Flow bei der Arbeit greifbar machen

pexels-pixabay

Zufriedene und motivierte Mitarbeiter, die in ihrer Arbeit aufgehen, wünschen sich die meisten Unternehmen. Die Messung des Flow-Zustands könnte das in Zukunft greifbarer machen.

Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi gilt als Begründer des Flow-Konzeptes. Er hat das Flow-Erleben nicht als erste Person entdeckt, jedoch das zugrundeliegende Phänomen erstmalig im Rahmen einer großen psychologischen Studie untersucht. In qualitativen Interviews über die Qualität von Erlebnissen bei Schachspielern, Kletterern, Bergsteigern, Tänzern und auch Chirurgen fand Csikszentmihalyi ein vergleichbares Phänomen, das alle Gruppen unabhängig voneinander beschrieben: das Flow-Erlebnis.

Die Teilnehmer der Studie beschrieben alle einen Zustand, in dem sie sich wie in einem Strom fühlten und die Aktivität mühelos, fließend, spielerisch und wie von selbst geschah (Csikszentmihalyi 2000). Unter Flow versteht man einen subjektiven psychologischen Zustand, welcher durch das Aufgehen in einer bestimmten Tätigkeit, bei hoher intrinsischer Motivation sowie hoher Konzentration charakterisiert ist. Die Aufmerksamkeit ist ausschließlich auf die momentane Tätigkeit gerichtet. Personen, die einen Flow-Zustand erleben, verlieren oft Hunger- oder Müdigkeitsempfindungen und haben eine sehr eingeschränkte Zeitwahrnehmung. Typische Situationen, in denen es zu einem Flow-Erleben kommen kann, sind: sportliche Aktivitäten, das Lesen eines spannenden Buches, das Malen eines Bildes oder Lernen oder Arbeiten. Die Erfahrung des Flow-Zustandes tritt also keineswegs nur bei Freizeitaktivitäten auf – vielmehr können Flow-Erfahrungen auch im Arbeitskontext beobachtet werden (Peifer & Wolters, 2021). Außerdem wird Flow nicht nur bei individuellen Tätigkeiten erlebt, sondern auch in sozialen Kontexten, beispielweise bei einer anregenden Unterhaltung oder beim konzentrierten Arbeiten in einem Team (Walker, 2010).

 “Flow can be defined as the enjoyable experience of full absorption in an activity in which the demands are perceived as optimally compatible with one’s skills” (Peifer & Engeser, 2021).

Flow-Zustand im Arbeitskontext

Der Flow-Zustand wird von jeder Person sehr unterschiedlich wahrgenommen. Daher gibt es auch viele verschiedene Möglichkeiten zur Erreichung dieses optimalen Zustandes. Jedoch lassen sich, ausgehend von Csikszentmihalyi allgemeinen Schlüsselfaktoren zum Flow-Erleben, allgemeine Empfehlungen für den Arbeitskontext ableiten. Folgende Punkte könnten die Erreichung des Flow Zustandes von Mitarbeitenden positiv beeinflussen:

  1. Klar formulierte Zielvorstellungen und Erwartungen.
  2. Vermeidung von Ablenkungsquellen, sodass eine hohe Konzentration auf eine bestimmte Tätigkeit möglich ist.
  3. Konstruktives Feedback von Vorgesetzten.
  4. Optimale Passung zwischen den externen Anforderungen und den persönlichen Fähigkeiten.
  5. Intensive intrinsische Motivation: Die Aufgabe an sich sollte als Belohnung erlebt werden (autotelisches Erlebnis)
  6. Einräumung von Zeitfensters ohne Zeitdruck. Unterbrechungsfreies Arbeiten sollte ermöglicht werden.

Psychophysiologie des Flow Zustandes

In den vergangenen Jahren hat das Forschungsinteresse des Flow-Zustandes aus einer physiologischen Perspektive stark zugenommen. Es finden sich zahlreiche Zusammenhänge zwischen neurophysiologischen Prozessen im menschlichen Körper und dem Flow-Konzept sowie verwandten Disziplinen wie Mental Health, Stress und Mental Workload. Bisher wurde sich der Erforschung von Flow-Zuständen größtenteils aus einer retrospektiven Sicht mithilfe von subjektiven Methoden wie Interviews oder Fragebögen angenähert. Erfolgt eine Befragung während eines Flow-Erlebens, kann die Person aus dem Zustand des konzentrierten und fokussierte Arbeitens gerissen werden, was natürlich nicht erwünscht ist. Die Erfassung objektiver psycho-physiologischer Parameter in Echtzeit verspricht einen vielversprechenden Ansatz, um dieser Problematik durch subjektive Befragungen entgegenzuwirken. Doch welche physiologischen Parameter könnten herangezogen werden, um sich Flow-Zuständen zu nähern? Es eignen sich beispielsweise Parameter, wie die Herzratenvariabilität (HRV) (Peifer, Schulz, Schächinger, Baumann, & Antoni, 2014), die elektrodermale Aktivität oder die Atmung (de Manzano & Theorell, 2010). Gerade mithilfe der HRV lassen sich aufschlussreiche Rückschlüsse auf das vegetative bzw. autonome Nervensystem ziehen, die für die Erforschung des Flow-Phänomens von großer Bedeutung sind.

Die HRV beschreibt die Fähigkeit des Herzens, die Abstände zwischen den Herzschlägen den momentanen Erfordernissen des Organismus anzupassen. Die Pulsfrequenz ändert sich als Reaktion auf körperliche oder mentale Belastungs- oder Entspannungszustände (Rensing et al. 2006). Die HRV wird Anhand der variierenden Abstände zwischen den R-Zacken bestimmt, also den Punkten mit der größten elektrischen Aktivität in einem EKG-Signal. Bei einem gesunden Herzen ist die Herzfrequenz bei einer Belastung schnell und gleichmäßig. In Ruhe ist die Herzfrequenz langsam und variabel, sodass unterschiedlich lange Intervalle zwischen den Herzschlägen, also sogenannte RR-Intervalle auftreten. Eine Analyse dieser RR-Intervalle ermöglicht eine Interpretation der HRV. Ein variabler Herzschlag ist somit ein Zeichen für eine gesunde körperliche Anpassungsfähigkeit gegenüber äußeren Einflüssen.

Gerade für die Erfassung der HRV sollte ein richtiges EKG, und keine optisch erfasste Pulswelle, wie sie von Wearables am Handgelenk gemessen wird, als Berechnungsgrundlage herangezogen werden. Nur so können die R-Zacken präzise detektiert werden und anschließend die Berechnung der RR-Intervalle erfolgen. Der Herzratensensor EcgMove 4 von movisens bietet den genauesten mobilen Sensor zur Ermittlung eines 1-Kanal EKG-Signals (Präzision R-Zacken Erkennung:1ms) in Kombination mit körperlicher Aktivität.

Es gibt insgesamt zwölf EKG-Kanäle oder Ableitungen, die gemessen werden können und die, die elektrischen Spannungen zwischen zwei Punkten darstellen. Im stationären Umfeld, wie zum Beispiel beim Arzt oder im Labor, kommt klassischer Weise ein 12-Kanal-EKG zum Einsatz, während für die mobile Messung das 1-Kanal-Signal völlig ausreichend ist. Eine hohe Akkuleistung ermöglicht Langzeitmessungen im Alltag von Versuchspersonen, die Aufschluss über die momentane Belastungs- oder Stresssituation geben.

Movisens bietet Lösungen für das ambulante Assessment und das mobile Monitoring an. Es wurde 2009 als Spin-off des KIT Karlsruhe gegründet. Die Lösungen werden von führenden Universitäten, Forschungsinstituten und in der industriellen Forschung genutzt. Einsatz finden die Produkte und Lösungen unter anderem in den Bereichen Sportwissenschaft, Sportmedizin, Psychologie, Medizin und Public Health.

Bild 1: movisens EcgMove 4 Herzraten-Sensor getragen mit Einmal-Elektroden

Welche Zusammenhänge sind nachweisbar?

Bisherige Forschungsergebnisse legen nahe, dass der für das Flow-Erleben optimale physiologische Zustand auf dem Scheitelpunkt einer invertierten U-Funktion für die Simulation des vegetativen Nervensystems liegt. Dieses sogenannte Yerkes-Dodson-Gesetz beschreibt die Leistungsfähigkeit in Abhängigkeit von der physiologischen Aktivierung des Nervensystems. Man kann einen umgekehrt U-förmigen Zusammenhang zwischen der physiologischen Aktivierung, auf der x-Achse, und der Leistungsfähigkeit, auf der y-Achse, beobachten. Natürlich wird dieser Leistungsverlauf oftmals stark durch emotionale oder motivationale Faktoren beeinflusst. Die Extreme an beiden Enden der Kurve repräsentieren suboptimale Verhältnisse zwischen sympathischer- und parasympathischer Aktivierung.

Abb. 1:  Yerkes-Dodson Zusammenhang zwischen Effektivität/ Produktivität und physiologischer Aktivierung“

Es konnte ein Zusammenhang zwischen einem intensiven Flow-Erleben einer Person, einer Abnahme der HRV sowie einer zugleich erhöhten mentalen Beanspruchung nachgewiesen werden (de Manzano et al. 2010). Diese Ergebnisse legen nahe, dass Personen während eines Flow-Zustandes eine physiologische Stressreaktion aufweisen und ein gewisses Stresslevel somit den Flow begünstigen kann.

Wichtig ist jedoch, dass der Stress nicht zum Dauerzustand wird und sich nach einem Flow-Zustand auch wieder Phasen der Entspannung einstellen. Gerade die Erholung in der Nacht ist essentiell wichtig, um psychischen Erkrankungen, wie z.B. einem Burnout vorzubeugen. Betrachtet man die HRV innerhalb des Verlaufes von 24-Stunden sollte während des Tages die sympathische und während der Nacht die parasympathische Aktivierung dominieren.

Die Herzratenvariabilität kann mithilfe der movisens Software durch verschiedene Parameter dargestellt werden: Man unterscheidet zeit- und frequenzbezogene Parameter. Die wichtigsten zeitbezogenen HRV-Parameter sind: SDNN (Standard Deviation of RR-Intervals), RMSSD (Root Mean Sum of Squared Distance) sowie der pNN50. Für die frequenzbezogene Analyse wird häufig das Verhältnis von Low- und High Frequency Bereichen (LF/HF) herangezogen. Hierbei entsprechenden die Bereiche mit hoher Frequenz einer vorwiegend parasympathischen Aktivierung während in Niedrigfrequenzbereichen primär sympathische Aktivität stattfindet.

Dargestellt werden können diese LF/HF Bereiche durch ein sogenanntes Spektrogramm, um Teilnehmern einer Studie eine kurze und übersichtliche Rückmeldung über ihre persönliche Stress- oder Belastungssituation zu geben. Wie die Auswertung der HRV-Parameter im Rahmen der movisens-Reporte aussieht, zeigen die nachfolgenden Grafiken:

Abb.2: movisens HRV Report generiert aus den EKG Rohdaten mithilfe der Analyse Software „DataAnalyzer“

Zukunftsausblick

Der qualitativ hochauflösende Herzratensensor von movisens bietet Forschenden ein optimales Tool, um zukünftig weitere spannende Fragestellungen zum Thema Flow im Arbeitskontext zu untersuchen. Zur Erforschung des Flow-Phänomens sollten sowohl objektive Sensor-Daten, als auch subjektive Fragebogen-Daten herangezogen werden. Mit der Möglichkeit die Sensoren über Bluetooth mit einem Smartphone zu verbinden, bietet sich die Möglichkeit zur Darstellung eines kontextualisierten Gesamtbildes aus objektiven und subjektiven Stressindikatoren. Der Sensor analysiert physiologische Parameter in Echtzeit und übermittelt die Ergebnisse an ein Smartphone. Basierend auf zum Beispiel einer Änderung der HRV, können entsprechende Fragebögen über die App ausgespielt werden.

 Es bleibt festzuhalten, dass es gerade bei der Identifikation von Flow-Zuständen, mithilfe von physiologischen Markern im Arbeitskontext einen noch sehr großen Forschungsbedarf gibt. Da das Erreichen des Flow-Zustandes einen wesentlichen Beitrag zu produktiveren und zufriedeneren Mitarbeitenden leisten könnte, bleibt zu hoffen, dass die Forschung auf diesem Gebiet in den nächsten Jahren weiter an Fahrt aufnimmt.

Weitere Literatur

Chin M.S., Kales S.N. (2019). Is There an Optimal Autonomic State for Enhanced Flow and Executive Task Performance? Front Psychol. 2019 Aug 14;10:1716. doi:10.3389/fpsyg.2019.01716.

Knierim, M.T., Pieper, V., Schemmer, M., Loewe, N., Reali, P. (2021). Predicting In-Field Flow Experiences Over Two Weeks from ECG Data: A Case Study. In: Davis, F.D., Riedl, R., vom Brocke, J., Léger, PM., Randolph, A.B.,

Müller-Putz, G. (eds) Information Systems and Neuroscience (2021). NeuroIS . Lecture Notes in Information Systems and Organisation, vol 52. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-030-88900-5_11

Knierim, M.T., Pieper, V., Schemmer, M., Loewe, N., Reali, P. (2021). Predicting In-Field Flow Experiences Over Two Weeks from ECG Data: A Case Study. In: Davis, F.D., Riedl, R., vom Brocke, J., Léger, PM., Randolph, A.B., Müller-Putz, G. (eds) Information Systems and Neuroscience. NeuroIS 2021. Lecture Notes in Information Systems and Organisation, vol 52. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-030-88900-5_11

Peifer, C., Engeser,S. (2021). Advances in Flow Research. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-030-53468-4

Peifer C., Schächinger H., Engeser S, Antoni C.H. (2015). Cortisol effects on flow-experience. Psychopharmacology. Mar; 232(6):1165-73. doi: 10.1007/s00213-014-3753-5.

Manzano O, Theorell T, Harmat L, Ullén F. (2010). The psychophysiology of flow during piano playing. Emotion. 2010 Jun; 10(3):301-11. https://doi.org/10.1037/a0018432.

Rensing, L., Koch, M., Rippe, B., Rippe, V. (2005). Mensch im Stress. Springer Spektrum Berlin, Heidelberg.

Seligman, M. E. P., & Csikszentmihalyi, M. (2000). Positive psychology: An introduction. American Psychologist, 55(1), 5–14. https://doi.org/10.1037/0003-066X.55.1.5

Walker, C. J. (2010). Experiencing flow: Is doing it together better than doing it alone? The Journal of Positive Psychology, 5(1), 3–11. https://doi.org/10.1080/17439760903271116

Jana Schlicksupp, Master of Science in International Management, Research Consultant bei movisens in Karlsruhe

Diskutieren Sie mit