdings keine Serienmörder, sondern Menschen, mit denen wir täglich zu tun haben. Echte Psychopathen sind weitaus seltener, ein bis zwei Prozent der Bevölkerung.

Ein Kapitel widmet sich den Psychopathen im Alltag. Ein Kennzeichnen ist ihr parasitärer Lebensstil. Sie leben von der Arbeit anderer und von ihrem Geld. Sie manipulieren andere, sie biedern sich an, zeigen Interesse, werten den anderen auf, sind charmant, begehrenswert und dann schnappt die Falle zu. Denn Freundschaft besteht stets aus Gegenseitigkeit. Der Psychopath denkt jedoch ausschließlich an sich selbst. Er nützt andere aus.

Zwei Kapitel drehen sich um Psychopathen im Berufsleben. Die Zusammenstellung sei nicht einfach und zwar aufgrund der oberflächlichen und anekdotischen Natur der Darstellungen. Echte empirische Studien mit Personen mit belastbaren Psychopathie-Werten waren viele Jahre kaum vorhanden. Psychopathen bevorzugen realistische Tätigkeiten (Handwerk- und technische Berufe) und unternehmerische Aktivitäten. Denn Letzeres verspricht Ansehen, Einfluss, Macht und Reichtum. Unter Wirtschaftsstudenten finden sich höhere Psychopathie-Werte als unter Psychologe-Studenten.

Besonders angezogen fühlen sie sich von hohen Management-Positionen. Drei bis vier Prozent echte Psychopathen gibt es bei Führungskräften und sechs Prozent liegen im Graubereich. Die Zahlen basieren auf einer amerikanischen Studie von 2010, bei der über 200 Manager untersucht wurde. Dabei zeigte sich, dass der Faktor Charisma und Selbstdarstellung eine positive Beziehung mit Psychopathie und Verantwortlichkeit und Leistung eine negative Beziehung mit Psychopathie hat. Es wird detailliert erklärt, auf welche Faktoren Psychopathie Einfluss hat.

Einen echten Psychopathen als Chef hat nur etwa jeder fünfzigste. Viel größer ist die Gefahr, einen Kollegen mit mittelschwerer bis starker Ausprägung zu haben. Sie nutzen einen aus, lassen einen fallen, wenn man uninteressant ist und wechseln von freundlich und charmant zu abfällig und abwertend. Am besten ist, man achtet schon auf der Personalauswahl auf psychopathische Merkmale und stellt ihn gar nicht erst ein.

In dem Kapitel „Wie wird man ein Psychopath?“ wird auf erbliche Anteile angegangen. Aber auch hier ist alles nicht so eindeutig. Auch wenn ein erblicher Teil ohne Zweifel vorhanden, ist nicht klar, welche Rolle die Umwelt spielt – zumindest eine nicht unerhebliche.

In der „Evolutionstheoretischen Betrachtung“ gehen die Autoren der Frage nach, warum es überhaupt Psychopathen gibt. Evolution ist mit dem Prinzip der Konkurrenz verbunden. Aggression wird zur Selbsterhaltung. Wer besser lügt, setzt sich durch. Und Psychopathen haben aufgrund ihres promiskuitiven Sexuallebens mehr Nachwuchs und da Psychopathie eine erbliche Komponente hat, geben sie ihre Verhaltenstendenzen an ihre Kinder weiter. Deshalb – so postulieren die Autoren – gibt es auch weniger weibliche Psychopathen. Frauen haben keinen reproduktiven Vorteil.

Wie erkennt man nun Psychopathie? Dabei gibt zwei Fehler: Wir können „Unschuldige“ für Psychopathen halten und wir können Psychopathen für harmlos halten. Beides hat schädliche Auswirkungen.  Die Autoren plädieren für Augenmaß und Besonnenheit und nicht – wie andere selbst ernannte Experten – auf das schnelle Urteil. Sie beschreiben detailliert, an welchen Verhaltensweisen man Psychpathen erkennt. Zum Umgang mit Psychopathen haben sie vor allem einen Tipp: Gehen Sie den Menschen aus dem Weg, die sich psychopathisch verhalten. Lassen Sie sich nicht provozieren. Brechen Sie den Kontakt ab oder reduzieren sie ihn auf das Nötigste und machen Sie sich nicht klein.

Die Autoren geben einen detaillierten Einblick in das komplexe Phänomen Psychopathie. Sie erläutern Hintergründe und wissenschaftliche Erkenntnisse und warnen vor schnellen Urteilen. Heinz Schuler hatte das Buch schon 2020 weitgehend geschrieben und war enttäuscht von den Verlagen, denen er das Mauskript anbot und die das Buch „zu akademisch“ fanden  und eine Veröffentlichung ablehnten. Sie wollen es eben lieber reißerischer und unseriöser.

Heinz Schuler; Dominik Schwarzinger:  Die Masken der Psychopathen. Wie man sie durchschaut und nicht zum Opfer wird, München: C.H. Beck Verlag, September 2022, 256 Seiten, 18 Euro

 

Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.

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