Gewicht und Gehalt – Das ewige Dilemma

pixabay Oleksandr Pidvalnyi

Gehaltsangaben in Stellenanzeigen sind noch immer tabu. Warum eigentlich?

Bitte bewerben Sie sich unter Angabe Ihrer Gehaltsvorstellungen. So oder so ähnlich steht es in tausenden Stellenanzeigen. Vielleicht haben Sie sich selbst schon mal auf so eine Anzeige beworben. Haben Sie Ihre Gehaltsvorstellungen auch schön brav angegeben? Und wenn nicht? Werden Sie dann deswegen erst gar nicht eingeladen? Sie werden es wahrscheinlich nie erfahren, ob das der Grund war. Wenn Sie eine Absage bekommen. Denn eine Absage und dann auch noch mit (konstruktivem) Feedback, ist genauso beliebt wie Gehaltsangaben in Stellenanzeigen.

Oder wie Gewichtsangaben. Meiner Meinung nach wird in Deutschland über fast nichts so ungern gesprochen, wie über das Gewicht oder das Gehalt. Obwohl beim Stammtisch dann schon gerne heimlich spekuliert wird, was der Nachbar wohl jetzt verdient, bei dem neuen Auto, das er sich schon wieder gekauft hat. Wie dem auch sei. Von dem einen hätte man gerne etwas mehr, von dem anderen darf es vielleicht auch etwas weniger sein. Glücklicherweise muss man als Bewerber und Bewerberin keine Gewichtsangabe machen. Obwohl man als schlanke Frau oder wohlgenährter Mann, durchaus bessere Chancen bei der Gehaltsverhandlung hätte, laut Professor Marco Caliendo. Der Ökonom hat sich in einer Studie von 2015 mit dem Zusammenhang von Karriere und Körpergewicht aus der Forscherperspektive gewidmet. Aber das ist ein anderes Thema.

Nein, die Bewerbenden müssen erst einmal in Vorleistung gehen und geben bitte ihren Gehaltswunsch an. Mit welchem Mehrwert? Das HR direkt aussortieren kann, bei zu hohem Gehaltswunsch? Und was ist denn eigentlich ein realistischer Gehaltswunsch? Selbst die Orientierung an Stellentitel ist selten hilfreich. Ein Senior in der einen Branche verdient manchmal weniger als eine leitende Angestellte in einer anderen Branche. Wie die Juristen gerne sagen, es kommt drauf an. Und zwar auf Branche, Betriebsgröße, Tarifvertrag etc. Hilft uns das weiter? Leider nein.

Insbesondere für Berufseinsteiger und Berufseinsteigerinn ist der Gehaltsdschungel aufgrund fehlender Erfahrung schwierig zu überblicken. Sie werden von Freunden, Eltern, Bekannten und unzähligen Plattformen mit unterschiedlichen Zahlen konfrontiert. Auch Xing prognostiziert bekanntlich Gehälter über das Sammeln von Gehaltsdaten. Die Nachricht einer Rekruiterin an mich als kleine Anekdote: „P.S. die in der Stellenanzeige prognostizierte Gehaltsangabe ist natürlich nicht korrekt, da spielt XING einen Streich.“ Ich habe mehr gelacht, als ich sollte. Auf meine Nachfrage, wie denn das tatsächliche Gehalt ist, habe ich bis heute keine Antwort erhalten. Die Kandidatinnen, egal ob berufserfahren oder Einsteigerinnen tappen also im Dunkeln. Wenn es nur eine Lösung geben würde…

Bewerberinnen sowie einige Personalerinnen fordern schon länger, das Gehalt in Stellenanzeigen anzugeben. Und wenn nicht das fixe Gehalt, dann zumindest eine Gehaltsspanne. Es würden sich nur diejenigen bewerben, für die die Spanne auch passend ist. Es gehen, laut einer Studie des Recruitingunternehmens Softgarden von 2020 sogar mehr Bewerbungen ein. Undda durch die Transparenz in Bezug auf das Gehalt eine erste Selbstselektion stattfinden kann. Siehe Attraction-Selection-Attrition-Model (ASA). Es fokussiert den Gedanken auf den Personen-Organisations-Fit, das heißt die Passung der Wertvorstellungen der Organisation und der Werte der bewerbenden Person. HR würde Hiring Costs sparen und die Candidate Journey würde besser beginnen. Mit Transparenz. Klingt nach einer Win-Win Situation oder?

Doch da ist noch etwas. Richtig, die „German Angst“. Während es in Österreich und anderen Ländern schon eine Pflicht zu Gehaltsangaben in Stellenanzeigen gibt, wird in Deutschland wild argumentiert, warum das auf keinen Fall geht. Ein paar Beispiele: Dann bewirbt sich erst recht keiner. Da ist dann kein Spielraum für Verhandlungen. Dann steht die halbe Abteilung beim Chef für neue Gehaltsverhandlungen im Büro, da nicht alle das Gleiche verdienen. Das ist historisch gewachsen. Das haben wir schon immer so gemacht.

Das sind alles nicht zu unterschätzende Argumente, wenn man ein Arbeitgeber ist, der vielleicht wirklich unterdurchschnittlich bezahlt, gerne noch stark nach unten verhandelt oder ein ungerechtes Gehaltsgefüge innerhalb des Unternehmens etabliert hat. Alle anderen sollten sich darauf verlassen, dass die Gehaltsangabe ein wichtiges, aber nicht das einzige Motiv für eine Bewerbung ist, wenn die weichen Faktoren ebenfalls stimmen. Und nicht zu vergessen, die Bewerber und Bewerberinnen wollen diese Transparenz.

Geben Sie also gerne die Gehaltsangaben an, ihr Gewicht können Sie ja immer noch für sich behalten. Und auch wenn es nicht sofort für jede Stelle umsetzbar ist, da noch nicht jeder Hiring Manager überzeugt werden konnte, versuchen Sie es Schritt für Schritt. Man nimmt bekanntlich auch nicht über Nacht zu oder ab. Aber wenn man dranbleibt, macht es sich positiv bemerkbar und man fragt sich, warum man das nicht schon viel eher gemacht hat. Das Dilemma ist gelöst.

Theresa Touloupis, M.Sc. Wirtschaftspsychologie ist Leiterin Personalrecruiting bei der Diakonie Mark-Ruhr in Hagen

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