Mikroaggressionen gegen Frauen: Lächeln Sie doch mal!

Pixabay Geralt

Auch wenn geschlechtsspezifische Diskriminierungen längst verboten sind, ist subtiler Sexismus in Form von Microaggressionen für Frauen noch immer ein Problem.  Mit Hilfe eines neu entwickelten Fragebogen lassen sich diese im deutschsprachigen Sprachraum messen

Es ist ein Mittagessen am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz 2022, das verdeutlicht, wie weit Deutschland noch von Geschlechtergleichstellung entfernt ist. Das Bild, das in den (sozialen) Medien für viel Aufsehen sorgte, zeigt 30 Top-Manager beim Business-Lunch. Unter ihnen keine einzige Frau.

Auch abseits dieser Momentaufnahme zeigt sich ein ähnliches Bild. Im Jahr 2020 waren 27,8 Prozent der Vorstandsmitglieder und 7,4 Prozent der CEOs der größten börsennotierten Unternehmen in der Europäischen Union weiblich. Vergleichbare Zahlen finden sich auch in Deutschland, wo etwa 51 Prozent der Hochschulabsolventinnen weiblich sind, während Frauen nur 14,7 Prozent der Vorstandsmitglieder der 200 größten Organisationen und 8,0 Prozent der CEOs stellten. Im Einklang mit diesen Zahlen deutet eine wachsende Zahl von Forschungsergebnissen darauf hin, dass trotz der Bemühungen zur Förderung der Gleichstellung geschlechtsspezifische Diskriminierungen am Arbeitsplatz fortbestehen.

Wie kommt es, dass in den höchsten Entscheidungsgremien in Politik, Wirtschaft und Forschung Frauen noch immer unterrepräsentiert sind? Woran liegt es, dass weniger als ein Viertel der Führungskräfte in Deutschland weiblich ist?

Einer der Gründe für die anhaltende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern könnte der sich wandelnde Sexismus sein. In Deutschland ist Diskriminierung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit gesetzlich verboten. Dies hat dazu geführt, dass sich der traditionelle, offene Sexismus (d.h., sexistische Stereotype oder offene Diskriminierungshandlungen) zu einem versteckten, subtilen Sexismus gewandelt hat, der auch als Mikroaggression bezeichnet wird.

Mikroaggression – Was versteht man darunter?

Der Begriff der Mikroaggression stammt ursprünglich aus der Rassismusforschung und wurde 1970 von dem amerikanischen Psychiater Chester Pierce geprägt. Der US-Psychologe Derald Wing Sue (2010a; 2010b) hat das Konzept so weiterentwickelt, dass er mittlerweile Anwendung auf eine Vielzahl marginalisierter Gruppen findet. Allgemein sind Mikroaggressionen kurze und alltägliche, bewusste oder unbewusste Äußerungen, die der Zielperson oder -gruppe feindselige, abfällige oder negative Botschaften vermitteln, z.B. die Ansprache einer Ärztin als Krankenschwester oder das Ignorieren von Ideen oder Vorschlägen die von Kolleginnen in Meetings gemacht werden. Diese Handlungen sind der aktiven Person oft nicht bewusst, zweideutig und erfolgen daher nicht immer mit verletzender Absicht – was jedoch ihre Auswirkungen nicht mindert. Dieser subtile Charakter macht es Betroffenen häufig schwer, die Mikroaggressionen zu identifizieren. Meta-analytische Ergebnisse (Jones et al., 2016) zeigen jedoch, dass die Auswirkungen mindestens genauso schädlich sind, wie offene Formen der Diskriminierung.

Auch experimentelle Befunde (Jones et al., 2014, Jones et al., 2016) stützen die Annahme, dass Mikroaggressionen für die Zielperson noch belastender sein könnten als offener Sexismus und mit einigen negativen Auswirkungen einhergehen, wie z.B. der Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen oder einem höheren Maß an Angst. Im Falle der beeinträchtigten kognitiven Funktion liegt dies vor allem an der erhöhten kognitiven Belastung, die durch den oben erwähnten ambigen Charakter subtiler Diskriminiernug entsteht.

Die Ergebnisse sind eingebettet in die Theorie der attributionalen Ambiguität (Crocker et al., 1991). Diese geht davon aus, dass es für Mitglieder einer marginalisierten Gruppe schwierig zu erkennen ist, ob negatives Feedback aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit oder aus anderen, nicht damit zusammenhängenden Gründen erfolgt. Wenn die Situation eindeutig ist, werden stigmatisierte Personen diskriminierende Äußerungen eher auf Vorurteile gegenüber ihrer Gruppe zurückführen als auf ihre eigene Person (“Es liegt nicht an mir, sondern an ihren Vorurteilen.”). Mit anderen Worten: Die mit Diskriminierung verbundenen negativen Erfahrungen können leichter externalisiert werden, wenn die Diskriminierung offenkundig ist. Im Falle von subtilen, geschlechtsspezifischen Mikroaggressionen können Frauen dagegen dazu neigen, die Erfahrung zu internalisieren (z. B. „Es ist meine Schuld.“).

Subtiles diskriminierendes Verhalten tritt in der aktuellen Gesellschaft häufiger auf als die traditionellen, offenen Formen (Jones et al., 2016). Es ist ihr chronischer Charakter, die Anhäufung von scheinbar unbedeutenden Mikroaggressionen, der zu schwerwiegenden Auswirkungen für die Zielperson führt. Dies ist analog zum Konzept der Mikrostressoren im Alltag (kleinere alltägliche Unannehmlichkeiten oder Ärgernisse, sogenannte daily hassles) zu verstehen. Hinzu kommt: Geschlechtsspezifische Mikroaggressionen sind oft kaum sichtbar. Dies macht es schwierig, sie nachzuweisen. Aufgrund ihrer Subtilität werden sie zudem häufig bagatellisiert.

Geschlechtsspezifische Mikroaggressionen werden als alltägliche Abwertungen gegenüber Frauen definiert. Die Forschung zu subtilen Formen von Sexismus ist nicht neu, dennoch kann das Konzept in dreierlei Hinsicht zur bereits vorhandenen Literatur beitragen. Erstens integriert es im Gegensatz zu früheren Ansätzen zwischenmenschliche, systemische und umweltbedingte Diskriminierungen in einen Rahmen, der ein breites Spektrum von Kategorien berücksichtigt, und spiegelt damit die gelebte Erfahrung von Frauen wider, die auf mehreren Ebenen auf Barrieren stoßen. Zweitens können Mikroaggressionen bewusst oder unbewusst erfolgen. Teilweise haben die Personen sogar gute Absichten, z.B., wenn ein Mann einer hierarchisch höhergestellten Frau sagt, dass sie ihre Arbeit “schon wirklich kompetent” mache. Drittens unterscheidet das Konstrukt zwischen verschiedenen Ebenen der Explizitheit, die von zweideutigen Mikroentwertungen über etwas offenere Mikrobeleidigungen bis hin zu expliziten Mikroangriffen reichen. Klassischerweise lassen sich Mikroaggressionen in drei Kategorien einteilen:

Mikroangriffe

Mikroangriffe sind bewusste, explizit diskriminierende Handlungen (verbal oder nonverbal) mit der Absicht, der Empfängerin zu schaden. Sie ähneln dem traditionellen, feindlichen Sexismus, z. B. das Erzählen sexistischer Witze oder der Degradierung von Frauen in Form von abwertenden Kommentaren. Aus diesem Grund ist es fraglich, ob Mikroangriffe tatsächlich Teil des Konstrukts Mikroaggressionen sind oder ob es sich hierbei nicht vielmehr um eine eigenständige Kategorie – den “traditionellen” Sexismus – handelt. In der Forschung werden vor allem die beiden folgenden Facetten betrachtet, welche aufgrund ihres subtilen Charakters, das Konzept der Mikroaggressionen besser repräsentieren.

Mikrobeleidigungen

Mikrobeleidigungen sind oft unbewusste Mitteilungen oder Handlungen, die Stereotype oder Unsensibilität vermitteln und die Geschlechtsidentität einer Person herabsetzen. Dazu gehört u.a. die implizite Annahme, Frauen könnten in Organisationen nur helfe…

Mona Algner, M.Sc., Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der MSB Medical School Berlin in Berlin, Doktorandin an der Universität Potsdam

Juniorprofessor Timo Lorenz. M.Sc., Juniorprofessor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der MSB Medical School Berlin

Diskutieren Sie mit