Auf ein Bier mit dem erfahrenen Recruiter

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Das hatte mich dann doch überrascht. So ein arroganter Depp! Steht auf und geht einfach. Und dann noch der dumme Spruch dazu. Das ist schließlich ein Bewerbungsgespräch hier und kein Picknick.

Es ging ja schon gut los: runder Rücken, schlurfender Gang. Schon als ich das Krickelkrackel unter dem Motivationsschreiben sah, wusste ich: Der taugt nix. Das „kleine A“ war nicht geschlossen, also viel zu unstet und komplexbeladen. Und wer, bitte schön, braucht Absolventen in diesem Pseudofach Wirtschaftspsychologie? Entweder Psychologie oder  BWL und nicht so ein Mischmasch. Der badet gern lau, der Herr! Recruiting ist doch nichts für Weicheier.

Aber klar, die Chefin, mal wieder: Sie sehe da Potential. Ich solle mal mit ihm reden. Wenn es nach der geht, kaufen wir bald teure Tests. Die sollten Intelligenz messen und Handlungstendenzen oder so was. Wer braucht das denn? Macht doch eh kein Bewerber mit. Ist lange bewiesen.

Ich habe 20 Jahre Erfahrung im Recruiting seit sie meinen alten Job nach Budapest ausgelagert haben. Und schon meine Oma sagte: „Der Bub hat fei Menschenkenntnis“.  Jetzt will mich die Trulla über mir sogar in ein Interviewtraining schicken. Ich erkenne doch Talent, wenn ich es sehe! Auch wenn ich zugeben muss: Es ist schwieriger unter Corona, so ohne den Händedruck. Ich brauche auch keine Struktur. Wozu soll ich eine Stunde investieren und mit dem Fachbereich den Job klären? Ich kenne doch den Laden und meine Pappenheimer. „Recruiting nach DIN 33430“ soll es nun bald werden – ich glaub, ich spinne! Ach, was solls. Läuft sich eh tot.

Zurück zu dem Typen heute. Klar musste ich ihn hart rannehmen bei der  Bewerbung. Wenigstens ein Mann, dachte ich erst, als ich seinen Namen gelesen hatte, sonst bewerben sich hier ja nur Fräuleins als Recruiter. Dann kurz gegoogelt – und du glaubst es nicht, was der da alles auf Instagramm postet! Dazu mal bei Gelegenheit mehr.

Wie gesagt, ich mach das im Interview ganz professionell, wie ich mir das selbst beigebracht habe. Erzähle erst mal ganz ausführlich wie der Laden hier so läuft, was wir für Typen brauchen im HR-Bereich, von meiner Erfahrung, die nicht mit Gold aufzuwiegen ist und so weiter. Höflichkeitshalber frage ich ob er noch Fragen habe.

Und dann fragt der doch tatsächlich! Nach dem Gehalt, nach Benefits, ob wir Eignungsdiagnostiker-Pause-innen hätten und so einen Mist, statt mich erst mal von sich zu überzeugen. So ein Anfänger.  Ich hab ihn damit natürlich ignoriert und bin gleich eingestiegen mit der Schwächenfrage. Mensch, hat der gekuckt! Hat sich dann irgendwas zurecht gestottert. Kann auch nicht mehr sagen was, denn Mitschreiben stört meine Intuition. Und dann fragte er verwirrt,ob er etwas trinken dürfe. Padamm: Bewerber versenkt! Aber Strafe muss sein also fragte ich noch: „Was soll denn mal auf Ihrem Grabstein stehen?“.

Dann ist er aufgestanden und gegangen. An der Tür dreht er sich noch einmal um und sagt mir ins Gesicht: „Das war das schlimmste Gespräch, das ich je erlebt habe.“ Und wie läuft es denn bei euch so?

Jurist und Leiter Recruiting und Arbeitnehmerüberlassung beim HR Service der Bosch Gruppe in Deutschland. Gründungsmitglied der Recruitingrebels

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