Vom Verkaufstrainer über den Ex-Sportler bis zum Psychologie-Professor, die Zahl der „Top-Speaker“ nimmt weiter zu. Der Marketing-Sachverständige Nils-Peter Hey über die Szene der Selbstdarsteller, Blender und Hochstapler und die Kakerlaken-Theorie.
Vor kurzem haben Wissenschaftler aus Psychologie und Polizei ein Positionspapier herausgegeben, in dem sie vor unseriösen Methoden zur Lügenerkennung und Vernehmungstaktiken warnen. Erwähnt werden darin auch zwei der aktuellen „Top100-Excellent Speakers“ der Redneragentur Speakers Excellence. Das zeugt nicht gerade von der Seriosität der Branche.
Zunächst einmal ist diese Top100-Liste ein Marketinginstrument, für das die Speaker auch bezahlen. Da sind teils auch honorige Personen dabei wie der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar. Dann gibt es leider auch ein paar sehr fragwürdige Speaker. Das liegt auch daran, dass sich ihre Themen eben gut verkaufen. Vorträge über Körpersprache, Lügenerkennung und sonstige Zukunftsvorhersagen sind gefragt, auch wenn vieles davon wissenschaftlich längst widerlegt ist. Die Nachfrage kommt vor allem von den Event- oder HR-Einkäufern in den Unternehmen, die damit ihre Mitarbeiter bespaßen lassen. Ich bin selbst manchmal als Speaker tätig und wenn ich im Vorfeld eines Vortrags mit den Einkäufern über inhaltliche Themen spreche, bin ich immer wieder überrascht, wie anspruchslos die Auftraggeber sind. Für die gilt nur die Devise: Je prominenter der Name desto besser. Dann fühlen sich die Mitarbeiter wertgeschätzt. Die Inhalte sind da eher Nebensache.
Das heißt, die Unternehmen setzen auf den Promi-Effekt und suchen eher Entertainment als fundiertes Wissen?
Wenn wir über das Format des Keynote-Vortrags sprechen, geht es meist um Edutainment und selten um den gefürchteten, trockenen Fachvortrag. Gefragt sind 30 bis 60 Minuten Feel-Good-Lean-Back-Vorträge, oft mit geringem Erkenntnisgewinn bei hohem Unterhaltungswert. Da sucht sich dann jeder Speaker im Sinne seiner einzigartigen Positionierung ein Thema und eine Inszenierung. Letztlich sind die Vorträge wie kleine Theaterstücke. Aber trotz aller Inszenierung sollte auch die behauptete Kompetenz dahinter stimmen.
Aber die hinterfragt offenbar keiner mehr.
Das stimmt. Aus aufmerksamkeitsökonomischen Gründen sind wir auch als Teilnehmer von diesen Veranstaltungen oft unkritisch. Wir gehen einfach davon aus, wenn jemand einen Speaker eingeladen hat, muss der auch was können. Und wenn der sich als Experte für ein bestimmtes Thema präsentiert, dann glauben wir das. Wenn wir wüssten, dass da vorne auf der Bühne eine Pfeife steht, würden wir den Vortrag nicht anhören wollen und uns das Geld und die Zeit sparen. Aber wenn Experten behaupten, über eine bestimmte Expertise zu verfügen, dann neige ich im Sinne eines wohlwollenden Misstrauens dazu, mir den Überblick zu verschaffen, ob das auch wahr ist. Das ist auch eine Frage der Ökonomie. Ich will nicht auf einer Konferenz hocken und mir die Vorträge von Pfeifen anhören. Ich möchte echtes Wissen und nicht nur behauptetes Wissen. Ich möchte als Zuhörer oder Einkäufer einfach nicht belogen werden.
War das auch die Motivation für Ihr Buch „Seit ich lüge, läuft der Laden“, in der Sie den Speaker-Markt kritisch analysieren?
Als vereidigter Sachverständiger für Marketing und Wirtschaftskommunikation muss ich oft herausfinden, ob die Anbieter, die jemand beauftragen will, auch das draufhaben, was sie behaupten. Man kann alles trimmen, egal ob Referenzlisten, Case Studies, Kundenstimmen, Hauptsache die Kunden glauben, man sei der beste Experte. Bei der Prüfung ist es dann oft so, dass vieles nicht stimmt. Dasselbe gilt für den Speaker-Markt. Wenn jemand als Experte für etwas auftritt, hätte ich da gern auch Qualifikationsnachweise. Wenn es die nicht gibt, wird auch der Begriff des Experten beschädigt genauso wie der des echten Profis, der nicht nur Show-Business betreibt.
In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie Sie selbst an einem Seminar zur Speaker-Vermarktung teilgenommen haben. Das klingt ziemlich abstrus.
Ich war als Redner recht gut gebucht, wollte aber mehr über die Vermarktung als Speaker lernen und fand mich dann wieder in einem illustren Kreis aus Lebenshilfe-Suchenden bis hin zu gestandenen Managern. Viele wirkten auf mich, als wenn der Schritt auf eine Vortragsbühne Teil einer komplizierten Selbsttherapie ist. Nach dem Motto: Mir ist da ganz was Schlimmes passiert. Aber dabei habe ich viel gelernt und das möchte ich gern an euch alle weitergeben, damit ihr euer Leben verbessern könnt.
In dem Seminar ging es auch um die Erfindung eines Bestsellers.
Da haben die Teilnehmer beschlossen, sich zum Bestseller-Autor zu tricksen. Schließlich ist so ein eigenes Buch, das auch noch ein angeblicher Bestseller ist, ein absoluter Pluspunkt in der Speaker-Vita. Die Idee war, gemeinsam einen Sammelband zu schreiben und den dann bei Amazon auf Platz 1 der Bestsellerliste zu bringen. Zunächst musste jeder Autor 1.500 Euro für die Organisation, Buch-Layout, und Öffentlichkeitsarbeit hinblättern und ein Kapitel für das 300seitige Sammelsurium aus Selbstbeweihräucherungs-Beiträgen verfassen. Das Ganze wurde dann als E-Book veröffentlicht und jeder kaufte in einem abgesprochenen Zeitraum möglichst viele Exemplare für 99 Cent, um das Amazon-Ranking zu beeinflussen. Für ein paar Stunden haben wir es dann tatsächlich auf Platz eins der Unterkategorie einer Unterkategorie einer Unterkategorie geschafft. Damit waren wir nicht bloß Autoren, sondern Bestseller-Autoren und trommelten dazu in den sozialen Netzwerken. Genutzt hat das unter dem Strich nichts. Mir ist das heute regelrecht peinlich, auch wenn ich das Experiment spannend fand. Ich verbuche die Kosten als Lehrgeld und hake das als Jugendsünde ab.
Ein beliebter Trick sind auch alle möglichen Zertifikate.
Ein Zertifikat ist so was wie ein materialisierter Kompetenzbeweis. Nur darf man nicht alles für bare Münze nehmen. Zertifikate und Diplome sagen wenig aus über tatsächliche Kompetenzen. Sie bestätigen nur, dass jemand offenbar in mindestens ausreichender Form an etwas teilgenommen oder – zum Beispiel bei einer TÜV-Zertifizierung – bestimmte formale Kriterien erfüllt hat. Zertifikate, Urkunden, sogar Approbationsurkunden können auch gefälscht sein bis hin zum Titelmissbrauch. Da wird dann ein Vorstudium zu einem Diplom aufgebläht oder eine dreitägige Fortbildung als „Internationales Studium“ etikettiert. Wie immer hilft nur der kritische Blick auf die objektiven Fakten. Findet sich ein Indiz für einen Schwindel, gilt die „Kakerlaken-Theorie“: Wo eine ist, da sind auch mehrere.
Warum suchen immer mehr Menschen mit unterschiedlichsten beruflichen Hintergründen ihr Glück als Speaker?
Da haben eben ein paar findige Leute ein Marktpotenzial gesehen. Es gibt viele Menschen, die davon träumen davon, auf einer großen Bühne zu stehen und anderen zu sagen, wo es langgeht. Das ist ja grundsätzlich auch eine befriedigende und schöne Tätigkeit. Aber den Speaker-Interessenten wird dann erzählt, wie groß ihr Umsatzpotenzial ist und wie einzigartig sie sind. So geistert durch den Markt, dass die Honorare bei mindestens 3500 Euro pro Auftritt liegen. Wenn unerfahrene Redner das hören, bekommen sie Dollarzeichen in den Augen und denken: Super, ich werde jetzt Speaker und reich. Das spricht doch alle Instinkte an. Viel Geld, die öffentliche Anerkennung und Einfluss auf andere.
Also sind auch die Speaker-Trainer die Verursacher des Booms?
Ein gutes Training zur Vermarktung ist erst mal in Ordnung. Was mich stört sind die extrem großen Versprechungen. In den Trainings wird vielen Leuten viel Geld abgenommen, aber in der Realität treten die versprochenen Erfolge nur selten ein. Da kann man natürlich sagen, wer das bucht und nicht kritisch hinterfragt, ist entweder naiv oder blöd. Was ich aber besonders anprangere ist, wenn den Speakern in den Trainings beigebracht wird, wie sie den Aufbau ihrer Marke und ihre Vermarktung mit Täuschen und billigen Tricks in einem juristischen Graubereich betreiben können. Davor warne ich. Wer Dinge behauptet, die nachweislich nicht haltbar sind, riskiert den Aufbau seiner Marke schon in einer frühen Phase. Und wenn er dann wirklich Erfolg hat, kommt das Ganze irgendwann heraus und fällt ihm auf die Füße. Dazu kommt: Wem die behauptete Erfahrung oder das behauptete Wissen fehlt, der kann auch nicht gut darüber reden. Am besten spricht man über relevante, selbst gemacht Erfahrungen. Da braucht man dann auch kein Speaker-Training.
Aber wenn es mit dem Erfolg nur so selten klappt, müsste sich das doch herumsprechen.
Der Andrang ist dennoch nach wie vor groß, weil viele an den Traum glauben, damit in kurzer Zeit mit wenig Aufwand sehr viel Geld verdienen zu können. Letzten Endes bedient das unser Ego und der Bedarf danach ist riesig. Und einige wenige schaffen es auch, viele aber nicht.
Wie oft wird denn ein Speaker überhaupt gebucht?
Ein bekannter Redner-Vermarkter hat mir gesagt: Seines Wissens gibt es keine 20 Redner in Deutschland, die von dem Job hauptberuflich gut leben können. Dazu kommen vielleicht noch ein paar abgehangene Politik-, Sport- und Show-Promis. Für die meisten ist das ein Nebenerwerb. Und mehr als etwa 80 Vorträge pro Jahr gegen Honorar sind logistisch kaum zu bewältigen. Dann sind wir aber schon bei der Crème de la Crème. Es gibt Leute, die behaupten 3.000 oder mehr Vorträge gehalten zu haben. Wenn man das mal nachrechnet, kann das in den seltensten Fällen stimmen.
Es gibt eine Speaker-Vereinigung, die sich gern als Verband der besten deutschen Speaker sieht. Die behauptet sogar, ihre Mitglieder würden strenge Ethikstandards einhalten, tut aber nichts dagegen, wenn das nicht der Fall ist. Sind die angeblichen Qualitätsstandards daher auch nur ein Marketingtrick?
Ich finde es gut und wichtig, dass es Verbände gibt, die versuchen Qualitätsstandards zu setzen. Das Problem ist die Kontrolle der eigenen Ansprüche. Man muss die Eigenangaben seiner Mitglieder bei der Aufnahme und in einem gewissen Turnus auch kritisch verifizieren. Täte man das tatsächlich, wäre das aber nicht nur viel Arbeit, es würde auch den Mitgliederstamm deutlich reduzieren. Und letztlich ist so ein Verband natürlich auch vor allem ein Marketinginstrument und wer schmeißt schon gerne seine Kunden raus?
Sie sind selbst bei den Top100 Speaker dabei. Warum machen Sie in diesem Zirkus mit?
Ich trete eben gern als Redner auf – auch wenn das nicht mein Hauptjob ist. Die Tatsache, dass es Speaker gibt, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, bedeutet ja nicht, dass es nicht auch Speaker gibt, die einen guten Job machen und etwas zu sagen haben. Soll ich meine Redner-Tätigkeit aufgeben, nur weil es unseriöse Speaker gibt? Da muss man immer den Einzelfall betrachten.
Inzwischen bezeichnen sich selbst renommierte Uni-Professoren als Speaker.
Das hat auch sehr viel mit Suchmaschinenoptimierung zu tun. Im Sprachgebrauch hat man eben heute keine Redner mehr. Ein Redner spricht auf der Trauerfeier oder bei einer Hochzeit. Und im Business-Bereich sagt man eben Speaker. Wenn einer einen Redner sucht, sucht er halt nach Speaker. Also benützt man die Wörter, die auch die Zielgruppe verwendet.
Muss der ganze Speaker-Zirkus nicht zwangsläufig irgendwann zusammenbrechen?
Den Markt für Selbstdarstellung wird es immer geben. Guru zu sein hat doch was Tolles und die Guru-Macher werden immer Geld verdienen können. Und bei den angehenden Speakern gibt es viele, die in einer gefühlten Sinn- und Lebenskrise stecken und die gern mehr Bedeutung hätten. Da frage ich mich ganz häufig: Brauchen die nicht eher einen Therapeuten als ein Speaker-Training? Und wahrscheinlich wird es immer wieder Menschen geben, die glauben, dass sie als Speaker ganz schnell reich werden. Sicher ist jedenfalls, dass vor allem diejenigen, die den großen Erfolg versprechen, auch weiter Kasse machen werden.
Das Interview führte Bärbel Schwertfeger
Nils-Peter Hey (Hrsg.): Seit ich lüge, läuft der Laden – So machen selbsternannte Experten auf Boss, obwohl sie nur Hugo sind. München: Edition Saramar 2020, 19,90 Euro
Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.