Eine Million Mitarbeiter berührt

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Psychologie und Management – das waren lange Zeit zwei Welten. Doch Manfred Kets de Vries brachte sie zusammen. Der Managementprofessor, Psychoanalytiker und Coach zeigte schon vor 30 Jahren, dass Topentscheider nicht sachlich urteilen und argumentieren, sondern sich von unterdrückten Gefühlen und unbewussten Ängsten leiten lassen. Am 19. August wird der Professor am INSEAD 80 Jahre alt.

Wie haben Sie die Zeit der Pandemie verbracht?

Für mich war das eine sehr produktive Zeit. Ich habe acht Bücher geschrieben und zahlreiche Artikel. Darunter einen über die Diktatur. Es ist eine Satire, die die Idiotie der Menschen entlarvt, die Diktaturen unterstützen, und die Vorteile dieser Regierungsform feiert. Gleichzeitig werden auch die Schattenseiten der Demokratie aufgezeigt. Demokratien sind schwerfällige Luftschlösser. Der Text zeigt, wie Diktatoren zur Zerstörung der Zivilgesellschaft beitragen und zu Korruption, Terror, Krieg und sogar Völkermord anstiften. Und er beschreibt, wie Diktatoren ihre autokratische Herrschaft zementieren, indem sie ihre Bürger durch Angst gefügig machen und die freie Meinungsäußerung unterdrücken.

Also eine Beschreibung von Russland.

Ich war in Moskau, als der Krieg begann und habe ein Topmanagement-Seminar gegeben. Es war interessant, wie da totale Panik ausbrach. Ich denke, in dem Fall muss man klare Grenzen setzen. Deutschland ist das mächtigste Land in Europa. Wenn Deutschland den Geldfluss stoppt, wird der Krieg nicht mehr lange dauern. Auch wegen der anderen Sanktionen. Natürlich kostet das was. Das ist ein typisches Szenario. Seit rund einem Jahr sieht Putin, dass es in dem Land nicht gut läuft. Da ist das Beste, sich Feinde zu schaffen. Er hat die Kontrolle über die Medien, Polizei, den Geheimdienst und bis zu einem gewissen Grad das Militär. So kommt er damit durch.  Es ist ein sinnloser Krieg eines Präsidenten mit seinem Wahn von Grandiosität und seinen politischen Phantasien.

Was würden Sie tun, wenn Putin Sie als Coach anfragen würde?

Wenn Donald Trump mich gefragt hätte, hätte ich abgelehnt, weil er ist ein bösartige Narzisst ist. Er wäre charmant, würde mich missbrauchen, aber am Ende wäre es hoffnungslos. Bei Putin hätte man mehr Möglichkeiten. Er ist kein bösartiger Narzisst.  Das wäre ein langer und harter Job. Ich habe eine Reihe von Klienten,  Unternehmer, die ein großes Geschäft aufgebaut haben. Sie haben einen Führungsstil, der nicht mehr funktioniert, weil sie zu sehr kontrollorientiert sind. Das ist sehr sehr schwierig.

Wie sehen die Coaching-Markt?

Es gibt unzählige Coaches mit unterschiedlichsten Hintergründen. Ich weiß nicht, was die alle machen. Ich bin etwas besorgt, wenn jemand gefeuert wird, dann wird plötzlich Coach. Ich habe einen Artikel über Coaching BS, als Coaching Bullshit, geschrieben. Ich sage den Leuten immer, ich bin ein schrecklicher Coach. Ich mache alles, was funktioniert. Ich stelle nicht ständig bedeutungsvolle Fragen. Manchmal sind die Manager einfach Idioten, die ihre Sachen nicht auf die Reihe kriegen und ihre Hausgaben machen müssen.

Sie sagen, wir brauchen mehr Vertrauen in der Wirtschaft.

Das ist eine sehr delikate Sache. Wir alle sind ein bisschen paranoid. Das ist eine menschliche Basis, wenn der sibirische Tiger kommt. Auf der anderen Seite, wenn man will, dass die Sachen funktionieren, hat man mit Vertrauen ein glücklicheres Leben. Vertrauen und Hoffnung sind verbunden. Es gibt einem ein Gefühl der Sicherheit. Narzissmus hat einen schlechten Ruf, aber Narzissmus ist verbunden mit Selbstbewusstsein. Das Problem ist das Zusammenspiel von Disposition und Position. In dem Moment, wo man in der Machtposition ist, haben die Menschen eine Tendenz, dir das zu sagen, was du hören willst. Das musst du unterbinden.

Am INSEAD leiten Sie erfolgreich das Seminar „Challenge of Leadership Executive“ für Topmanager.

Ich nenne das das CEO-Recycling-Seminar. Das ist das am Längsten laufende Seminar am INSEAD. Das ist völlig anders als im MBA zu unterrichten, da gibt es einen Lehrplan. Hier habe ich keine Ahnung, denn das Material ist letztlich das Leben der Teilnehmer. Ich muss wachsam sein und denke mir, oh mein Gott, was passiert da? Das ist auch der Grund, warum ich es noch immer mache. Das ist eine großartige Lernerfahrung. Normalerweise sind es 21 Teilnehmer und 16 Nationalitäten. Aber Menschen sind Menschen. Es hat eine starke psychodynamische systemische Orientierung.

Was machen Sie da?

Lassen Sie mich ein Beispiel geben. Vor einigen Jahren hatte ich eine Teilnehmerin, nennen wir sie Anna. Sie war Vorsitzende des Boards und sie redete gern. Wenn sie die Hand hob, dann wusste ich, dass es eine sehr lange Rede sein würde. Aber ich wollte fair sein und die anderen auch zu Wort kommen lassen. Aber sie redete für eine lange Zeit. Das Seminar hat vier Module und zweieinhalb Monate zwischen dem ersten und zweiten Modul. Beim nächsten Modul war Anna sehr ruhig. Ich fragte sie nach dem Seminar, was los ist. Anna sagte, meine Kollegen haben mir gesagt, dass ich zu viel rede und lieber zuhören soll. Zwischen den Modulen habe ich ein Meeting gehabt und zugehört und viel gelernt. Es ist die altbekannte Sache, wenn dir eine Person sagt, du hast Ohren wie ein Esel, ignoriere es. Aber wenn dir das zehn Personen das sagen, dann akzeptiere es. In der Gruppe ist es viel effektiver als im Einzelcoaching. Ich habe viele Manager, die sind wie Teflon, an denen prallt alles ab. Aber wenn dir zehn Teilnehmende sagen, dass du ein Idiot bist – in einer etwas konstruktiveren Art – dann fängst du an nachzudenken.

Ist Gruppencoaching ist effektiver als Einzelcoaching?

Ich denke, es ist weder das eine noch das andere. Einzelcoaching, Peer Coaching und Teamcoaching – alle drei sind wirksam. Einzelcoaching ist einfach sehr langsam. Ich möchte Erfolg sehen. Ich kann aus Gründen der Vertraulichkeit jeweils nur eine Person aus einem Unternehmen in mein Programm aufnehmen. Wenn dann ein Unternehmen sagt, ich habe sieben Personen im Executive Team. Dann dauert das sieben Jahre. Ich hatte ein deutsches Unternehmen, das war sehr mutig und hat ein Team geschickt. Da habe ich es versucht und es hat funktioniert. Und dann habe ich es bei Goldman Sachs und McKinsey wiederholt. Die haben danach gesagt, jetzt können wir anfangen zu arbeiten. Ich bin ein großer Verfechter von Teamcoaching und habe das in INSEAD in allen Programmen eingeführt. Ich sage immer, gebt mir ein neurotisches Management-Team und mache was draus. I

Aber in ihrem Seminar haben Sie ein bestimmtes Vorgehen.

Als ich Direktor des Global Leadership Center war, musste ich ökonomisieren und eine Möglichkeit wa…

Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.

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