Auswahlprozess: Blick hinter die Kulissen

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Unstrukturiertes Interview, Gesprächsmarathon, Intelligenztest oder Assessment Center – der Auswahlprozess sagt viel über ein Unternehmen und einen Arbeitgeber aus.

Welche Rolle spielt das Recruiting in einem Unternehmen? Welchen Stellenwert hat die Personalauswahl? Schon aus den Prozessen und den dort eingesetzten Instrumenten im Auswahlgespräch lassen sich bereits wertvolle Schlüsse ziehen, wie eine Organisation tickt. Ein Blick hinter die Kulissen.

08-15 Standardprozess

Auf der Basis des Lebenslaufes werden die Bewerbenden zu einem oder zwei Interviews eingeladen. Die Interviews gleichen oberflächlichen Gesprächen zwischen Fremden: Die Menschen der Organisation wollen viel erklären, alle sind freundlich und am Ende werden Hände geschüttelt. Die Fragen, die der Bewerbende gestellt hat, wurden inhaltlich nicht wirklich beantwortet und nach einer Weile erhält er ein Angebot oder eine Absage.

Wer eine Absage erhält, muss nicht enttäuscht sein. Da hat sich niemand wirklich Gedanken gemacht – man kann nach vorne sehen und sich getrost und guten Gewissens woanders bewerben.

Standard ernst

Der Lebenslauf passt bei wohlwollender Interpretation zu der ausgeschriebenen Stelle und es folgt die Einladung zum Interview. Dort wird es ernst: Die Gesprächspartnerinnen und -partner sind vorbereitet und haben nach der Begrüßung und einer lockeren Startphase einige herausfordernde Fragen zu konkreten Erfahrungen, zu Fachwissen und zu einigen Skills, die man für die Stelle braucht. Es wird beharrlich nachgehakt, z. B., wenn man von einem Projekt erzählt. Die Gesprächspartnerinnen wollen ganz genau wissen, was man persönlich inhaltlich beigetragen hat. Wie war die Aufgabenstellung genau? Was hat man gelernt? Was hat einem gefallen oder nicht gefallen? Gemeinsam spricht man offen über konkrete Aufgaben der zu besetzenden Stelle und wie der Bewerbende seine Erfahrungen dort einbringen kann. Wichtig: Die Interviewerinnen und Interviewer schreiben die Antworten mit. Am besten in ihre vorbereiteten Interviewleitfäden.

Meist gibt es im „Standard ernst“ nach dem Erstinterview noch ein zweites Gespräch mit der oder dem direkten Vorgesetzten. Dies baut auf dem auf, was im ersten Interview besprochen wurde und vertieft gegebenenfalls noch ein paar aktuelle Arbeitsthemen. Vielleicht wird der Bewerbende auch dem Team vorgestellt und schaut sich den potenziellen Arbeitsplatz an.

Gibt es ein Angebot, kann das zwei Gründe haben. Einen guten oder einen, der ein Risiko enthält. Der Gute: Die Organisation ist pragmatisch. Die Interviewerinnen und Interviewer sind erfahren und haben das Vertrauen des Teams und der übergeordneten Leitungsebene. Sie erkennen, wer passt und entscheiden. Das Risiko: Die Organisation greift nur deshalb so schnell zu, weil es Druck gibt, die Stelle schnellstmöglich zu besetzen.

08-15 Standard Hardcore

Lange Serien von mehr als vier oder fünf Interviews – egal ob standardisiert und strukturiert oder improvisiert und immer mit den gleichen Fragen – weisen darauf hin, dass man sich in der Organisation gern unterhält. Interviewmarathons zeigen, dass das Vertrauen untereinander nicht besonders stark ist – alle sind gern dabei, alle reden mit. „Jede und jeder mischt sich ein und mit“ könnte auch in alltäglichen Sachaufgaben der Stil des Hauses sein.

Das sind einige Beispiele, in denen die Bewerbungsunterlagen die Eintrittskarte sind. Aber was ist, wenn die Unternehmen ergänzend dazu weitere Instrumente einsetzen? Was sagt das aus?

Der Intelligenztest

Das Verfahren der Wahl für die Wissenschaft ist der Leistungstest. Die Namen variieren. Intelligenz, kognitive Leistungsfähigkeit oder Informationsverarbeitung. Entscheidend ist, dass es ein solcher Test aus Aufgaben besteht, zu denen es falsche und richtige Lösungen gibt. Wenn das der Fall ist, dann sind diese Verfahren in der Regel für Eignungsbeurteilungen eine gute Basis. Dazu gehört auch, dass die Anwenderinnen und Anwender geschult sind und den Bewerbenden sinnvolle und aufschlussreiche Antworten über das Verfahren geben können.

Der Einsatz solcher Tests zeigt, dass sich in der Organisation jemand Gedanken über den Stand der Wissenschaft der Eignungsbeurteilung macht und dass die Organisation die Personalentscheidung auch für die Kandidatinnen und Kandidaten absichert.

Künstliche Intelligenz

Tools mit künstlicher Intelligenz erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Schon zum Sortieren der Lebensläufe, aber auch für die Interviews. Das kann die Hölle oder den Himmel bedeuten. Denn das Problem ist, dass in vielen Organisationen niemand diese Instrumente wirklich versteht. Und viele dieser Instrumente auch (noch?!) grober Unfug sind.

Heißt es auf Nachfrage nur: „Wir haben gute Erfahrungen gemacht“, dann bedeutet das leider, dass sich niemand echte Gedanken macht und die Menschen in HR nicht wissen, was sie tun. Dann kann man sich leider aber auch nicht darauf verlassen, dass die gute Personalentscheidungen treffen.

Persönlichkeitsfragebogen

Wichtig: Diese Verfahren heißen alle genau so: “Persönlichkeitsfragebogen“. Man kann umgangssprachlich auch Persönlichkeitstest sagen, auch wenn es da feine Nuancen gibt, aber das ist OK. Unfug ist, wenn eine Bewerberin oder ein Bewerber einen Persönlichkeitsfragebogen ausfüllt, nachdem er zu einer Potenzial- oder Kompetenz-Analyse eingeladen wurde. Das können Signale für Inkompetenz der Anwenderinnen und Anwender sein. Persönlichkeitsfragebogen erfassen Facetten und Faktoren der Persönlichkeit durch standardisierte Abfragen einer Selbstauskunft der Bewerbenden. Das sollte man nicht mit Kompetenz und Potenzial verwechseln.

Culture Fit

Wenn Fragebögen zu bearbeiten sind, die etwas über die Passung einer Person zur Kultur aussagen sollen, dann gibt es wieder mehrere Interpretationen. Gute und weniger gute. Grundsätzlich ist es sinnvoll, wenn Organisationen sich über Kulturdimensionen, die sie gestalten möchten, Gedanken machen. Soll eine Organisation sich entwickeln, diverser werden und inklusiver – und sind die Führungskräfte dafür bereit – dann ist das sicher eine gute Sache.

Assessment Center

Echte Assessment Center (AC), also Treffen, bei denen mehrere Bewerbende in mehreren Schritten von mehreren Beobachtenden analysiert und beurteilt werden, sind auch ein Instrument der Beteiligung für die Menschen in der Organisation. Daher unbedingt genau hinsehen. Geht es um Beteiligung, geht es um Stimmung oder ist es Ernst: Haben die Aufgaben einen klaren Bezug zu den Anforderungen? Lernt man im AC schon noch mehr über die Stellen oder Programme? Wenn es insgesamt eher um die Stimmung, Sympathie und die menschliche Beziehung geht und somit nicht um die Aufgaben und Anforderungen, dann ist das der Stil. Wenn es sehr leistungsorientiert zugeht und ein Intelligenztest entweder Bestandteil des AC oder Zugangsvoraussetzung war, dann geht es um die finale Auswahl.

Ganz wichtig: Feedback

Wie ist die Bereitschaft, den Mitarbeitenden Feedback im Auswahlprozess zu geben? Das zeigt, dass die Organisation weiß, was sie tut und dass sie ihre Mitarbeitenden ernst nimmt und wertschätzt. Kein Feedback zeigt, das mindestens eins davon fehlt.

Fazit

Auch Verzögerungen, Ausweichen, Termine, die nicht funktionieren und besonders Signale der Überforderung sind wichtige Merkmale einer Organisation. Wenn Recruiting belastet ist, ist das ein Zeichen, wie die Organisation mit ihren Menschen umgeht. Denn Recruiting und Personalauswahl ist eine entscheidende Funktion in jeder Organisation.

Harald Ackerschott ist Diplom-Psychologe, Geschäftsführer der Harald Ackerschott GmbH in Sankt Augustin. Er ist Mit-Initiator und Mit-Autor der DIN 33430 und Gründungsmitglied der Recruitingrebels

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