Unterschiede der Generationen: Ein ökologischer Fehlschluss

pexels-cottonbro

Das Konzept der Generationen und Generationenunterschieden ist beliebt, auch wenn es dafür keine überzeugenden Theorien und kaum wissenschaftliche Evidenz gibt. Es bedient lediglich Stereotype über soziale Gruppen und sollte tunlichst vermieden werden

Die Konzepte „Generationen“ und „Generationenunterschiede“ sind allgegenwärtig, insbesondere in der Arbeitswelt. In der Regel kommen sie zur Sprache, wenn es darum geht, dass Mitglieder der „jüngeren Generation“ eine vermeintlich andere Einstellung zu etwas haben (z.B. Loyalität zum Unternehmen) oder sich vermeintlich anders verhalten (z.B. Forderungen bezüglich Arbeitsbedingungen oder Gehalt) als Mitglieder der „älteren Generation“. Oft geht es auch darum, dass die jüngere Generation von einem bestimmten gesellschaftlichen Ereignis oder einer Entwicklung besonders stark beeinflusst wird (z.B. Smartphones, Corona). Meist werden in diesen Diskussionen auch verschiedene „Generationenlabels“ verwendet (X, Y, Z, Babyboomers, Millennials, Generation Krise, etc.), von denen angenommen wird, dass sie mit typischen Eigenschaften und Verhaltensweisen aller Gruppenmitglieder assoziiert sind (pflichtbewusst, egoistisch, unsicher etc.). Die Beliebtheit von Generationen und Generationenunterschieden ist bemerkenswert in Anbetracht der Tatsache, dass es zu ihnen keine überzeugenden Theorien und kaum wissenschaftliche Evidenz für ihre Existenz gibt. Im Folgenden erklären wir, warum diese Konzepte in der Arbeitswelt so populär sind — und warum wir davon abraten, sie weiterhin in Forschung und Praxis zu verwenden.

Warum ist dieses Konzept so populär?

Die Idee der Generationenunterschiede in Einstellungen und Werten wurde von Soziologen zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt um auf theoretischer Ebene zu erklären, warum sich Gesellschaften als Ganzes im Laufe der Zeit politisch und kulturell verändern. Die heutige empirische Forschung zu Generationen in der Psychologie und in den Wirtschaftswissenschaften hat nur noch wenig mit diesen frühen Gedankenexperimenten in der Soziologie zu tun. Um zu untersuchen, ob es Generationenunterschiede in bestimmten arbeitsbezogenen Merkmalen gibt, gehen Forscher folgendermaßen vor. Zunächst werden Beschäftige in der Regel zu einem Zeitpunkt mittels Fragebogen zu ihrem Geburtsjahrgang und ihren Einstellungen und Verhaltensweisen befragt. In der anschließenden Analyse der Daten werden die Befragten in zwei oder mehr Gruppen basierend auf ihrem Geburtsjahrgang eingeteilt (z.B. beinhaltet Gruppe A alle diejenigen, die zwischen 1955 und 1984 geboren sind, und Gruppe B beinhaltet alle diejenigen, die zwischen 1985 und 2004 geboren sind). Dabei werden Altersgrenzen häufig aufgrund bestimmter, historisch bedeutsamer Ereignisse gezogen (Corona, Wirtschaftskrise, Terroranschlag, Krieg etc.). Die Gruppen werden dann mit einem prägnanten Generationenlabel versehen, und es wird statistisch überprüft, ob sich die Gruppen hinsichtlich ihrer Mittelwerte in Einstellungen und Verhaltensweisen unterscheiden. Signifikante Unterschiede werden als Generationenunterschiede interpretiert und auf Erfahrungen dieser Gruppe mit bestimmten historischen Ereignissen zurückgeführt.

Wie viele stereotype (verallgemeinernde) Vorstellungen über soziale Gruppen – Vorurteile über Männer/Frauen, Ost- und Westdeutsche etc. – erfreuen sich Generationenunterschiede einer großen Beliebtheit. Das liegt vor allem daran, dass sie stark vereinfachte Erklärungen für komplexe Phänomene liefern. Eine Mitarbeiterin beklagt sich über zu hohen Zeitdruck bei der Arbeit? Ein Mitarbeiter bittet seine Vorgesetze um flexiblere Arbeitszeiten? Typisch Generation XYZ, die ist einfach nicht mehr belastbar! Generationenerklärungen ermöglichen es, dass man nicht genauer über mögliche individuelle oder arbeitsplatzbezogene Gründen für bestimmte Einstellungen oder Verhaltensweisen nachdenken und diese berücksichtigen oder verändern muss.

Probleme der Generationenforschung

Empirische Forschung zu Generationenunterschieden ist in verschiedenen Hinsichten problematisch. Aus theoretischer Sicht muss zunächst die Definition von bestimmten Generationengruppen anhand relativ willkürlicher Alters- bzw. Geburtsjahrgangsgrenzen kritisiert werden. Warum ist eine Person, die 1979 geboren ist, genauso wie eine Person, die 1970 geboren ist, ein Mitglied der Generation Z – aber eine Person, die 1980 geboren ist, ist genauso wie eine 1995 geborene Person ein Mitglied der „Millennial Generation“? Die Altersgrenzen und Namen von Generationen werden von Medien, Beratungsunternehmen, Schriftstellern und manchmal auch Wissenschaftlern, die ein populärwissenschaftliches Buch verkaufen wollen, schlichtweg erfunden, um Geld zu verdienen („Generationenindustrie“). Sie sind mehr oder weniger lose mit wichtigen historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Ereignissen verbunden, aber es gibt keine solide wissenschaftliche Theorie, die ihre Existenz begründet.

Weiterhin gibt es keine Theorie, die e…

Professor Dr. Hannes Zacher, Diplom-Psychologe, Promotion in Psychologie, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie am Wilhelm Wundt Institut für Psychologie an der Universität Leipzig

Professor Cort W. Rudolph, Ph.D. in Industrial & Organizational Psychology, Associate Professor, Department of Psychology and der Saint Louis University in St. Louis, Missouri, USA

Diskutieren Sie mit