Es ist an der Zeit mit veralteten Legenden über mangelndes Selbstvertrauen und fehlende Gehaltserhöhungen bei Frauen aufzuräumen und sich auf das eigentliche Problem zu konzentrieren: gesellschaftliche Fehleinschätzungen.
Frauen fehlt es an Selbstvertrauen, sie fordern keine Gehaltserhöhungen – oder wollen sie gar nicht – und sie fühlen sich am Arbeitsplatz eher als Hochstaplerinnen. Dies sind nur einige der Stereotypen, die in Gesprächen über Frauen in Führungspositionen allgegenwärtig sind. Es ist an der Zeit, sie auf den Müllhaufen zu werfen.
Anfang bis Mitte der 2000er Jahre verbreiteten Bücher wie Women Don’t Ask (2007) von Linda Babcock und Sara Laschever und Lean In (2013) von Sheryl Sandberg, damals Chief Operating Officer bei Facebook, den Mythos, dass Frauen das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern überwinden und die gläserne Decke durchbrechen könnten, wenn sie nur ihre Angst vor Verhandlungen überwinden und lernen würden, sich am Arbeitsplatz besser zu behaupten.
Das Problem bei diesen Vorschlägen ist, dass sie den Frauen die Verantwortung dafür zuschieben, sich selbst zu helfen, ohne zu berücksichtigen, ob systembedingte Voreingenommenheit am Arbeitsplatz und gesellschaftliche Missstände sie möglicherweise zurückhalten.
Neue Forschungsergebnisse von Laura Kray, Jessica Kennedy und Margaret Lee, die in der Academy of Management veröffentlicht wurden, zeigen, dass trotz dieser Stereotype Frauen eher den Mut haben, über ihr Gehalt verhandeln zu wollen, als Männer. Der Trend hat sich, der Studie zufolge, inzwischen also umgekehrt. Das Problem? Die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei diesen Verhandlungen erfolgreich sind, ist trotzdem geringer.
Ich glaube nicht, dass es Frauen an Selbstvertrauen mangelt, um im Geschäftsleben erfolgreich zu sein. Vielmehr scheinen Frauen eher als Männer zu glauben, dass andere weniger Vertrauen in ihre Fähigkeiten haben. Ich fühle mich auch unwohl bei den häufigen Behauptungen in den Medien, dass Frauen eher als Männer unter dem „Imposter-Syndrom“ leiden, das heisst an ihren Fähigkeiten zweifeln und sich bei der Arbeit wie ein Hochstapler fühlen.
Es ist völlig normal und sogar ganz gesund, vor dem Antritt einer neuen Stelle Zweifel oder leichte Ängste zu haben. Schliesslich ist es das, was uns menschlich macht. Durch die Pathologisierung als „Syndrom“, von dem eher Frauen betroffen sind, suggerieren wir wieder einmal, dass Frauen geheilt werden müssen. Und wenn wir diese Mythen weiter aufrechterhalten, besteht die Gefahr, dass sie sich selbst erfüllen.
Wie können wir also das Problem von den vermeintlichen Fehlern der Frauen lösen und stattdessen untersuchen, was Organisationen tun können, um ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Führungskräfte aller Geschlechter entfalten können?
Sensibilisierung für das Problem
Der erste Schritt besteht darin, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass wir – möglicherweise unbeabsichtigt – den Irrglauben verbreiten, dass es Frauen an Selbstvertrauen mangelt. Selbst die gutwilligsten Menschen können manchmal anfällig für „wohlmeinenden Sexismus“ sein. Einfach ausgedrückt, handelt es sich dabei um Einstellungen oder Verhaltensweisen, die zwar positiv erscheinen, aber lediglich dazu dienen, etablierte Geschlechternormen zu verstärken. Hier ist es wichtig, auf die Sprache zu achten. Wenn einer Frau beispielsweise gesagt wird, sie solle „so und so um Hilfe bitten“, kann dies die Botschaft vermitteln, dass die Frau nicht über die Fähigkeiten oder Kompetenzen verfügt, um eine bestimmte Aufgabe selbst zu erledigen. Unternehmen können Bias Training (Trainings gegen die Voreingenommenheit) einführen, um Einzelpersonen zu helfen, darüber nachzudenken, ob es einen Unterschied in der Art und Weise gibt, wie sie männliche und weibliche …
Professorin Dr. Ginka Toegel , Diplom Psychologin (Humboldt University, Berlin), Promotion in Psychologie (Universität Leipzig), PhD in Organizational Behavior (London Business School) ist Professorin für Organizational Behavior and Leadership am IMD in Lausanne.