Das Einsamkeitsgefühl hat sich in Deutschland in den ersten vier Wochen des Corona-Lockdowns verändert: Während es im Durchschnitt in den ersten zwei Wochen zunahm, nahm es in Woche drei und vier wieder ab. Allerdings fielen die Ergebnisse in den unterschiedlichen Altersklassen verschieden aus. Zu diesem Schluss kommen Forscherinnen und Forscher der Ruhr-Universität Bochum und der Humboldt-Universität in Berlin nach Auswertung einer Online-Befragung.
„Unsere Daten stützen die Theorie einer Epidemie der Einsamkeit nicht“, folgert Susanne Bücker von der Arbeitseinheit Psychologische Methodenlehre der Bochumer Ruhr-Universität. „Allerdings berichten wir nur Kurzzeiteffekte, die sich möglicherweise von Langzeiteffekten unterscheiden.“ Es komme hinzu, dass es in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern gut gelungen sei, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. „Psychische Konsequenzen könnten in anderen Ländern, die die Pandemie nicht so gut bewältigen konnten, anders ausfallen“, ergänzt Professor Kai Horstmann von der Arbeitsgruppe Psychological Assessment of Person-Situation-Dynamics an der Berliner Humboldt-Universität.
Die Psychologen befragten 4.850 deutschsprachige Erwachsene im Alter zwischen 18 und 88 Jahren im Zeitraum vom 16. März bis 12. April 2020 in einer Online-Tagebuchstudie. Die Teilnehmenden füllten jeweils vier Tage pro Woche einen Fragebogen zum vergangenen Tag aus, danach folgten einige Tage Pause und anschließend ein Fragebogen mit einem Wochenrückblick. Dieser Ablauf wurde für mehrere Wochen wiederholt.
In der untersuchten Stichprobe erzielten Menschen über 60 Jahren entgegen den Erwartungen die geringsten Einsamkeitswerte. Am einsamsten fühlten sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen 18 und 30 Jahren. Personen, die verwitwet oder alleinstehend waren, berichteten im Durchschnitt mehr Einsamkeit als Personen, die in einer festen Partnerschaft lebten. Auch Menschen mit einem erhöhten Risiko für eine Covid-19-Erkrankung gaben an, sich einsamer zu fühlen als diejenigen, die kein erhöhtes Risiko hatten. Die durchschnittliche Einsamkeit hing jedoch nicht damit zusammen, ob jemand alleine oder mit mehreren Personen zusammen in einem Haushalt lebte.
Generell beobachteten die Forscherinnen und Forscher sehr unterschiedliche Einsamkeitsverläufe. Bei manchen Menschen nahm die Einsamkeit im Lauf des Lockdowns zu, bei anderen ab.
Signifikante Unterschiede zeigten sich zum Beispiel in Abhängigkeit der Familiensituation. Bei Personen ohne Kinder nahm die Einsamkeit im Lauf der Zeit ab, bei Eltern hingegen zu. Eltern waren in der Krise besonders stark gefordert, da viele eine berufliche Tätigkeit, Beschulung, Kinderbetreuung und Freizeitgestaltung unter einen Hut bekommen mussten. Ihnen stand in dieser Phase möglicherweise weniger Zeit zur Verfügung, sich um ihre soziale Einbindung zu kümmern, spekulieren die Autoren der Studie.
Ältere Menschen berichteten zwar im Durchschnitt weniger Einsamkeit als jüngere, allerdings stieg bei ihnen die Einsamkeit im Lauf der vier untersuchten Wochen tendenziell an, während sie bei Jüngeren tendenziell abnahm. Die Vermutung des Forschungsteams: Möglicherweise gelang es jüngeren Menschen durch die Nutzung moderner Technologien in der Anfangsphase des Lockdowns besser als älteren Menschen, die negativen sozialen Auswirkungen der Distanzierungsmaßnahmen zu kompensieren.
Die Erklärungen seien allerdings spekulativ, betont Susanne Bücker. Es sei weitere Forschung erforderlich, um die Hintergründe der beobachteten Effekte zu verstehen. Wer Interesse hat, an der weiterlaufenden Studie teilzunehmen, kann sich unter https://covid-19-psych.formr.org registrieren.
Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.