Warum ein Intelligenztest manchmal der bessere Persönlichkeitstest ist
Wer einen Persönlichkeitstest bei der Bewerberauswahl einsetzt, sollte zunächst einmal folgendes wissen: Persönlichkeitstests sind meist keine Tests, die berufsrelevante Eigenschaften einer Person direkt erfassen. In der Regel geht es um Persönlichkeitsfragebögen mit einer Reihe von Fragen, die von den Bearbeitenden eine standardisierte Selbsteinschätzung zu ihren Eigenschaften einholen.
Zum anderen umfassen diese Fragebögen nur einen Teil der Persönlichkeit. Es geht immer nur um ganz kleine Ausschnitte dessen, was einen Menschen besonders macht. Und manchmal habe ich den Eindruck, dass man am liebsten die Facetten der Persönlichkeit betrachtet, die am leichtesten abgefragt werden können und nicht diejenigen, die für eine Laufbahn oder für eine Organisation am bedeutsamsten sind.
Unstrittig in der Wissenschaft und bestätigt in der Praxis ist dagegen die Bedeutung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Aber wo gibt es den Persönlichkeitstest, der sie ins Zentrum stellt? Stattdessen werden Verträglichkeit und Extraversion oder Entspannung und Gelassenheit oder persönliche Werte oder Motive erfragt.
Damit sind wir beim Faktor Intelligenz. Denn die ist natürlich auch ein Bestandteil der Persönlichkeit. Und bei allen Anforderungen, die etwas mit Denken, Behalten, Sprechen, oder mit Lernen zu tun haben, lassen sich grundlegende Voraussetzungen, um eine Aufgabe erfolgreich zu bewältigen schon relativ zuverlässig und verhältnismäßig einfach mit kognitiven Leistungstests direkt erfassen. Denn die Intelligenz ist der beste einzelne Prädiktor für die spätere berufliche Leistung. Das haben viele gute und unabhängige wissenschaftliche Studien gezeigt. Das sind dann auch echte Tests, die die Bewerberinnen und Bewerber auf die Probe stellen.
Also Finger weg von den Persönlichkeitstest? Nicht unbedingt. Natürlich kann man richtig konstruierte Persönlichkeitsfragebögen auch in der Auswahl nutzen, wenn man seine Interviews besonders gezielt vorbereiten möchte. Allerdings nur, wenn sie auch Eigenschaften erfassen helfen, die im Anforderungsprofil für die Position beschrieben sind. Klassisches Beispiel: Wer im Vertrieb arbeitet und ständig neue Kontakte knüpfen muss, tut sich leichter, wenn er gern auf Menschen zugeht. Bei einem Controller ist das dagegen weniger zentral. Also kann man einen Fragebogen nutzen, der entsprechendes Verhalten systematisch abfragt und die Antworten des Bewerbers mit den Antworten von vielen anderen Personen vergleicht, die in einer Normstichprobe zusammengefasst sind. So erhält man Ausprägungen für eine Dimension, die man mit seinem Anforderungsprofil vergleichen kann. Und kann so sehen, ob jemand genügend Kontaktfreude für den Vertriebsaußendienst mitbringt.
Häufig eingesetzt werden Fragebögen, die nach einem Modell benannt sind, das „Big Five“ oder OCEAN heißt, nach den englischen Anfangsbuchstaben der Dimensionen. Sie enthalten Fragen zu Offenheit für Erfahrungen (Openness), Gewissenhaftigkeit (Concientiousness), Extraversion, Verträglichkeit (Agreeableness) und Neurotizismus. Allerdings gilt auch hier: Die Forschung zeigt, dass außer Gewissenhaftigkeit keines der fünf Merkmale einen Zusammenhang mit dem Berufserfolg zeigt, der verallgemeinerbar ist. Es geht also eher um die „Number Two and the Gang“. Denn die „real BIG Number One“ für die Personalauswahl ist mit Abstand die Intelligenz.
Aber es gibt es noch ein anderes Problem. Die meisten Persönlichkeitsfragebogen, die in der Praxis eingesetzt werden, sind für Auswahl oder Platzierung gänzlich unbrauchbar. Damit meine ich Typentests. Sie kategorisieren – oft auf der Basis von mehr oder weniger fragwürdigen Theorien – Menschen in einige wenige „Typen“, die entweder mit Farben oder Buchstabenkombinationen bezeichnet werden. Das Ergebnis zeigt für eine Person keine Ausprägung einer Eigenschaft, die gegenüber einer Normstichprobe ermittelt wurde. Typ A und Typ B, sagt also nur, welche Eigenschaft eine Person gegenüber ihren anderen Eigenschaften betont hat. Ein Ergebnis ohne Maßstab. Es ermöglicht daher keinen sinnvollen Vergleich von verschiedenen Menschen. Daher eigenen sich Typentests nicht für die Vorauswahl oder Auswahl von Bewerbenden.
Fazit: „Persönlichkeitsfragebögen“, die normiert sind, können eine sinnvolle Ergänzung bei der Personalauswahl sein. Aber immer nur, wenn sie etwas abfragen, das auch den Anforderungen entspricht. Und die zentrale persönliche Eigenschaft ist bei der Personalauswahl die Intelligenz. Sie allein zeigt bereits, wer ein echtes Potenzial hat und wo es grundsätzliche Leistungsrisiken gibt – und das meist viel besser als andere Persönlichkeitsmerkmale!
Harald Ackerschott ist Diplom-Psychologe, Geschäftsführer der Harald Ackerschott GmbH in Sankt Augustin. Er ist Mit-Initiator und Mit-Autor der DIN 33430 und Gründungsmitglied der Recruitingrebels