Resilienz: Kein Wundermittel

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Jeder redet von Resilienz. Doch was sich dahinter verbirgt, ist ein komplexes Phänomen.  Coaching-Angebote können sie bestenfalls ansatzweise vermitteln.

„Resilienz“ ist ein häufig verwendeter und diskutierter Begriff. Dabei imponiert Resilienz mitunter als die geradezu wunderbare Lösung aller aktuellen, die Gesellschaft erschütternden Probleme. Wenn wir alle mehr Resilienz hätten, dann wären alles zumindest erheblich … entspannter. Insofern verwundert es nicht, dass Ärzte, Psychotherapeuten und Coaches den Begriff nutzen und unterschiedliche Resilienz-Trainings anbieten. Unsere Probleme sind komplex: Da kommt eine einfache Lösung, also Resilienz, gerade recht! Leider ist auch „Resilienz“, wenn man etwas näher hinschaut und es wahrhaben möchte, ein diffiziles Phänomen.

Resilienz vom Lateinischen „resiliere“ – zurückspringen, abprallen, bezeichnet die Fähigkeit einer Person, Belastungen und Schicksalsschlägen aller Art souverän zu meistern. Stress und potentiell traumatisierende Erlebnisse prallen von resilienten Mitarbeitern quasi automatisch ab. So verstanden ist „Resilienz“ offenkundig attraktiv und faszinierend. Dies kumuliert im prägnanten, gerne zur Illustration verwendeten Bild eines Gummiballs. Wie immer man den Gummiball traktiert: Er springt immer und umgehend in seine alte Form zurück. Aber: Wenn man einen Gummiball mit einem Feuerzeug traktiert, wird umgehend deutlich, dass Resilienz selbst für Gummibälle keine universelle Eigenschaft ist. Desgleichen gilt, entgegen anderslautender Behauptungen, auch für Menschen: Wer Kritik vom Chef gut wegsteckt, ist noch lange nicht gegen Kränkungen in der Partnerschaft immun – und umgekehrt.

Im psychologischen Kontext sind die konzeptuellen Hintergründe des Resilienz-Begriffes deutlich komplexer als die Gummiball-Metapher. Als eine der ersten Untersuchungen dazu wurde die Kauai-Studie der deutsch-amerikanischen Sozialpsychologin Emmy E. Werner-Jacobsen berühmt. 698 der 1955 auf der zum Hawaii-Archipel gehörenden Insel Kauai geborenen Kinder wurden 40 Jahre lang untersucht (Werner-Jacobsen 1977). Alle stammten aus schwierigen, von Armut, Arbeitslosigkeit und Gewalt geprägten Verhältnissen. Trotzdem schafften es etwa ein Drittel dieser Kinder ihr Leben in den Griff zu bekommen, einen Beruf zu lernen und der Armut zu entkommen. Rückblickend zeigte sich, dass es den diesbezüglich erfolgreichen Kindern unter anderem besser gelungen war, mit für sie positiven, hilfreichen Menschen tragfähige Beziehungen aufzubauen. Zudem konnten sie kurzfristige Bedürfnisse besser zurückstellen (also z.B. erst für die Schule lernen und sich dann vergnügen) und sich flexibler den jeweiligen Herausforderungen anpassen.

Resilienz-Faktoren

 Resiliente – im Vergleich zu weniger resilienten – Menschen

  • … sind (zumindest tendenziell) intelligenter…
  • … haben eine tragfähige internale Kontrollüberzeugung, also das Gefühl, Probleme bewältigen zu können.
  • … haben ihre Impulse besser unter Kontrolle. Sie sind weniger aggressiv, reflektierter, sozial-angepasster, kommunikativer und reagieren eher auf positive Zuwendung.
  • … sind besser in der Lage einen Belohnungsaufschub zu akzeptieren (auch im Sinne des berühmten Marshmallow-Tests).
  • … sind nicht „härter im Nehmen“, sondern bitten andere eher um Hilfe. Sie geben Schwächen eher zu und haben eine höhere Frustrationstoleranz.
  • … interessieren sich für andere Menschen, Sachverhalte und Ideen. Sie haben Spaß am Lernen und am Wissen an sich.
  • … haben eine realistische Selbsteinschätzung und realistische Zukunftsvorstellungen bzw. Ziele.

 

Diese (und inhaltlich ähnliche) Befunde wurden zwischenzeitlich in zahlreichen Untersuchungen – zumindest grundsätzlich – bestätigt. Dabei wurde allerdings auch unübersehbar, dass Resilienz ein komplexes „bio-psycho-soziales“ Phänomen ist, das durch folgende, auf unterschiedlichen Ebenen liegende Faktoren charakterisiert werden kann:

  • Persönliche Faktoren: Womit zunächst einmal die individuelle genetische Veranlagung gemeint ist, die dann interaktiv mit der individuellen Lebens- und Lerngeschichte die Ausbildung kognitiver und emotionaler Fähigkeiten bedingt.
  • Umweltfaktoren (überwiegend sozialer Art): Zum Beispiel Unterstützung durch die Familie bzw. das soziale Umfeld, Unterstützung durch Vorgesetzte, Kollegen…
  • Prozessfaktoren: Zum Beispiel im jeweiligen sozialen Kontext naheliegende verbindliche, angemessene bzw. potenziell erreichbare, gleichzeitig aber auch herausfordernde Ziele.

Aus der positiven Interaktion entsprechender Aspekte resultiert bei resilienten Menschen eine höhere Selbstwirksamkeitserwartung, höhere Frustrations- und Ungewissheits-Toleranz sowie die Fähigkeit, soziale Beziehungen aktiv gestalten zu können. Die Problemlösung ist auf primäre Stressbewältigung ausgerichtet, d.h. Probleme werden vorzugsweise aktiv angegangen und nicht ausgesessen. Wie man sich die Interaktion aus genetischen und biographischen Aspekten auf Ebene des Gehirns konkret vorzustellen hat, verliert sich letztlich in der unendlichen Komplexität neuropsychologischer Phänomene. Aktuell wird dies u.a. ausgehend vom Phänomen der „Epigenetik“ diskutiert (vgl. Choi et al 2019). Phänomenologisch betrachtet prädisponiert dann z.B. eine genetische Disposition im Sinne eines „sensation seekings“, wenn Menschen unter gesicherten, strukturierten und liebevollen Bedingungen aufwachsen, zur Entwicklung z.B. von leistungsstarken, erfolgreichen Managern. In weniger strukturierten und liebevollen Rahmenbedingungen erhöht eine solche Veranlagung eher zu dissozialen Entwicklungen.

Wie misst man Resilienz?

In Resilienz-Fragebögen werden Aussagen wie: „Ich neige dazu, mich nach schwierigen Zeiten schnell zu erholen“ oder „Normalerweise überstehe ich schwierige Zeiten ohne größere Probleme“ (Chmitorz et al. 2018) abgefragt. Was versteht der jeweils Befragte und was verstehen die Fragebogen-Autoren unter „schwierigen Zeiten“? Zudem: Hat der Befragte solche Zeiten in der Realität gesund und gut erholt überstanden oder geht er nur davon aus, sie entsprechend überstehen zu können? Theorie und Praxis sind bekanntlich nicht immer identisch. Wenn jemand z.B. die Frage „in schwierigen Überholmanövern kann ich sicher die Spur halten“ mit „trifft voll zu“ beantwortet, dann lässt sich der Gehalt dieser Antwort nur ermessen, wenn man weiß, ob derjenige ein versierter Autofahrer oder ein Auto-abstinenter Mensch ist. „Die Spur mit einem PKW halten“ ist zudem eine um Dimensionen konkretere Angelegenheit als es „schwierige Zeiten“ sind. Also: Die „schwierigen Zeiten“ müssten konkretisiert werden. Und es müsste erfasst werden, ob der Befragte dies selbst so erlebt hat oder antizipierend so einschätzt.

Niemanden sind „schwere“ Zeiten zu wünschen. Aber um Resilienz experimentell auszutesten, müsste es konkret darum gehen. Alternativ liegt nahe in historischen Konstellationen Ausschau zu halten. So haben beispielsweise viele Menschen die Kriegs- und Nachkriegszeit, trotz weitgehender Unsicherheiten, Bedrohungen, Mangelernährung und einer unklaren Zukunft „gut“ überstanden. „Wir hatten ja keine Alternative, wir mussten durch. Zeit, darüber nachzudenken, was morgen kommt, hatte ich nicht…. Es ging immer nur darum, den Tag zu überstehen!“ so die bemerkenswerte 94-jährige A.S., die als 17jähriges Mädchen, 1945 auf der Flucht aus Ostpreußen, in Polen die Leichen von Nazis ermordeter Partisanen ausgraben und Zwangsarbeit in der Landwirtschaft leisten musste. Auf der Flucht hatte sich die Familie aus den Augen verloren, beim Abschied war A.S. ihr einjähriger Bruder quasi in die Arme gelegt worden. Um diesen musste sie sich kümmern („Wie hätte ich sonst jemals meiner Mutter wieder begegnen können?“). Erst Jahre später kam sie wieder mit ihrer Mutter und den überlebenden Geschwistern zusammen. Der Vater war gefallen. Als Flüchtling in der Nähe von Bremen wurde A.S. nicht heimisch („Die aus dem Osten hatten ja nichts!“). Sie hat ihr objektiv schweres, zweifellos massiv traumatisierendes Schicksal bewältigt. Ohne Therapie. Sie wurde Krankenschwester, Mutter und führte ein „reiches Leben“. Ein Beispiel, eines von vielen, für das was „schwere Zeiten“ in A.S. Generation waren. Sicher hat A.S. viele Resilienzfaktoren in sich vereint. Zudem waren die Belastungen, denen sie sich stellen musste, derart existenziell und unausweichlich, dass es schlicht keine Alternative gab als: durchhalten. Das Beispiel zeigt zum einen, wie weit und facettenreich Resilienz herausfordernde Belastungsfaktoren bzw. „schwierige Zeiten“ sein können. Und zum anderen, dass diese Belastungen jeweils mit umschriebenen Rahmenbedingungen einhergehen: faktisch vital-existenziell versus (narzisstisch) kränkend; jenseits meiner Einflussmöglichkeiten versus von mir selbst (mit-)verantwortet; alternativlos versus mit der Möglichkeit „auszusteigen“.

Mit den oben zitierten Fragebögen lässt sich Resilienz jedenfalls nicht messen, sondern „nur“ die individuelle Resilienz-Selbsteinschätzung abbilden. Diese kann auf substanziellen Erfahrungen oder nur auf Vermutungen beruhen. Eher selbstsichere Menschen werden ihre Resilienz absehbar eher als hoch, weniger selbstsichere als niedriger einschätzen. Resilienz selber misst man in langfristig angelegten Verlaufsstudien, ähnlich derjenigen, die Professorin Werner-Jacobson auf Kauai durchgeführt hat. Oder retrospektiv, wenn man Menschen untersucht, die schwere Belastungen überstanden haben.

Resilienz-Trainings

Die aktuell in Manualen und Büchern, als Gruppen-Präventionsprogramme oder zum Selbst-Studium angebotenen Resilienz-Training (im Internet in großer Zahl aufrufbar, vgl. Zander 2011; Gruhl 2014) gehen zumeist von einem kurzen Blick in die Wissenschaft aus, um dann auf eines der verschiedenen Resilienz-Säulen-Modelle zu fokussieren. Jede Säule repräsentiert hierin einen wichtigen, tragenden Aspekt persönlicher Resilienz. Im Sinne dieses Modells gilt es, diese Säulen und die sie verkörpernden Inhalte dazustellen, diese mit der Wirklichkeit des Lesers bzw. Teilnehmers abzugleichen, um schließlich weniger tragfähige Säulen durch Einsicht und spezielle Übungen zu stärken.

„In unserem hochwirksamen Resilienztraining lernen Sie Methoden, Strategien und Techniken, um die eigene Widerstandskraft auf einfache Weise nachhaltig zu stärken. Es gibt viele Übungen, mit denen Sie Ihre Resilienz und Ihr Wohlbefinden steigern und sich souverän gegen Stress schützen können!“

Werbetext zu einem Resilienz-Training

Die erste Säule, in die psychologische Thematik einführende Einheit ist üblicherweise dem bisherigen persönlichen Umgang mit Problemen gewidmet: Lasse ich mich von Problemen paralysieren? Ist mir bewusst, dass die Sorgen, die ich mir bezüglich belastender Aspekte mache, in der Regel nicht identisch mit den dahinterstehenden Sachverhalte sind? Wenn man lernt, dies auseinander zu halten, relativieren sich viele Probleme von alleine. Oft wird zudem betont, dass negative Lebensereignisse positiv gesehen werden sollten, als Möglichkeit zu emotionalem und persönlichem Wachstum.

In der zweiten Einheit werden dann die Grundlagen von Achtsamkeit und Akzeptanz vermittelt (vgl. Kabat-Zinn 1991; Hayes 2004). Dabei geht es u.a. die Unterscheidung von realem und selbstgemachtem Leid. Sterben müssen wir alle. Das ist reales Leid. Sorgen sind hingegen Ausdruck von selbstgemachtem Leid. Indem man zukünftig mögliche Probleme in die Gegenwart holt, meist ohne dass konkrete Lösungsstrategien zu entwerfen, führt dies u.a. zum Gefüh…

Professor Dr. phil. Dr. med. Andreas Hillert, Chefarzt der Medizinisch-Psychosomatischen Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee.

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