Warum Resilienz ein wichtiges Thema ist, aber sicher keine „Wunderwaffe“. Coaching-Angebote können sie bestenfalls ansatzweise vermitteln.
Nicht erst seit der Corona-Pandemie, seitdem aber umso intensiver, ist „Resilienz“ ein häufig verwendeter und diskutierter Begriff. Dabei imponiert Resilienz mitunter als die geradezu wunderbare Lösung aller aktuellen, die Gesellschaft erschütternden Probleme. Wenn wir alle mehr Resilienz hätten, dann wären alles zumindest erheblich … entspannter. Insofern verwundert es nicht, dass Ärzte, Psychotherapeuten und Coaches den Begriff nutzen und unterschiedliche Resilienz-Trainings anbieten. Unsere Probleme sind komplex: Da kommt eine einfache Lösung, also Resilienz, gerade recht! Leider ist auch „Resilienz“, wenn man etwas näher hinschaut und es wahrhaben möchte, ein diffiziles Phänomen.
Resilienz vom Lateinischen „resiliere“ – zurückspringen, abprallen, bezeichnet die Fähigkeit einer Person, Belastungen und Schicksalsschlägen aller Art souverän zu meistern. Stress und potentiell traumatisierende Erlebnisse prallen von resilienten Mitarbeitern quasi automatisch ab. So verstanden ist „Resilienz“ offenkundig attraktiv und faszinierend. Dies kumuliert im prägnanten, gerne zur Illustration verwendeten Bild eines Gummiballs. Wie immer man den Gummiball traktiert: Er springt immer und umgehend in seine alte Form zurück. Aber: Wenn man einen Gummiball mit einem Feuerzeug traktiert, wird umgehend deutlich, dass Resilienz selbst für Gummibälle keine universelle Eigenschaft ist. Desgleichen gilt, entgegen anderslautender Behauptungen, auch für Menschen: Wer Kritik vom Chef gut wegsteckt, ist noch lange nicht gegen Kränkungen in der Partnerschaft immun – und umgekehrt.
Im psychologischen Kontext sind die konzeptuellen Hintergründe des Resilienz-Begriffes deutlich komplexer als die Gummiball-Metapher. Als eine der ersten Untersuchungen dazu wurde die Kauai-Studie der deutsch-amerikanischen Sozialpsychologin Emmy E. Werner-Jacobsen berühmt. 698 der 1955 auf der zum Hawaii-Archipel gehörenden Insel Kauai geborenen Kinder wurden 40 Jahre lang untersucht (Werner-Jacobsen 1977). Alle stammten aus schwierigen, von Armut, Arbeitslosigkeit und Gewalt geprägten Verhältnissen. Trotzdem schafften es etwa ein Drittel dieser Kinder ihr Leben in den Griff zu bekommen, einen Beruf zu lernen und der Armut zu entkommen. Rückblickend zeigte sich, dass es den diesbezüglich erfolgreichen Kindern unter anderem besser gelungen war, mit für sie positiven, hilfreichen Menschen tragfähige Beziehungen aufzubauen. Zudem konnten sie kurzfristige Bedürfnisse besser zurückstellen (also z.B. erst für die Schule lernen und sich dann vergnügen) und sich flexibler den jeweiligen Herausforderungen anpassen.
Resilienz-FaktorenResiliente – im Vergleich zu weniger resilienten – Menschen
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Diese (und inhaltlich ähnliche) Befunde wurden zwischenzeitlich in zahlreichen Untersuchungen – zumindest grundsätzlich – bestätigt. Dabei wurde allerdings auch unübersehbar, dass Resilienz ein komplexes „bio-psycho-soziales“ Phänomen ist, das durch folgende, auf unterschiedlichen Ebenen liegende Faktoren charakterisiert werden kann:
- Persönliche Faktoren: Womit zunächst einmal die individuelle genetische Veranlagung gemeint ist, die dann interaktiv mit der individuellen Lebens- und Lerngeschichte die Ausbildung kognitiver und emotionaler Fähigkeiten bedingt.
- Umweltfaktoren (überwiegend sozialer Art): Zum Beispiel Unterstützung durch die Familie bzw. das soziale Umfeld, Unterstützung durch Vorgesetzte, Kollegen…
- Prozessfaktoren: Zum Beispiel im jeweiligen sozialen Kontext naheliegende verbindliche, angemessene bzw. potenziell erreichbare, gleichzeitig aber auch herausfordernde Ziele.
Aus der positiven Interaktion entsprechender Aspekte resultiert bei resilienten Menschen eine höhere Selbstwirksamkeitserwartung, höhere Frustrations- und Ungewissheits-Toleranz sowie die Fähigkeit, soziale Beziehungen aktiv gestalten zu können. Die Problemlösung ist auf primäre Stressbewältigung ausgerichtet, d.h. Probleme werden vorzugsweise aktiv angegangen und nicht ausgesessen. Wie man sich die Interaktion aus genetischen und biographischen Aspekten auf Ebene des Gehirns konkret vorzustellen hat, verliert sich letztlich in der unendlichen Komplexität neuropsychologischer Phänomene. Aktuell wird dies u.a. ausgehend vom Phänomen der „Epigenetik“ diskutiert (vgl. Choi et al 2019). Phänomenologisch betrachtet prädisponiert dann z.B. eine genetische Disposition im Sinne eines „sensation seekings“, wenn Menschen unter gesicherten, strukturierten und liebevollen Bedingungen aufwachsen, zur Entwicklung z.B. von leistungsstarken, erfolgreichen Managern. In weniger strukturierten und liebevollen Rahmenbedingungen erhöht eine solche Veranlagung eher zu dissozialen Entwicklungen.
Wie misst man Resilienz?
In Resilienz-Fragebögen werden Aussagen wie: „Ich neige dazu, mich nach schwierigen Zeiten schnell zu erholen“ oder „Normalerweise überstehe ich schwierige Zeiten ohne größere Probleme“ (Chmitorz et al. 2018) abgefragt. Was versteht der jeweils Befragte und was verstehen die Fragebogen-Autoren unter „schwierigen Zeiten“? Zudem: Hat der Befragte solche Zeiten in der Realität gesund und gut erholt überstanden oder geht er nur davon aus, sie entsprechend überstehen zu können? Theorie und Praxis sind bekanntlich nicht immer identisch. Wenn jemand z.B. die Frage „in schwierigen Überholmanövern kann ich sicher die Spur halten“ mit „trifft voll zu“ beantwortet, dann lässt sich der Gehalt dieser Antwort nur ermessen, wenn man weiß, ob derjenige ein versierter Autofahrer oder ein Auto-abstinenter Mensch ist. „Die Spur mit einem PKW halten“ ist zudem eine um Dimensionen konkretere Angelegenheit als es „schwierige Zeiten“ sind. Also: Die „schwierigen Zeiten“ müssten konkretisiert werden. Und es müsste erfasst werden, ob der Befragte dies selbst so erlebt hat oder antizipierend so einschätzt.
Niemanden sind „schwere“ Zeiten zu wünschen. Aber um Resilienz experimentell auszutesten, müsste es konkret darum gehen. Alternativ liegt nahe in historischen Konstellationen Ausschau zu halten. So haben beispielsweise viele Menschen die Kriegs- und Nachkriegszeit, trotz weitgehender Unsicherheiten, Bedrohungen, Mangelernährung und einer unklaren Zukunft „gut“ überstanden. „Wir hatten ja keine Alternative, wir mussten durch. Zeit, darüber nachzudenken, was morgen kommt, hatte ich nicht…. Es ging immer nur darum, den Tag zu überstehen!“ so die bemerkenswerte 94-jährige A.S., die als 17jähriges Mädchen, 1945 auf der Flucht aus Ostpreußen, in Polen die Leichen von Nazis ermordeter Partisanen ausgraben und Zwangsarbeit in der Landwirtschaft leisten musste. Auf der Flucht hatte sich die Familie aus den Augen verloren, beim Abschied war A.S. ihr einjähriger Bruder quasi in die Arme gelegt worden. Um diesen musste sie sich kümmern („Wie hätte ich sonst jemals meiner Mutter wieder begegnen können…
Professor Dr. phil. Dr. med. Andreas Hillert, Chefarzt der Medizinisch-Psychosomatischen Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee.