Flow@Work: Gehirngerecht führen – die besten Leute gewinnen und halten

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Die Autorin wird als Neurowissenschaftlerin und Keynote-Speakerin und preisgekrönte Autorin angepriesen. In ihrem aktuellen Buch möchte sie wissenschaftlich fundierte und praxiserprobte Tipps geben, wie eine gehirnfreundliche Unternehmenskultur den Anforderungen der zukünftigen Arbeitswelt gerecht werden kann. Dadurch sollen Talente gebunden, Innovationen gefördert und höhere Leistung abgerufen werden.

Zunächst werden vier chemische Substanzen vorgestellt, die uns Menschen im Wesentlichen prägen: Die Neurotransmitter Dopamin und Serotonin und die Hormone Östrogen und Testosteron. Diese stimulieren verschiedene Areale unseres Gehirns. Laut der Autorin gibt es Persönlichkeitszüge, die mit den vier verschiedenen Systemen im Gehirn mehr oder weniger stark assoziiert sind. Das hängt davon ab, wie stark das System aktiv ist. Sie nennt dies kurz Neurosignatur. Ein Mensch mit einem aktiven Dopaminsystem hat demnach eine „Dopamin-Neurosignatur“. Diese Menschen sollen sich durch Neugier, Tatkraft und Zukunftsorientierung auszeichnen. Jemand mit einer Serotonin-Neurosignatur zeichnet sich durch Zuverlässigkeit, Detailversessenheit und Loyalität aus. Menschen mit einer Testosteron-Neurosignatur sind analytisch, machtbewusst, nüchtern und verstandesorientiert. Zu guter Letzt zeichnen sich Menschen mit einer Östrogen-Neurosignatur durch Empathie aus und können persönliche Beziehungen und Gemeinschaften aufbauen.

Die Autorin spricht sich für eine flexible Arbeitswelt aus, die die Besonderheiten ihrer Typologie berücksichtigen. Spitzenführungskräfte hätten oft eine Testosteron-/Dopamin-Neurosignatur, kommen mit weniger Schlaf aus und hätten die Kraft dennoch weiterzumachen. Die meisten Neurosignaturen hätten durch Schlafmangel jedoch mit einer verminderten Leistungsfähigkeit zu rechnen. Sie schreibt ferner von positiven Effekten kürzerer Arbeitstage und welche sieben Schritte notwendig sind, um eine dafür notwendige Ergebniskultur aufzubauen.

Auch das Erleben eines „Flow“-Moments während der Arbeit, lässt sich mit neurowissenschaftlichen Vokabeln ausschmücken. Um den Dopaminspiegel zu erhöhen empfiehlt die Autorin verkürzte Meetings, mehr Bewegung, ein paar amüsante Youtube-Videos und den Tipp optimistische und positive Menschen einzustellen.

Im Folgenden behandelt die Autorin das Thema Stress und die neurophysiologischen Prinzipien dazu. So hat der Sonnenschein viele positive Effekte, die beispielsweise durch die Produktion von Cortisol erzielt werden. Das trifft jedoch nur zu, wenn der Cortisolspiegel nicht dauerhaft zu hoch ist. Sie bringt ihre Empfehlung im Umgang mit Stress so auf den Punkt: Kurzer Stress ist gut, langer Stress schlecht.

Erfreulicherweise distanziert sich die Autorin deutlich von dem umstrittenen Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI), einem fragwürdigen Persönlichkeitstest der insbesondere in Unternehmen weiterhin zum Einsatz kommt. Es ist jedoch irritierend, dass sie mit ihrem Neurosignatur-Modell ein neues Modell menschlicher Typologisierung einführen will. Wie bei anderen typologischen Verfahren, gilt auch hier. Sie sind für den Einzelfall viel zu stereotyp. Vermutlich ist der Aktivitätsgrad bei Neurotransmittern und Hormonen auch der Gaußchen Normalverteilung unterworfen. Eine Zuordnung von Menschen in wenige Kategorien ist daher zu grob. Für die Praxis von Führungskräften und Personalern ist solch eine Typologie völlig ungeeignet.

Die Anthropologin Helen Fisher wird als Quelle für dieses neurochemische System und die Prägung der Persönlichkeit genannt. Der von ihr entwickelte Test wird als einziger Persönlichkeitstest angepriesen, der neurowissenschaftlich validiert worden ist. Doch wo sind die wirtschaftspsychologischen Belege für die Relevanz in Unternehmen und die psychologischen Studien dazu?

Interessant ist auch der kurze Beitrag zur Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow, die auch heute noch in Managementbüchern und Führungskräftetrainings auftaucht. Die Basis in der pyramidalen Darstellung sind die physischen Bedürfnisse wie Essen oder Trinken, dann kommen Sicherheitsmotive, soziale Motive, Selbstwert und ganz oben die Selbstverwirklichung. Erst wenn die unteren Motive befriedigt worden sind, werden die nächsthöheren relevant. Die Theorie ist im hohen Grad unplausibel, empirisch nicht untermauert und nur noch historisch interessant. So fehlen wesentliche Motive wie Leistung oder Macht, die empirisch gut belegt sind. Die Autorin schreibt korrekt, dass Maslow sich irrte. Jedoch besteht ihre Korrektur nicht etwa in der Erläuterung der wissenschaftlichen Kritik an der Theorie. Vielmehr werden die sozialen Bedürfnisse an die Basis der Pyramide gestellt, weil wir soziale Menschen sind, die andere Menschen zum Überleben brauchen.

Um Talente im Unternehmen zu halten, möchte sie auch den Blick auf die Belange von Eltern richten. Sie spricht sich für eine Unternehmenskultur aus, die ein erfolgreiches Berufsleben und ein erfüllendes Privatleben ermöglichen, unabhängig davon ob Kinder großgezogen werden oder nicht. Sie spricht sich für eine „gehirngerechte“ Unternehmenskultur aus, die auch das Privatleben unterstützt. Dazu zählt etwa eine bezahlte Elternzeit oder mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten oder sogar eine betriebliche Kinderbetreuung. Auch spricht sie sich im letzten Kapitel gegen ein zu starkes Gruppendenken aus. Dieses zeichnet sich durch ein hohes Maß an Selbstüberschätzung und Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen aus. Die Dunkle Triade fördert Gruppendenken und sie wünscht sich, dass diese toxische Mischung von negativ besetzen Persönlichkeitsmerkmalen, rechtzeitig erkannt wird, bevor jemand eingestellt oder befördert wird.

Schlussendlich spricht sie sich für eine Neurosignatur-Diversität aus und möchte mit ihrem Buch für die Unterschiede sensibilisieren.

Das Buch beinhaltet viele richtige Tipps und Anmerkungen für den Führungsalltag, die jedoch längst bekannt sind. Auch sind viele Beschreibungen einer modernen und professionellen Unternehmenskultur sicherlich richtig und Kurzinterviews mit Management-Persönlichkeiten erhöhen das Lesevergnügen.  Scheinbar werden jedoch normale Erkenntnisse mit dem inflationär genutzten Vokabular „gehirngerecht“ und „neurowissenschaftlich“ so getränkt, dass der Eindruck entsteht, es soll möglichst modern und wissenschaftlich klingen, damit es sich besser vermarkten lässt.

Die Einführung einer neuen Persönlichkeitstypologie ist jedenfalls aus eignungsdiagnostischer Sicht nicht Stand der psychologischen Wissenschaft und gehört nicht in die Köpfe von Führungskräften. Ich sehe in dem Buch daher nur einen geringen Mehrwert für die Führungspraxis.

Friederike Fabritius: Flow@Work: Gehirngerecht führen – die besten Leute gewinnen und halten. Aus dem Englischen von Thorten Schmidt. Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2022, 295 Seiten, 26 Euro

 

 

 

Head of Human Resources Management, DocCheck AG

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