Ungewissheit und Unsicherheit regieren die Welt. Vieles ist nicht mehr planbar. Professor Christian Busch hat erforscht, wie wir durch unerwartete Momente unser Leben erweitern und neue Möglichkeiten schaffen können. Sein neues Buch „Erfolgsfaktor Zufall“ gibt einen Überblick.
Serendipität – im Gegensatz zum angelsächsischen Raum ist der Begriff bei uns weitgehend unbekannt. Was versteht man darunter?
Im Prinzip ist es aktives Glück. Wenn wir über Glück nachdenken, ist es meist etwas Passives. Aber Serendipität ist etwas, was wir aus unseren eigenen Aktionen kreieren und wie wir mit dem Zufall umgehen können. Mein Lieblingsbeispiel ist die Kartoffel-Waschmaschine. In China haben Kartoffelbauern einen Wachmaschinenhersteller angerufen und sich beschwert, dass die Maschine immer zusammenbricht. Sie versuchten, ihre Kartoffeln darin zu waschen. Normalerweise würde man sagen, die Maschinen sind nicht für das Waschen von Kartoffeln gemacht. Der Hersteller hat aber das Gegenteil gemacht und daraus ein neues Produkt entwickelt. Er hat einen Schmutzfilter eingebaut. Denn schließlich gibt viele Bauern, die ein ähnliches Problem haben könnten. Er nützte diesen unerwarteten Zufall also geschickt. Es liegt daher an uns, daraus etwas Sinnvolles zu machen.
Ist es überhaupt noch Serendipität, wenn ich es aktiv steuere. Das ist bisschen so wie die Aufforderung: Sei authentisch. In dem Moment ist man es nicht mehr.
In der Historie ging es eigentlich darum, Entdeckungen zu machen, die auf unserer Weisheit basieren. Man sieht etwas und zieht im Moment daraus eine Möglichkeit. In meinem Feld – in der Managementforschung – wurde das zum Beispiel in den letzten 20 Jahren immer so abgetan: Soll ich meinen Managern jetzt beibringen, dass sie mehr Glück haben sollen? Aber wenn man sich die verschiedenen Beispiele anschaut – von Viagra, Penicillin bis zur Kartoffelwaschmaschine – , dann ist es immer derselbe Prozess und der hat immer dasselbe menschliche Element. Es ist nicht nur der Zufall, sondern auch das menschliche Handeln.
Aber in der Wirtschaft funktioniert das doch nicht. Da gibt es Pläne, Struktur und Logik. Ein Manager kann nicht sagen, er wartet jetzt mal auf das aktive Glück.
Wir haben eine Studie mit über 30 CEOs von großen Organisationen gemacht, die mehr auf sozialen Impact achten wollen. Da kam ein Kernmuster heraus. Die CEOs sind sehr gut darin, eine Vision zu verkünden: Da wollen wir hin. Zum Beispiel hatte Mastercard die Vision: Wir wollen 500 Millionen Leute, die vorher nicht im Finanzsystem waren, in das Finanzsystem reinbringen. Das ist unser Nordstern, der uns motiviert. Aber die Führungskraft hat gleich gesagt: Wir werden diesem Plan anpassen, je nachdem, was wir auf dem Weg lernen. Wenn Hilda in Kapstadt sagt, eure Karte funktioniert hier nicht, dann werden wir das ändern. Das ist auch Teil des Plans. Man muss wegkommen von der Idee: Ich bin der tolle CEO und alles läuft nach Plan. So ist das Leben ja nicht.
Aber das wollen der Aufsichtsrat oder die Investoren nicht hören.
Man muss ein aktives Vokabular nützen. Ich habe einen Plan, dann haben wir Informationen aufgenommen und haben einen noch besseren Plan gefunden. Man darf das Unerwartete nicht nur als Bedrohung des Plans zu sehen, sondern als Teil des Plans. Wenn man dagegen sagt, dass war Zufall oder ich bin überrascht, dann klingt es als ob man Kontrolle verloren hat. Natürlich will ich als CEO meine Termine einhalten, und gleichzeitig leben wir in einer Welt, wo sich von einem auf den anderen Tag sehr viel ändern kann. Beispiel Corona. Viele Unternehmen haben sich an ihren Plan festgeklammert, aber der war hinfällig. Eine Brauerei hat dagegen ihren Plan angepasst und ist erst mal einen Schritt zurückgegangen. Wir produzieren Alkohol und was kann man damit machen? Dann haben sie Desinfektionsmittel hergestellt und sind ein großer Hersteller geworden. Ich bin in Deutschland aufgewachsen. Ich liebe Pläne und gleichzeitig braucht es den Realismus, dass es eine Illusion ist, alles planen zu wollen. Man gibt diese Kontroll-Illusion ab. Je mehr wir uns an unseren Plan festklammern, desto verwundbarer werden wir, wenn etwas Unerwartetes passiert.
Welche Eigenschaften brauche ich, um Serendipität zu fördern?
Eine Offenheit fürs Unerwartete. Dadurch, dass wir gern planen und das Unerwartete nicht sehen möchten, verpassen wir oft das positiv Unerwartete. Wir erwarten nur das negativ Unerwartete und schauen bei einer grünen Ampel, ob nicht doch jemand kommt. Aber das positiv Unerwartete ist auch überall. Da gibt es viele Experimente. Bei meinem Lieblingsexperiment hat man Menschen genommen, die sich als Glückspilz und Pechvogel bezeichnet haben. Die sollten in ein Café gehen, einen Kaffee bestellen und sich dann an einen Tisch setzen. Was sie nicht wussten, überall waren versteckte Kameras aufgestellt. Vor der Tür lag ein Fünf-Pfund-Schein und an dem einzig freien Tisch saß ein extrem erfolgreicher Geschäftsmann. Der Glückspilz sieht den Geldschein, setzt sich neben den Geschäftsmann, redet mit ihm und gibt ihm seine Visitenkarte. Der Pechvogel übersieht den Geldschein, setzt sich neben den Geschäftsmann und spricht nicht mit ihm. Dann wurden beide gefragt, wie der Tag war. Der Glückspilz sagte: Super, ich habe Geld gefunden und einen interessanten Geschäftsmann kennengelernt. Der Pechvogel sagte: Nichts passiert heute. Es geht um die Haltung, wie man auf die Welt schaut und was man erwartet. Wenn man mit Geschäftsmann spricht, ist es nun mal wahrscheinlicher, dass sich aus der Konversation etwas ergibt.
Da haben aber Extrovertierte einen Vorteil. Der Introvertierte traut sich vielleicht gar nicht, den Geschäftsmann anzusprechen.
Das stimmt. Wenn man auf Konferenzen geht, haben es Extrovertierte einfacher. Aber es gibt Methoden, wie man eine Konversation ein bisschen sinnvoller gestalten kann. Ich bin Fan von der Haken-Strategie. Bei Events fragt jeder: Was machen Sie beruflich? Wenn man nicht nur sagt, ich bin Professor oder Unternehmer, sondern ein paar Punkte reinbringt, die einen derzeit interessieren, findet die andere Person vielleicht einen interessanten Anknüpfungspunkt. Also ich habe ein Unternehmen im Bildungssektor gegründet und außerdem bin ich interessiert an der Philosophie der Wissenschaft, habe gerade ein Kind bekommen und möchte mehr über Kinderziehung lernen. Das sind drei verschiedene Haken. Das macht es wahrscheinlicher, dass das Gespräch in Richtung gelenkt wird, die beide interessiert.
Welche Rolle spielt positives Denken. Ihre Beispiele klingen oft etwas magisch, fast schon …
Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.