Zum 50. Jubiläum lud das Münchener Bildungsforum (MBF) zum „Bildungsgipfel“. 150 Lernexperten und Lernexpertinnen aus Unternehmen kamen und arbeiteten gemeinsam daran, wie betriebliches Lernen und Arbeiten im Jahr 2044 aussehen kann. Worin könnte die Rolle von Corporate Learning bestehen? MBF-Vorstand Kai Liebert zu den Erwartungen, Zielen und dem Ergebnis.
Am Schluss der Veranstaltung sollte ein Manifest stehen. Doch das gab es dann nicht.
Wir haben am Ende der Veranstaltung eine Beta-Version gezeigt und mit den Teilnehmenden diskutiert. Wir haben es nur noch nicht veröffentlicht. Die Teilnehmenden waren sehr zufrieden und haben es auch unterschrieben. Das Manifest ist inhaltlich sehr gut, aber um es wirklich rund zu machen, müssen wir noch etwas nacharbeiten. Wir werden es jetzt noch mal im MBF-Innovation Circle, als den Impulsgebenden für die Veranstaltung, durchgehen und dann machen wir noch einen großen Community-Call, wo wir alle Teilnehmenden einladen. Dort stellen wir das Ergebnis noch mal vor und besprechen es. Erst wenn es alle in Ordnung finden, veröffentlichen wir es. Das wollen wir im Dezember abschließen. Wir wollen einfach vermeiden, dass wir etwas im Internet publizieren, was nicht hundertprozentig ist.
Wie sieht die Lernlandschaft in den Unternehmen derzeit aus?
Wir sehen, dass große Player in Markt reinkommen wie Linkedin Learning. Die haben die Corona-Krise genutzt und haben die viele der Standard-Präsenztrainings ersetzt. Man wird diese online-Trainings auch nicht mehr von dort wegbekommen. Die Learner-Experience-Plattformen (LXP) durchdringen zunehmend den Markt. Die sind so designt, dass viel von der Beratung, die bisher von den Lernexperten aus den Unternehmen kam, durch die Algorithmen bzw. KI ersetzt wird. Die Plattformen machen den Lernenden Vorschläge und schaffen somit eine individuelle Lernumgebung für jeden Mitarbeitenden. Und je länger und häufiger sie im Unternehmen genutzt werden, umso mehr Daten haben sie und umso besser werden sie. Sie zeigen an, was habe die Mitarbeitenden schon gelernt haben und was darauf aufbauend eine weitere Lernmöglichkeit für ihren Job sein könnte. Die Software überprüft dann auch, was Leute in vergleichbaren Positionen gelernt haben. Sie können ihre Bedürfnisse und Interessen angeben und bekommen aus den Unmengen von Lerninhalten die passenden Kurse oder Lernnuggets angeboten. Die Mitarbeiter können eigene Playlisten erstellen wie bei Spotify und sie können Lerneinheiten teilen. Wenn das systematisch aufgebaut ist, dann kann das System auch sehr vernünftige Vorschläge machen.
Bildungsgipfel des MBF: Wie sieht die Zukunft 2044 aus? (Foto: MBF)
Dann brauche ich keinen Learning&Development-Manager mehr, der die Trainings erstellt und mir sagt, was ich brauche.
Die Frage ist, brauche ich überhaupt noch eine Funktion, eine Abteilung, die das macht? Oder werden die L&D-Manager einfach abgeschafft? In jedem Fall ändert sich die Rolle grundlegend. Es geht dann beispielsweise eher um die Orchestrierung eines Lern-Öko-Systems. Es geht also darum, das Gesamtsystem zu managen, aber weniger darum selber Trainings zu erstellen. Trainingsentwicklung oder Beratung über Lernangebote für die Mitarbeitenden wird in den L&D-Abteilungen sukzessive die nächsten fünf bis zehn Jahre auf nahezu null runter gehen.
Aber es wird doch sicher noch Präsenztrainings geben?
Ja, aber die L&D Abteilung wird sie nicht mehr selbst entwickeln. Die werden zugekauft oder von Mitarbeitenden selbst gemacht. Das wird outgesourct an große Service Provider wie mst, GP Strategies oder Cegos. Die werden zum Öko-System-Partner, der dann zum Beispiel ein Kommunikationstraining mit einer bestimmten Spezifikation raussucht. Das hat dann auch Auswirkungen auf die freiberuflichen Trainer.
Düstere Aussichten für die Lernmanager.
Meine Überzeugung ist, dass Lernmanager ein Skillset und Kompetenzen haben, die jedes Unternehmen braucht. Sie denken eher am und für Menschen und sind langfristig, an der Zukunft orientiert. Das ist sehr wichtig, weil Unternehmen zunehmend kurzfristig betrieben werden. Also muss ich mir überlegen, welche Möglichkeiten habe ich als Lernexperte oder Lernmanagerin? Gibt es andere Themenbereiche, in denen ich in irgendeiner Form Wert stiften kann im Unternehmen. Das könnte zum Beispiel Green L&D, Wellbeing L&D, Wild L&D, Social Innovation L&D, Ultra Performance L&D No L&D sein. Also die Themen, an denen wir in den Zukunftslabs beim Bildungsgipfel gearbeitet haben. Sustainability ist in der Gesellschaft und für die Unternehmen ein ganz wesentliches Thema. Hier sehe ich viele Möglichkeiten, vor allem auch, wenn es um Beiträge für das öffentliche Bildungssystem geht. Ich kenne viele Kollegen, die während der Corona-Krise geholfen haben, an Schulen MS Teams einzurichten. Die Schulen waren oft überfordert. Die Kollegen und Kolleginnen haben den Lehrer und Lehrerinnen geholfen und ihre Kompetenz in einem anderen Kontext hervorragend eingesetzt. Meine Intention ist es offen zu sein und zu überlegen, wo kann ich meine Kompetenz in einem anderen Feld nutzen. Es gibt sehr viele Aufgaben, heute oder in der Zukunft, die Kompetenzen und Skills erfordern, die für Bildungsexperten selbstverständlich sind. Man sollte sich also fragen: Wo kann ich mit meinem Wissen und Erfahrung im Unternehmen oder in der Gesellschaft etwas bewirken? Wo sind die weißen Flecken? Wie kann ich meine Zukunft selbst zu gestalten? Lernen wird in Unternehmen und der Gesellschaft zunehmend wichtiger. Die Aussichten sind also sehr gut. Aber die Rolle und die Aufgaben werden sich, wie gesagt, deutlich verändern.
Was war denn Inhalt bei Wild L&D, das Sie moderiert haben?
Da ging es darum, bei den Veränderungen im Unternehmen nicht nur daneben zu stehen und zu sagen, wir zeigen euch, wie man Transformation macht, sondern selbst Teil dieser Transformation zu sein. Also selber in die strategischen und operativen Themen reingehen und sie von innen treiben und Lösungen suchen. Wo ich als Funktion oder Individuum in die Problemlösung hinein gehe, bieten sich ganz viele Optionen. Jetzt kommt wieder die nächste Krise und auf der Streichliste der Firmen steht wieder die Weiterbildung ganz oben. Das ist fatal. Gerade in Zeiten des Umbruchs ist Weiterbildung enorm wichtig. Aber man muss als Weiterbildungsabteilung einen strategischen Plan haben, um in den Unternehmen die Relevanz von Weiterbildung immer wieder zu betonen – und dass das auch Zeit und Geld kostet. Nur Trainings anzubieten, reicht da nicht. Die Menschen, die Lernen im Unternehmen anbieten, müssen wirklich sehr tief im Unternehmen verankert sein und wissen, wo die Herausforderungen sind. Dann können auch radikale Lösungen angeboten werden und es eröffnen sich viele größere Möglichkeiten, den Mehrwert darzustellen und Einschränkungen beim Lernen zu vermeiden.
Bildungsgipfel des MBF: Arbeit im Zukunftslabor (Foto: MBF)
Sind Sie zufrieden mit der Veranstaltung?
Es ist besser gelaufen als ich erhofft hatte. Ich bin super zufrieden. Wichtig war es ja den Leuten wieder Spaß und Lust an der Zukunft zu geben. Die Teilnehmenden haben sich mit Gedanken beschäftigt, die über ihre Rolle hinausgehen. Die Leute haben sich vernetzt, neue Bekanntschaften geschlossen. Wir haben ein Szenario geschaffen, dass die Leute sehr inspiriert und motiviert hat, weiterzumachen. Das MBF ist grundsätzlich sehr nachhaltig aufgestellt. Wir werden systematisch weiter in unseren Arbeitsgruppen an den Themen arbeiten und sie unseren Mitgliedern, das sind ja 50 Firmen und viele Freelancer, diskutieren. Im Mai haben wir noch gedacht, es wächst uns alles über den Kopf. Es war ein riesiges finanzielles Risiko für uns als gemeinnütziger Verein. Wir haben uns bewusst gegen eine Finanzierung durch externe Anbieter von Lernlösungen auf dem Markt entschieden, da wir in dieser Beziehung schon immer neutral waren. Unsere Sponsoren sind langjährige Mitgliedsfirmen. Die haben auch keine Stände aufgebaut oder Vorträge gehalten. Auch das operative Risiko war groß. Wir sind nur zehn Leute im Vorstand, die das alles ehrenamtlich nebenher machen. Es war wirklich unglaublich, was die Leute in den letzten vier bis sechs Wochen noch weggeschafft haben. Die Veranstaltung war auch inhaltlich extrem schwierig zu managen. Die Leute so komplett auf die Reise ins Jahr 2044 mitzunehmen und dann auch noch das Manifest zu erstellen, das war schon eine sehr komplexe Ausgabenstellung. Wir hatten zum Glück auch hochkarätige Speaker wie Oliver Maassen von Trumpf und Jivka Ovtcharova, Professorin am Karlsruhe Institute of Technology (KIT), dabei. Ja, und dann haben wir auch noch das 50jährige Jubiläum des MBF gefeiert. Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Einige Teilnehmende haben mir gesagt, das wäre einer der besten Konferenzen gewesen, auf der sie je gewesen sind. Das Feedback war sehr gut. Bei der Zufriedenheit war es 4,95 von 5.
Euphorie verpufft bekanntermaßen schnell wieder. Wie wollen Sie Nachhaltigkeit sichern?
Wir hatten nicht den Anspruch, die ganze Welt aus den Angeln zu heben. Aber wollten uns alle bewusst machen, was können wir konkret tun, auch wenn es nur ein kleiner Schritt ist. Aber es ist ein Schritt. Viele verzweifeln daran, wenn sie die vielen Probleme dieser Welt sehen und fühlen sich total ausgeliefert. Wir wollten den Leuten mitgeben, dass jeder was tun kann. Das ist auch besser für die eigene Psyche als nur zu warten, was denn heute wieder passiert. Wir können unser Blickfeld erweitern und etwas Kleines verändern. Wir können überlegen, was wir in unserer L&D-Welt morgen tun können. Zum Beispiel in Bezug auch Nachhaltigkeit: Wir können unsere Seminare durchforsten und überlegen, wo wir noch Plastik-Namenschilder oder andere unnötige Verschwendungen haben. Wo finden die Seminare statt? An schönen Orten weit ab oder dort, wo man günstig mit dem öffentlichen Nahverkehr hinkommt? Es gibt so viele kleine Beispiele. Das war es, was wir den Teilnehmenden mitgeben wollten. Ein Stück Zukunftslust statt Zukunftsfrust, und ich glaube, das ist uns gelungen.
Bildungsgipfel | Münchener Bildungsforum (muenchener-bildungsforum.de)
Das Manifest 2044 kann man hier nachlesen
Das Interview führt Bärbel Schwertfeger
Dr. phil. Kai Liebert ist Vorstand des Münchner Bildungsforums. Bis 2020 war Leiter des Global Learning Campus bei Siemens
Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.