Laut einer Studie ist jeder Zehnte von Arbeitssucht betroffen und hat mehr gesundheitliche Probleme. Besonders Führungskräfte und Selbstständige sind gefährdet.
Frühmorgens ins Büro und spätabends wieder raus, zu Hause noch einmal die Mails checken, einfach nicht loslassen können: Suchthaftes Arbeiten ist kein Randphänomen, das nur eine kleine Gruppe von Führungskräften betrifft. Tatsächlich sind exzessives und zwanghaftes Arbeiten in allen Bevölkerungsschichten verbreitet. Gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung hat ein Forschungsteam vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und der Technischen Universität Braunschweig zu diesem Thema eine Auswertung auf Basis repräsentativer Daten für Deutschland durchgeführt.
Zehn Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland sind arbeitssüchtig. Sie arbeiten nicht nur sehr lang, schnell und parallel an unterschiedlichen Aufgaben, sie können auch nur mit schlechtem Gewissen freinehmen und fühlen sich oft unfähig, am Feierabend abzuschalten und zu entspannen. Das geht auf die Gesundheit: Suchthaft Arbeitende stufen ihren Gesundheitszustand etwa doppelt so häufig als weniger gut oder schlecht ein wie nicht betroffene Erwerbstätige. Deutlich häufiger als andere haben sie körperliche oder psychosomatische Beschwerden, suchen deswegen aber seltener ärztliche Hilfe.
Der weit verbreitete Begriff „Workaholic“ beschreibt das, was Forschende mit suchthaftem Arbeiten meinen, nur zum Teil. Denn im alltäglichen Sprachgebrauch wird er oft zur Beschreibung von Menschen genutzt, die einfach viel arbeiten – und dabei glücklich sind. Der zwanghafte Aspekt, der mit negativen Faktoren wie schlechter Gesundheit einhergeht, wird dabei zu wenig berücksichtigt. Die Arbeitssüchtigen arbeiten nicht nur „exzessiv“, sondern auch „zwanghaft“ – wobei Ersteres wesentlich weiterverbreitet ist als Letzteres. Ein zwanghaftes Verhältnis zum Job attestieren die Forscher Erwerbstätigen, die Aussagen zustimmen wie: „Es ist wichtig für mich, hart zu arbeiten, auch wenn mir das, was ich tue, keinen Spaß macht“, „Es fällt mir schwer zu entspannen, wenn ich nicht arbeite“ oder „Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir frei nehme“.
In der Studie untersuchen Beatrice van Berk (BIBB), Professor Christian Ebner (TU Braunschweig) und Daniela Rohrbach-Schmidt (BIBB) das Phänomen. Sie beruht auf Daten des BIBB und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, für die in den Jahren 2017 und 2018 gut 8000 Erwerbstätige zu ihrem Arbeitsverhalten und ihrem Wohlbefinden befragt worden sind. Die Ergebnisse zeigen, dass suchthaftes Arbeiten in Deutschland im Zusammenhang mit schlechterer Gesundheit steht. Dies gilt für die subjektive Selbsteinstufung des allgemeinen Gesundheitszustandes der Befragten genauso wie für die Zahl der berichteten psychosomatischen und körperlichen Beschwerden. Außerdem gehen die Betroffenen bei gesundheitlichen Beschwerden seltener zu Ärztin oder Arzt.
Die Befragten sollten sowohl eine allgemeine Einschätzung ihrer Gesundheit abgeben – ausgezeichnet, sehr gut, gut, weniger gut oder schlecht – als auch Angaben zu 22 konkreten Arten von Gesundheitsbeschwerden machen. Von Kopfschmerzen über Verdauungsprobleme und Nervosität bis zu geschwollenen Beinen. Außerdem wurde nach Arztbesuchen und Fehltagen gefragt.
Von den suchthaft Arbeitenden gaben 28 Prozent an, ihr allgemeiner Gesundheitsstatus sei weniger gut oder schlecht. Bei den „gelassen“ Arbeitenden, der Mehrheit der Erwerbstätigen, waren es hingegen nur 14 Prozent. Erwerbstätige, die exzessiv, aber nicht zwanghaft arbeiten, schätzen ihre Gesundheit ähnlich gut ein wie gelassen Arbeitende. Ähnlich ist das Ergebnis bei den abgefragten Einzelbeschwerden: Nur acht Prozent der suchthaft Arbeitenden gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten keine Beschwerden gehabt zu haben, bei den gelassen Arbeitenden waren es 20 Prozent. Im Schnitt nannte die erste Gruppe 7,1 Beschwerden, die zweite 4,3. Alle Arten von Beschwerden sind bei den suchthaft Arbeitenden häufiger. Das gilt im Besonderen für die psychosomatischen Beschwerden, etwa Schlafstörungen und Niedergeschlagenheit, aber auch für Muskel- und Skelettbeschwerden wie Rückenschmerzen. Suchthaft Arbeitende gehen wegen ihrer Beschwerden zudem seltener zu Ärztinnen oder Ärzten. Rund 30 Prozent von ihnen haben mehr als sechs unbehandelte Beschwerden. Bei den Gelassenen sind es 15 Prozent mit mehr als sechs unbehandelten Beschwerden.
Einen deutlichen Unterschied gibt es auch bei den Fehltagen. Mit 45 Prozent meldete sich fast die Hälfte der suchthaft Arbeitenden an keinem einzigen Tag im Jahr vor der Befragung krank. Bei den Gelassenen waren es lediglich 36 Prozent. Es deutet sich an, dass „suchthaft Arbeitende der Behandlung und Genesung ihrer Beschwerden weniger Beachtung schenken als gelassen Arbeitende“.
Mögliche langfristige Folgen sind erhöhte Risiken für Burnout oder depressive Verstimmungen – psychische Leiden, die zu langwierigen Arbeitsausfällen führen können. Exzessivem und zwanghaftem Arbeiten vorzubeugen, erscheint auch vor dem Hintergrund zunehmender Fachkräfteengpässe angezeigt, betonen die Forschenden. Ansatzpunkte seien die Gesundheitsförderung, Änderungen der Betriebskultur sowie die Mitbestimmung durch Betriebsräte.
Führungskräfte und Selbstständige besonders gefährdet
Wer eine lange vertragliche Wochenarbeitszeit hat, neigt leicht überdurchschnittlich zu Arbeitssucht. Ob der Vertrag befristet ist oder nicht, spielt dagegen keine Rolle. Auch das Anforderungsniveau erweist sich als neutral. Starke Unterschiede zeigen sich dagegen im Hinblick auf Selbstständigkeit und Führungsverantwortung. Unter Selbstständigen liegt die Workaholic-Quote bei 13,9 Prozent.
Zwischen Arbeitssucht und Führungsverantwortung besteht „ein statistisch höchst signifikanter Zusammenhang“. Führungskräfte sind zu 12,4 Prozent arbeitssüchtig (andere Erwerbstätige nur zu 8,7 Prozent) und zwar je höher die Führungsebene ist. Die obere Ebene kommt auf einen Anteil von 16,6 Prozent. In vielen Unternehmenskulturen werden an Führungskräfte wahrscheinlich Anforderungen gestellt, die „Anreize für arbeitssüchtiges Verhalten“ setzen, vermuten die Wissenschaftlerinnen und der Wissenschaftler.
Insgesamt deutet die Studienlage darauf hin, dass die Verbreitung von suchthaftem Arbeiten unter den Erwerbstätigen – wenn überhaupt – nur schwache Unterschiede bezüglich soziodemografischer Merkmale aufweist. So ist es auch in Deutschland. Schulabschluss und Familienstatus zeigen keine Zusammenhänge mit Arbeitssucht. Einen kleinen, aber signifikanten Unterschied gibt es zwischen Frauen (10,8 Prozent) und Männern (neun Prozent). Deutlichere Unterschiede bestehen zwischen Altersgruppen: Bei den 15- bis 24-Jährigen beträgt die Quote 12,6 Prozent, bei den 55- bis 64-Jährigen nur 7,9 Prozent.
Mit rund zehn Prozent Arbeitssüchtigen erreicht Deutschland einen Wert, der nah an den Ergebnissen ähnlicher Studien aus anderen Ländern liegt. So kamen Forschende in den USA ebenfalls auf zehn Prozent und in Norwegen auf gut acht Prozent. In Südkorea zeigte eine Untersuchung einen Anteil von fast 40 Prozent, allerdings mit einer etwas weiter gesteckten Definition von Arbeitssucht.
Beatrice van Berk, Christian Ebner und Daniela Rohrbach-Schmidt: Suchthaftes Arbeiten und Gesundheit, Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 482, April 2023. Download
Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.