Personalauswahl: Typentests noch immer weit verbreitet

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Welche Persönlichkeitstests werden in Unternehmen zur Personalauswahl und Personalentwicklung eingesetzt? Eine Follow-up Umfrage zeigt, dass veraltete Ansätze und Verfahren fragwürdiger wissenschaftlicher Qualität weiterhin auf den vorderen Plätzen liegen.

Persönlichkeitseigenschaften gelten als Schlüsselkompetenzen für beruflichen Erfolg (z.B. Salgado & Táuriz, 2014). Auch in der aktuellen Forschung (z.B. Sackett et al., 2021) werden die Zusammenhänge als substantiell beschrieben. Dementsprechend wächst der Markt persönlichkeitsorientierter Verfahren und wird zunehmend unübersichtlicher (Hossiep & Mühlhaus, 2015). Studien, die explizit den Einsatz von Persönlichkeitsfragebogen im deutschsprachigen Raum transparent machen, sind rar.

Aktuelle Befundlage

Persönlichkeitsfragebogen werden im internationalen Vergleich in Deutschland seltener eingesetzt (Krause, 2017). Vereinzelte Befunde zum Einsatz lassen sich in Studien der Hohenheimer Arbeitsgruppe zur Verwendung verschiedener Personalauswahlmethoden (zuletzt Armoneit, Schuler & Hell, 2020) sowie der Arbeitsgruppe aus Saarbrücken (Diekmann & König, 2015) finden. Dreiundvierzig Prozent der Unternehmen verwenden laut der Hohenheimer Befragungsdaten Persönlichkeitsfragebogen im Rahmen von Auswahlprozessen. Zum Einsatz von Persönlichkeitsfragebogen sowohl zu Zwecken der Personalauswahl als auch zu Personalentwicklung in Deutschland ist 2013 eine Erhebung unter den 580 größten Unternehmen, Banken und Versicherungen durchgeführt worden. Die Ergebnisse wurden in der Psychologischen Rundschau publiziert (Hossiep, Schecke & Weiß, 2015) und mehrfach aufgegriffen. Zwei Drittel (n = 80) der Unternehmen gaben an, persönlichkeitsorientierte Fragebogen einzusetzen, darunter auch Verfahren von fragwürdiger wissenschaftlicher Qualität (vgl. Kanning, 2021). Letzeres lässt auf deutliche Umsetzungsdefizite des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes schließen.

Erhebung

Da die zitierte Erhebung für deutsche Organisationen bereits im Jahr 2013 erfolgte und somit etwa zehn Jahre zurückliegt und aktuelle Zahlen lediglich spärlich vorhanden sind, ist nunmehr unter Einbeziehung von Österreich sowie der Schweiz die Studie erneut durchgeführt worden.

Der Grund für die Erweiterung des Einsatzgebietes über Deutschland hinaus war die Überlegung eine breitere Datenbasis zu erhalten.  Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, bei der viele Personen im Homeoffice arbeiteten, war mit einer geringeren Antwort-Rate zu rechnen. Zudem wird in vielen Untersuchungen der deutschsprachige Raum gesamtheitlich erfasst.

Die Erhebung wurde zwischen Mai und Oktober 2021 durchgeführt. Die 820 größten Unternehmen (gemäß Umsatzstärke), Banken (gemäß Bilanzsumme) und Versicherungen (gemäß Beitragseinnahmen/ Prämienvolumen) wurden schriftlich um Teilnahme an der Studie ersucht. Hierbei wurde zunächst die Personalleitung eines jeden Unternehms postalisch kontaktiert. Nach sechs Wochen wurde ebenfalls postalisch eine Erinnerung versandt, nach weiteren sechs Wochen eine weitere. Der Erhebungsbogen umfasste insgesamt 27 Fragen, neben demographischen Fragen zur Person und zum Unternehmen wurde die Bekanntheit sowie der Einsatz von Persönlichkeitsfragebogen für Personalauswahl und/oder -entwicklung abgefragt. Der Erhebungsbogen orientierte sich an jenem, der bereits in der Primärstudie (Hossiep et al., 2015) genutzt wurde. Zur Auswahl standen insgesamt 27  Verfahren. Zudem wurden Fragen zum Einsatz, zum Anwendungskontext sowie zu den Anwendenden  von Persönlichkeitsfragebogen gestellt.

Dem Aufruf zur Teilnahme sind 115 Organisationen gefolgt, dabei 82 aus Deutschland (71 Prozent), 19 aus Österreich (17 Prozent) und 14 Unternehmen aus der Schweiz (zwölf Prozent).  Zusammengenommen verfügen diese Unternehmen über rund 3,2 Millionen Beschäftigte (entspricht etwa 18 Prozent der Gesamtanzahl der Mitarbeitenden der befragten 820 Organisationen). 75 Prozent der Unternehmen geben an, Persönlichkeitsfragebogen einzusetzen, (D: 71 Prozent; A: 79 Prozent; CH: 93 Prozent). Für Deutschland ist damit die Einsatzhäufigkeit im Abgleich zu 2013 (67 Prozent) leicht gestiegen, der Unterschied ist allerdings statistisch nicht signifikant. Auch wenn im Kontrast zu den Hohenheimer Studien (43 Prozent im Bereich der Personalauswahl) sowie den Ergebnissen von Diekmann und König (2015; 15 Prozent) das große Einsatzfeld der Personalentwicklung mit erfasst wurde, ist eine gewisse Überschätzung denkbar, da Organisationen, die derartige Verfahren nicht anwenden, möglicherweise weniger geneigt waren, an der Studie teilzunehmen.

Die Unternehmen gaben an, null bis sieben der genannten Verfahren für die Personalauswahl zu nutzen (M = 0,83; SD = 1,16). Zugleich werden null bis neun der Verfahren im Rahmen der Personalentwicklung eingesetzt (M = 1,79; SD = 1,47).

Bei deskriptiver Betrachtung wird im Rahmen von Personalauswahl (PA) und Personalentwicklung (PE) das BIP/ BIP-6F (PA: n = 18; PE: n = 32) am häufigsten eingesetzt. Es folgen die typenbildenden Verfahren DISG/persolog (PA = 6; PE = 26) und Insights MDI (PA = 7; PE = 17; vgl. Abb. 1). Inferenzstatistisch zeigt der entsprechende Chi-Quadrat Test jeweils nicht signifikant Werte.

Abb.1: Eingesetzte Verfahren 2013 und 2021

Einsatzbereiche und Zielgruppen

Persönlichkeitsfragebogen werden oft im Zuge von Assessment oder Development Centern eingesetzt (n = 52). Darüber hinaus werden sie häufig bei Coachings (n = 50), Teamentwicklungen (n = 44), Stellenbesetzungen (intern: n = 39; extern: n = 35) und Einstellungsgesprächen (n = 38) angewendet.

Zu den Hauptzielgruppen zählen Führungskräfte (untere Ebene: n = 67; mittlere Ebene: n = 68; obere Ebene: n = 56), Fachkräfte/Spezialistinnen und Spezialisten (n = 55) sowie High Potentials (n = 54). Seltener werden die Verfahren für Auszubildende (n = 29) und Trainees (n = 27) eingesetzt.

Limitationen und künftiger Forschungsbedarf

Die hier berichtete Studie weist spezifische Limitationen auf. Zunächst ist die Ausschöpfung der Stichprobe als gering zu beschreiben, hier wäre für zukünftige Arbeiten selbstverständlich eine breitere Basis wünschenswert. Zudem kann aufgrund des Nicht-Labor-Settings nicht absolut sichergestellt werden, dass auch tatsächlich die Personal-Leitungen geantwortet haben, sowie dass der Erhebungsbogen wirklich gkorrekt beantwortet wurde. Außerdem kann aufgrund der vollständigen Anonymität der Befragung ein systematischer non-response-Bias nicht ausgeschlossen werden.

In der Gesamtschau zeigt sich, dass weiterhin erhebliche Aktivitäten auch von Seiten der Wissenschaft erforderlich sind, um die inzwischen seit Jahrzehnten nicht nur im deutschsprachigen Raum bestehende Kluft zwischen personalpsychologischem Erkenntnisstand und der Anwendungspraxis (research-practice gap, Fisher et al., 2021; Anderson, 2017) zu überwinden.

Fazit

Die wachsende Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen im beruflichen Kontext zeigt sich unter anderem in einem Anstieg der Einsatzhäufigkeit von Persönlichkeitsfragebogen. Im Gegensatz zur letzten Befragung wird kein typologisches Verfahren am häufigsten eingesetzt, sondern mit dem BIP bzw. BIP-6F nunmehr ein wissenschaftlich validierter, dimensionaler Fragebogen. Allerdings finden sich nach wie vor auch Verfahren in den Top 20, die auf veralteten typologischen Ansätzen beruhen und deren Qualität aus wissenschaftlicher Sicht erwiesenermaßen als bestenfalls fraglich eingestuft werden kann (Kanning, 2022). Einschlägige Rezensionen wie beispielsweise von König & Marcus (2013) zum Persolog/DiSG Persönlichkeitsprofil im Auftrag des Testkuratoriums oder Rezensionen (Jäger, 2004) und gutacherliche Stellungnahmen zu Insights (Hornke & Kersting, 2005) – beide in den Top 3 der am häufigsten eingesetzten Verfahren – werden offenbar von den Verantwortlichen in der Personalarbeit kaum rezipiert.

Weitere Literatur

Anderson, N. (2017). Das Verhältnis zwischen Praxis und Forschung in der Personalauswahl: Weiß die linke Hand, was die rechte tut?. In: D. E. Krause (Hrsg.), Personalauswahl. Die wichtigsten diagnostischen Verfahren für das Human Resources Management. (S. 1-29). Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-14567-5_1

Armoneit, C., Schuler, H. & Hell, B. (2020). Nutzung, Validität, Praktikabilität und Akzeptanz psychologischer Personalauswahlverfahren in Deutschland 1985, 1993, 2007, 2020. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 64 (2), 67-82. https://doi.org/10.1026/0932-4089/a000311

Diekmann, J., & König, C. J. (2015). Personality testing in personnel selection: Love it? Leave it? Understand it! In I. Nikolaou & J. Oostrom (Hrsg.), Employee recruitment, selection, and assessment: Contemporary issues for theory and practice (pp. 117-135). Psychology Press.

Fisher, P., Risavy, S., Robie, C., König, C., Christiansen, N., Tett, R. & Simonet, D. (2021). Selection myths: A conceptual replication of HR professionals’ beliefs about effective human resource practices in the United States and Canada. Journal of Personnel Psychology. 20. 51-60. https://doi.org/10.1027/1866-5888/a000263

Hornke, L. F. & Kersting, M. (2005). Stellungnahme zum Gutachten (respektive dem vorliegenden Auszug) von Prof. Claudia Eckstaller, Prof. Dr. Erika Spieß und Dipl. Psych. R. M. Woschée zur Beurteilung von INSIGHTS MDI Version 2 Potential Analyse. Verfügbar unter: https://www.bdp-verband.de/publikationen/politische-positionen/2005/gutachten-zur-beurteilung-von-insights-mdi.html

Hossiep, R., Schecke, J. & Weiß, S. (2015). Zum Einsatz von persönlichkeitsorientierten Fragebogen. Psychologische Rundschau, 66 (2), 127-129. https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000235

Hossiep, R. & Mühlhaus, O. (2015). Personalauswahl und -entwicklung mit Persönlichkeitstests (2. Aufl.). Praxis der Personalpsychologie: Bd 9. Göttingen: Hogrefe.

Jäger, R. S. (2004). Test im Test. Insights MDI – Wissenschaftlich betrachtet. PersonalMagazin, 1, 22.

Kanning, U. P. (2021). Crashkurs Personalpsychologie: organisations-und arbeitspsychologische Grundlagen für die Praxis. Freiburg: Haufe.

Kanning, U. P. (2022). Forschung und Praxis in der Personalpsychologie. Plädoyer für eine evidenzbasierte Personalarbeit. Report Psychologie, 47(4), 5-8.

König, C. J. & Marcus, B. (2013). TBS-TK Rezension: „Persolog Persönlichkeits-Profil.” Psychologische Rundschau, 64, 189 – 191. https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000171.

Krause, D. E. (2017). Anwendung der Personalauswahlverfahren im internationalen Vergleich. In: D. E. Krause, (Hrsg.) Personalauswahl. Die wichtigsten diagnostischen Verfahren für das Human Resources Management. (S. 243-269). Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-14567-5_11

Sackett, P. R., Zhang, C., Berry, C. M., & Lievens, F. (2021). Revisiting meta-analytic estimates of validity in personnel selection: Addressing systematic overcorrection for restriction of range. Journal of Applied Psychology. Advance online publication. https://doi.org/10.1037/apl0000994

Salgado, J. F. & Táuriz, G. (2014). The five-factor model, forced-choice personality inventories and performance: A comprehensive meta-analysis of academic and occupational validity studies. European Journal of Work and Organizational Psychology, 23(1), 3-30. https://doi.org/10.1080/1359432X.2012.716198

Dr. G. Rüdiger Hossiep, Diplom-Psychologe, Leitung Projektteam Testentwicklung an der Ruhr-Universität Bochum

Dr. Sabine Weiß, Diplom-Psychologin, Dozentin für Training sozialer Kompetenzen, Psychologie und Berufsrollenreflexion an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW, Bielefeld

Maike Netzer, Wirtschaftspsychologin (M. Sc.), Beraterin beim ifp - Institut für Personal- und Unternehmensberatung

Dr. C. Richard Hossiep, Wirtschaftspsychologe (M.Sc.), Gründer und Geschäftsführer Applysia sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter & Postdoktorand an der Westfälische Wilhelms-Universität Münster.

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