Erfolgreich durch bewusste Führung

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Gute Führung ist abhängig von der Führungsumwelt. Nur wer sich aktiv damit auseinandersetzt, wird erfolgreich sein. Denn es ist weder die Aufgabe der Personalabteilung noch der Geschäftsleitung ihren Führungskräften zu vermitteln, wie sie zu führen haben.

Wenn Führungskräfte schlecht führen, führen sie meist irgendwie. Sie wurden in diese Rolle gehoben, erfuhren vielleicht die eine oder andere Schulung oder orientieren sich an irgendwelchen Vorbildern, wobei es unklar scheint, welche Vorbilder warum für geeignet erscheinen. In diesem Beitrag werden daher Überlegungen zu bewusster Führung angestellt. Diese Überlegungen bilden einen Gegenpol zu Führung, die irgendwie erfolgt. Es wird deutlich, dass gute Führungskräfte ihre dauerhafte Führungsumwelt reflektieren und verstehen. Sie entwickeln darauf aufbauend ein Führungsverständnis und vermitteln dieses ihren Geführten. Die Entwicklung dieses Führungsverständnisses liegt in der Verantwortung der Führungskraft. Sie sind sich nicht nur im Klaren, welche Rolle sie einnehmen, sondern schaffen diese Klarheit in ihrem Umfeld. Die Vermittlung dieses Führungsverständnisses erfolgt durch Kommunikation, bewusstes Handeln und die Verwendung kompatibler Führungsinstrumente.

Stellen wir uns eine Führungskraft vor, die sich offenbar mit Führung schwertut und stellen uns die Frage, warum das so ist. Tatsächlich beschäftigt man sich in der Praxis vor allem dann mit dem Thema Führung, wenn es nicht so gut zu laufen scheint. Nicht selten stellen sich Führungskräfte diese Frage selbst. Man darf annehmen, dass Führungskräfte nicht glücklich sind, sollten sie auch nur das Gefühl haben, ihre Führung sei nicht in dem Maße wirksam, wie sie selbst, ihre Geführten oder die nächsthöhere Führungskraft es erwarten. Man begegnet in der Praxis sehr häufig Führungskräften, die überdurchschnittlich viel und lange arbeiten, eine gute Führungskraft sein wollen, aber aus irgendwelchen Gründen scheitern. Warum oder woran scheitern sie? Die folgenden Überlegungen bieten eine schrittweise Erklärung dafür und damit einen Reflexionsrahmen für bewusste Führung.

Führungsumwelt unbekannt

Führungskräfte führen häufig auf eine bestimmte Weise, weil es ihrem persönlichen Naturell, ihrer Persönlichkeit und ihren Erfahrungshintergründen entspricht. Irgendwie haben sie einen Stil entwickelt und selten weiß man, wo dieser herrührt. Zunächst scheint das in Ordnung, schließlich hört man in der Praxis nicht selten den Ruf nach Authentizität. Sei wie Du bist! Verstelle Dich nicht. Ist diese Art der Führung aber auch kompatibel mit der Führungsumwelt, in der sie führen? Die Führungsumwelt beschreibt die dauerhaften Rahmenbedingungen innerhalb derer Führungskräfte agieren. Arbeiten die Geführten an standardisierten, repetitiven Aufgaben mit klaren Ergebnissen und klaren Prozessen oder arbeiten sie an Projekten, deren Ausgang und Weg dahin von Anfang an unklar ist? Arbeiten sie arbeitsteilig oder vernetzt, voneinander abhängig in Teams? Ist die Führungskraft ihren Geführten fachlich überlegen oder ist das Gegenteil der Fall? Arbeitet man meist unter Zeitdruck oder hat man normalerweise Zeit, Entscheidungen zu Ende zu denken? Arbeiten die Geführten an ein und demselben Ort oder örtlich verteilt bzw. zuhause?

Es ist ein Unterschied, ob man als Führungskraft eine Gruppe von Sachbearbeitern führt oder ein Team von Wissenschaftlern. Es ist ein Unterschied, ob man eine chirurgische Operation leitet oder ob man mit einem Team eine langfristige Strategie für ein Unternehmen entwickelt. Entsprechend unterschiedlich muss eine Führungskraft führen. Und wenn sie nicht erkennt, wie ihre Führungsumwelt beschaffen ist, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie ein Verhalten an den Tag legt, das mit dieser Umwelt nicht kompatibel ist. Mit der weithin bekannten Idee situativer Führung hat dies nichts zu tun. Situationen sind akut. Umwelten sind eher beständig, auch wenn sich diese über die Zeit verändern können.

In der Praxis begegnet einem sehr häufig der Fall, in dem  eine Führungskraft aus einem Bereich in einen anderen wechselt oder von einem Unternehmen in ein anderes. Nun mag sie in ihrer bisherigen Umwelt erfolgreich gewesen sein – ein Grund, warum sie die neue Stelle angeboten bekommen hat. Sollte diese Führungskraft nun auf die Idee kommen, in der neuen Umwelt denselben Stil an den Tag zu legen, wie in ihrer vorherigen Umwelt, läuft sie Gefahr, zu versagen. Und weil sie aufgrund ihrer bisherigen Erfolge von ihren Qualitäten überzeugt ist, könnte sie dazu neigen ihre Umwelt für das Versagen verantwortlich zu machen. Verständlich wäre das. Professionell ist das nicht. Erfolgreiche Führungskräfte reflektieren bewusst, in welcher Führungsumwelt sie wirken und sind in der Lage, deren Besonderheiten zu artikulieren.

Kein klares Führungsverständnis

„Nehmen Sie bitte einen Zettel und schreiben Sie auf, wie Sie führen“. So lautet eine einfache Übung, die man jeder Führungskraft ans Herz legen kann. Erfahrungsgemäß sind die Ergebnisse dieser Übung häufig sehr ernüchternd. Man erntet Antworten, wie diese: „Das kann man so pauschal nicht sagen“, „Ich führe intuitiv“, „Mein Führungsstil ist situativ, hängt also von der Situation ab“. Vermutlich würde man bei kaum einem Beruf Antworten wie diese akzeptieren. Fragt man etwa einen Koch, wie er den Rehrücken zubereitet, erhält man vermutlich eine klare Antwort.

Wenn Führungskräfte nicht wissen, wie sie führen, dann ist das in hohem Maße riskant. Sie sind nicht in der Lage, im Sinne einer Klarheit und Verlässlichkeit Vertrauen zu ihren Geführten aufzubauen. Ihr Verhalten ist willkürlich und aufgrund mangelnder Reflexion schlichtweg unangemessen. Wirksame Führung hingegen basiert auf einem klaren Führungsverständnis.

Nun ist „Führungsverständnis“ ein großes Wort für etwas scheinbar Diffuses. Was ist denn ein Führungsverständnis? Ein Ansatz, das zu begreifen, besteht darin, in Führungsrollen zu denken. Man kann vier Führungsrollen unterscheiden: den Boss, den Coach, den Partner und den Befähiger.

  • In der Rolle des Bosses trägt die Führungskraft die Verantwortung für die Leistung ihres Teams. Sie hat klare Vorstellung von den Ergebnissen und den Wegen dorthin. Daher macht sie klare Ansagen und kontrolliert die Leistung ihrer Geführten. Die Rolle des Bosses entspricht sicherlich dem, was man auf stereotype Weise mit einem „Chef“ assoziiert.
  • In der Rolle des Coaches überträgt die Führungskraft so viel Verantwortung wie möglich auf die Geführten. Auf Fragen reagiert sie mit Gegenfragen. Bei Problemen bittet sie die Geführten um Vorschläge. Die Führungskraft vertraut auf die intrinsische Motivation, Kompetenz und das Potenzial der Geführten.
  • In der Rolle des Partners teilt die Führungskraft die Verantwortung mit ihren Geführten. Sie wirkt auf gemeinsame Entscheidungen und Problemlösungen hin. Dabei agiert sie im Wesentlichen moderierend und vertritt die Ergebnisse des Teams, selbst dann, wenn sie persönlich eine andere Sichtweise vertritt.
  • In der Rolle des Befähigers trägt die Führungskraft die Verantwortung für die Leistungsfähigkeit ihrer Geführten. Sie stellt die Rahmenbedingungen sicher, die auf Seiten der Geführten nötig sind, um gute Leistung zu erbringen.

Ein klares Führungsverständnis zu haben, bedeutet, sich eine oder zwei Rollen als primäre Führungsrollen dauerhaft und bewusst zu Eigen zu machen. Natürlich muss eine Führungskraft mehr oder weniger alle Rollen spielen können. Hier geht es aber um eine Art „Default Setting“, eine Grundhaltung, die man im Normalfall einnimmt. Fragt man erfolgreiche Führungskräfte, wie sie führen, liefern sie meist freudig und spontan eine erstaunlich klare, reflektierte Antwort.

Die Führungskraft führt nicht

Neben diesen vier Rollen gibt es eine fünfte, nicht funktionale Rolle. Sie besteht darin, gar nicht zu führen. Entscheidungen werden ausgesessen. Fragen und Probleme werden ignoriert. Die Führungskraft ist im Erleben der Geführten nicht präsent. Sie vermittelt Gleichgültigkeit oder Beliebigkeit. In manchen Situationen entscheiden sich Führungskräfte bewusst für diese Rolle und vermitteln sie gegenüber ihren Geführten. „Tun Sie einfach, was Sie wollen. Halten Sie mir diese Themen vom Hals. Es interessiert mich nicht. Also fragen Sie mich dazu nicht. Egal, was Sie machen, es ist für mich in Ordnung“. Vielleicht gibt es Umwelten, in denen diese Rolle angemessen ist. Manche würden diesen Stil mit „Laissez-fair“ oder „Loslassen“ assoziieren. Jedenfalls hat diese Rolle mit Führung nichts zu tun und es braucht viel Fantasie, sich eine Führungsumwelt vorzustellen, in der diese Rolle wirklich zu den besten Ergebnissen führt.

Es liegt die Annahme nahe, dass Führungskräfte unter anderem deshalb nicht führen, weil sie nicht wissen, wie sie dies tun sollen. Sie finden sich in einer Umwelt wieder, in der ihnen ihre Rolle nicht bewusst ist. Und wer keine Rolle bewusst annimmt, agiert nicht.

Rolle und Führungsumwelt inkompatibel

Nicht jede Führungsrolle ist mit jeder Führungsumwelt gleichermaßen kompatibel. Die Boss-Rolle ist schwer durchzuhalten, wenn die Geführten ihrer Führungskraft fachlich überlegen sind. Die Führungskraft würde viele Ideen, Vorschläge oder Konzepte schlichtweg nicht verstehen und die Geführten merkten dies. Die Partner-Rolle ist tendenziell dann geeignet, wenn die Geführten als Team arbeiten und nicht arbeitsteilig. Teamwork bedeutet schließlich, dass man Verantwortung teilt. Kundenzentriertheit legt die Coach-Rolle nahe. Werden Kundeninteressen konsequent in den Mittelpunkt gerückt, zählt die Stimme des Kunden mehr, als die Vorstellung der Führungskraft und die Geführten sind nicht selten näher am Kunden als die Führungskraft.

Insgesamt ist es schwer zu sagen, welche Merkmale der Führungsumwelt welche Führungsrollen nahelegen. Dafür ist sind die Realitäten zu komplex. Traditionelle Führungstheorien haben dies zwar versucht, enden aber meist in einer unangemessenen Pauschalisierung und Vereinfachung. Am Ende bleibt es in der Verantwortung einer Führungskraft, über die Dinge zu reflektieren. Sie muss denken. Wenn sie mit dieser Komplexität nicht umgehen kann, ist sie schlichtweg fehl am Platz. Natürlich können entsprechende Angebote des Unternehmens, wie Coaching, Führungskräfte-Workshops etc. einen wirksamen, unterstützenden Beitrag leisten.

Die Erwartungen der Geführten

Wenn eine Führungskraft primär in der Rolle eines Bosses agiert, die Geführten aber eine Führungskraft erwarten, die in der Rolle des Partners agiert, dann werden weder die Führungskraft noch die Geführten glücklich, geschweige denn produktiv. Dasselbe gilt natürlich auch für den umgekehrten Fall. Mitarbeiter, die einen Boss gewohnt sind, sich nun aber mit einem Coach konfrontiert sehen, werden überfordert sein. Sie werden das Gefühl haben, ihre Führungskraft führe nicht. Auf Fragen erhalten sie Gegenfragen. Bei Problemen müssen sie sich mit einem „Was schlagt Ihr vor?“ zufriedengeben. Was auf Seiten der Führungskraft als Vertrauen verstanden wird, interpretieren die Geführten als Desinteresse oder gar als Abweisung.

Es genügt deshalb nicht, bei Problemen allein auf die Führungskraft zu fokussieren. Vielmehr geht es um die Führungskraft-Geführten-Beziehung, und diese ist geprägt von wechselseitigen Erwartungen. Am Ende liegt es in der Verantwortung der Führungskraft, gegenüber ihren Geführten eine Klarheit in Bezug auf ihr Führungsverständnis herzustellen. Sie kann sich vor ihre Mannschaft stellen und dieses vermitteln. „Leute, Ihr seid es vermutlich nicht gewöhnt, aber wenn es in Zukunft Probleme gibt oder wenn wir entscheiden müssen, dann tun wir das gemeinsam. Erwartet nicht von mir, dass ich für jedes Problem eine Lösung kenne“. Hier spricht offensichtlich eine Führungskraft, die sich primär in der Partner-Rolle sieht. Die wirksamste Form der Vermittlung besteht aber darin, im Sinne der primären Führungsrolle zu handeln.

Beziehungen funktionieren dann, wenn den Beteiligten die wechselseitigen Erwartungen bewusst sind. Implizite, unausgesprochene Annahmen genügen nicht und entsprechen oft nicht der Realität. In der Praxis kann es daher helfen, wenn beide Seiten bewusst über diese Beziehung reflektieren. Wenn Unternehmen eine Art jährliches Mitarbeitergespräch empfehlen, dann wäre diese Reflexion der wohl wichtigste Gesprächsinhalt.

Erwartungen der höheren Führungskraft

Nicht nur die Erwartungen der Geführten, sondern auch die Erwartungen der nächsthöheren Führungskraft spielen in Bezug auf die Wirksamkeit einer Führungskraft eine Rolle. Diese Beziehung manifestiert sich auf zwei Ebenen. Zum einen lebt die übergeordnete Führungskraft ihr Führungsverständnis und entfaltet ihre primäre Führungsrolle. Zum anderen hat sie gegebenenfalls Erwartungen an die Art und Weise, wie ihre Geführten, ihrerseits Führungskräfte, agieren. Aus diesem Zusammenspiel können Konflikte und systemische Brüche entstehen. So mag es sein, dass sich eine Führungskraft als Coach sieht, ihre nächsthöhere Führungskraft aber nicht nur aus der Boss-Rolle heraus agiert, sondern dies ebenfalls von dem oder der erwartet, die an er oder sie berichtet. Die Lösung dieser potenziellen Probleme kann nur darin bestehen, dass Führungskräfte unterschiedlicher Ebenen diese Themen gemeinsam reflektieren und in gewisser Weise auch verhandeln. Dies ist in den meisten Fällen eine sehr anspruchsvolle Aufgabe und erfordert ein hohes Maß an sozialem Reflexionsvermögen.

Instrumente im Widerspruch

Eine Ursache für schlechte Führung kann in den Aktivitäten der Personalabteilung liegen. Dies mag zunächst überraschen, sieht sich das Human Resources Management doch in einer Rolle, Führungskräfte zu entwickeln oder gar für eine hohe Führungsqualität zu sorgen. Nur leider ist oft genug zu beobachten, dass diese wohlgemeinten Bemühungen zu nicht-intendierten, negativen Konsequenzen führen.

Ein Beispiel hierfür sind Führungsinstrumente, die immer, ob man will oder nicht, ein bestimmtes Führungsverständnis implizieren. Man denke hier an Führungskräftebeurteilungen, an das jährliche Mitarbeitergespräch inklusive der Leistungsbeurteilung, Zielvereinbarung etc. Und nicht selten kollidiert das implizite Führungsverständnis, das hinter einem Instrument steht, mit dem Führungsverständnis einer Führungskraft. So sehen sich in vielen Unternehmen alle Führungskräfte aufgefordert, mit ihren Mitarbeitern individuelle Ziele zu vereinbaren oder sie jährlich, formal zu beurteilen. Zugleich wissen aber gute Führungskräfte in bestimmten Führungsumwelten, dass individuelle Ziele schädlich für die Teamarbeit sind – zumindest fühlen sie es auf diffuse Weise. Führungskräfte, die in der Rolle des Coaches oder des Partners agieren, werden es vermeiden, ihre Mitarbeiter formal zu beurteilen, während Bosse damit kein Problem haben. Sollte eine Personalabteilung auf die Idee kommen, Instrumente zu implementieren oder zu empfehlen, dann tut sie gut daran, selbst über die Vielfalt der Führungsumwelten zu reflektieren und sich darüber klar zu sein, welche Führungsverständnisse mit den jeweiligen Instrumenten transportiert werden.

Es ist weder die Aufgabe der Personalabteilung, noch der Geschäftsleitung, den Führungskräften zu vermitteln, wie sie zu führen haben. Wirksame Führungskräfte kommen nicht umhin, sich selbst, aktiv und bewusst mit ihrer Führungsumwelt und ihrer Rolle darin auseinanderzusetzen. Es ist auch ihre Aufgabe, auf Seiten ihrer Geführten eine Klarheit hierfür herzustellen. Da helfen auch keine übergeordneten Leitsätze, die offenbar den Versuch darstellen, den Führungskräften diese Hausaufgabe abzunehmen. Es reicht auch nicht, wenn die Personalabteilung mittels wohlgemeinter Instrumente diktiert, was gute Führung zu sein scheint. Nachdenken, Reflexion, Vermittlung ist gefordert. Und wenn sich daraus am Ende ergibt, dass unterschiedliche Führungskräfte unterschiedlich führen, dann ist das nicht nur in Ordnung, sondern die natürliche Folge einer bewussten Auseinandersetzung mit diversen Führungsumwelten.

Weiterführende Literatur

Trost, A. (2022). Das richtige Führungsverständnis. Wie Sie Ihre Führungsrolle definieren, vermitteln und wirksam umsetzen. Heidelberg: SpringerGabler.

Professor Dr. Armin Trost, Diplom-Psychologe, Professor für Arbeit- und Organisationspsychologie an der Hochschule Furtwangen

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