Klauk-Eklat: Mehr Wissenschaftlichkeit!

shutterstock

Sind IQ-Unterschiede zwischen Migranten verschiedener Herkunftsregionen naturgegeben? Warum Intelligenzforscher auf Suggestivaussagen und unbewiesene Zuschreibungen verzichten sollten.

Stephen Jay Gould berichtet in seinem Buch „Der falsch vermessene Mensch“ von dem amerikanischen Eugeniker H. H. Goddard, der bei seinem Kampf gegen das Absinken der nationalen Intelligenz zwei Strategien verfolgte: „Man hindere einheimische Debile an der Fortpflanzung und halte auswärtige draußen.“ Im Jahr 1913 ließ er IQ-Tests bei Einwanderern auf Ellis Island durchführen. Das Ergebnis: 83 Prozent der Juden, 80 Prozent der Ungarn, 79 Prozent der Italiener und 87 Prozent der Russen seien „schwachsinnig“ (Gould S.180. Siehe auch: Garland E Allen: Intelligence Tests and Immigration to the United States, 1900–1940.

Nun hat der deutsche Psychologe Bruno Klauk bei über 500 nach Deutschland eingewanderten Personen IQ-Tests durchgeführt (Intelligenzdiagnostik bei überwiegend Nicht-EU-Migrantinnen und -Migranten. Wirtschaftspsychologie 4/2019). Die Ergebnisse sind nicht ganz so verheerend – doch auch diese Migranten schneiden schlechter ab als die Einheimischen. Die Probanden werden in Herkunfts-Gruppen unterteilt.

Mehr zu dem Eklat bei der Zeitschrift Wirtschaftspsychologie gibt es hier.

Klauks Forschungsergebnissen zufolge hängt der IQ am stärksten ab „von der Weltregion, aus der jemand zugewandert ist“ – und weniger stark beispielsweise von der Anzahl der Schuljahre im Heimatland (S. 66). Nun hat dieses Ergebnis wenig Aussagekraft, weil die Zusammenhänge ungeklärt bleiben. Fünf Schuljahre in Polen sind etwas anderes als fünf Schuljahre in einem Krisengebiet. Warum sollten sich die IQ-Unterschiede nicht alleine mit den unterschiedlichen Bildungschancen in den Herkunftsländern erklären lassen?

Doch Klauk hat den Begriff „Weltregion“ mit einer speziellen Konnotation eingeführt: Bei der Beschreibung seines Fragebogens erwähnt er die alte Nature-Nurture-Debatte in der Psychologie und ordnet den Begriff „Weltregion“ der Kategorie „nature“ zu (S.59). Sind die IQ-Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Herkunftsregionen also naturgegeben? Was ist mit „nature“ in diesem Zusammenhang gemeint?

Bei der Nature-Nurture-Debatte geht es um die Frage, was durch das genetische Erbe vorbestimmt und was durch umweltbedingtes Lernen erworben ist (Pawlik, Handbuch Psychologie, S. 433). Klauk will sich auf Nachfrage nicht weiter zu diesem Aspekt äußern und droht mit einer Klage. „Das Thema ‚Vererbung von Intelligenz / genetische Einflüsse‘ war nie Bestandteil meiner Forschung. Sollte ich derlei Dinge über mich lesen, vor allem etwas in Richtung `Biologisierung`, würde ich nicht nur ärgerlich werden“, schreibt er in einer Mail.

Die Unterteilung seiner Forschungshypothesen in Nature/Nurture sei in der Ursprungsversion seines Artikels gar nicht vorgekommen, so Klauk. Er habe diesen Aspekt erst auf Anregung eines ihm unbekannten Gutachters der Zeitschrift Wirtschaftspsychologie eingefügt, in der sein Artikel dann veröffentlicht wurde.

Der Herausgeber der Zeitschrift, Lorenz Fischer, bestätigt das – und räumt ein: „Die Zuordnung der Region zum Begriff Nature ist tatsächlich sehr grob, da in dieser Zuordnung nicht nur ethnische sondern auch viele andere Faktoren implementiert sind.“ Die Zuordnung ist allerdings nicht nur grob, sondern wissenschaftlich durch nichts zu begründen. Es gibt keinen Beweis dafür, dass IQ-Unterschiede zwischen Gruppen naturbedingt oder naturgegeben sind.

Doch haben wir nicht alle schon mal irgendwo gelesen, dass Intelligenz „erblich“ sei? Müssen dann nicht auch die IQ-Unterschiede zwischen Gruppen zumindest teilweise genetisch bedingt sein? Es lohnt sich, einen Blick auf das hinter solchen Aussagen stehende wissenschaftliche Modell zu werfen. Im fachsprachlichen Sinne beschreibt „Erblichkeit“ (heritability), in wieweit die Eigenschafts-Unterschiede innerhalb einer Gruppe genetisch bedingt sind.

Warum man die Kategorien „innerhalb einer Gruppe“ und „zwischen Gruppen“ nicht durcheinanderwerfen darf, zeigt ein Beispiel: Wenn man in einem Treibhaus für jede Pflanze gleich gute Wachstumsbedingungen herstellt, kann man davon ausgehen, dass die nach einiger Zeit feststellbaren Größenunterschiede ausschließlich genetisch bedingt sind. Der genetisch bedingte Varianzanteil (die „Erblichkeit“) beträgt 100 Prozent. Im Nachbar-Treibhaus herrschen für jede Pflanze gleich schlechte Wachstumsbedingungen. Auch hier beträgt der genetisch bedingte Varianzanteil (die „Erblichkeit“) 100 Prozent. Trotz dieser hohen (vollständigen!) Erblichkeit sind die durchschnittlichen Größenunterschiede zwischen den beiden Pflanzengruppen aber vollständig umweltbedingt – ausschließlich zurückzuführen auf den anderen Nährstoffgehalt des Bodens und das andere Klima.

Es ist also ein kapitaler logischer Fehler, vom genetisch bedingten Varianzanteil innerhalb einer Gruppe ableiten zu wollen, ob Unterschiede zwischen Gruppen genetisch bedingt sind. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun (Fischbach/Niggeschmidt, Erblichkeit der Intelligenz – eine Klarstellung aus biologischer Sicht, S.35).

Das hindert Intelligenzforscher nicht daran, genetische Ursachen für IQ-Unterschiede zwischen Gruppen für „wahrscheinlich“ oder für „plausibel“ zu erklären und dafür schiefe Herleitungen zu bemühen. Ein Beispiel dafür ist der britische Neo-Eugeniker Richard Lynn, auf den Klauk in seinem Artikel mehrfach verweist. Zum Thema „differences in intelligence between the races“ schreibt Lynn an anderer Stelle: „… there are a number of considerations that suggest that genetic factors are also involved“ (Race Differences in Intelligence, S.189). Oder der ebenfalls von Klauk herangezogene deutsche Psychologe Heiner Rindermann, der schon mal behauptet: „… high heritabilities make it rather impropable that genes were not involved in group differences as in international ones“ – aber zugeben muss: „A logical conclusion from individual to national differences is not possible.“ (Cognitive Capitalism, S.290).

Was soll man davon halten, wenn Wissenschaftler unbewiesene Behauptungen über angeblich genetisch bedingte IQ-Gruppenunterschiede kolportieren? Was hilft gegen Mutmaßungen, Suggestivaussagen und Unterstellungen? „Wir brauchen mehr Wissenschaftlichkeit, mehr epistemische Rationalität, weniger politische Ideologie“, schreibt Rindermann in einem Kommentar zur Diskussion um den Klauk-Artikel (Wirtschaftspsychologie 2/2020, S.34). Er bezieht das auf die Klauk-Kritiker und wählt damit die falschen Adressaten – doch inhaltlich ist ihm voll zuzustimmen.

Lesetipp: Karl-Friedrich Fischbach / Martin Niggeschmidt: Erblichkeit der Intelligenz – eine Klarstellung aus biologischer Sicht. Auflage – Springer VS Essentials 2019: Ist Intelligenz erblich? Karl-Friedrich Fischbach und Martin Niggeschmidt zeigen, dass „Erblichkeit“ in der biologischen Fachsprache etwas anderes bedeutet als in der Alltagssprache – was fast zwangsläufig zu Fehlinterpretationen führt. Die zweite Auflage dieses Essentials wurde um Kapitel zur Aussagekraft von Zwillingsstudien und genomweiten Assoziationsstudien erweitert.

Martin Niggeschmidt ist Co-Autor des Buches „Erblichkeit der Intelligenz – eine Klarstellung aus biologischer Sicht“ (Springer Essentials).

Kommentare anzeigen (1)