Sind wir eigentlich alle korrupt?

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Warum sind manche Mitarbeitende empfänglicher für Korruptionsmöglichkeiten? Eine Studie zeigt, dass individuellen Werte und Normen dabei eine wichtige Rolle spielen.

Korruption, definiert als der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen und Vorteil, ist auch heute immer noch ein weit verbreitetes und anhaltendes Problem, das sowohl wirtschaftlichen, politischen als auch sozialen Schaden anrichtet. Korruption ist aber auch ein Problem für Organisationen, da Verstöße gegen Antikorruptions-Standards zu schwerwiegenden rechtlichen und finanziellen Konsequenzen führen. So musste beispielsweise 2017 der Triebwerkehersteller Rolls Royce nicht nur rund 764 Millionen Euro an Behörden in Brasilien, Großbritannien, und den USA an Strafen bezahlen, sondern sah auch den eigenen Markennamen unter der Korruptionsaffäre leiden. Und allein im Jahr 2020 mussten u.a. der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus ca. vier Milliarden Euro und die schweizerische Novartis rund 1,3 Milliarden Euro an Strafen für Korruption bezahlen. Trotz hoher Strafen scheint die Zahl an Korruptionsverfahren nicht abzureißen. Allein in den USA eröffnet das Justice Department jeden Monat um die 30 neue Korruptionsverfahren.

Es ist deswegen nicht überraschend, dass sich Forscherinnen und Forscher verschiedenster Disziplinen wie Ökonomie oder Psychologie intensiv mit den Determinanten von korruptem Verhalten auseinandersetzen. Die ökonomische Forschung etwa, die das Phänomen Korruption vorzugsweise auf der Makroebene analysiert, hat wesentlich zu einem besseren Verständnis beigetragen, warum sich Länder, Kulturen, oder Unternehmen bezüglich des Levels an Korruption unterscheiden.

Was bisherige Forschung jedoch kaum thematisiert hat: Warum unterscheiden sich Individuen innerhalb desselben Unternehmenskontextes in Bezug auf ihr korruptes Verhalten? Tatsächlich lässt sich in der Unternehmenspraxis beobachten, dass in einem Umfeld, in dem Korruption bereits verbreitet ist oder starke finanzielle Anreize für Korruption vorhanden sind, die einen Mitarbeitenden sich mehr oder rasch anpassen und ebenfalls korruptes Verhalten zeigen. Andere Führungskräfte und Mitarbeitende dagegen scheinen deutlich resistenter gegen Korruption zu sein, auch wenn sie dadurch finanzielle Möglichkeiten verpassen. Dies wirft eine sowohl für die Forschung als auch für die Praxis gleichermaßen höchst relevant Frage auf: Wer ist resistenter gegenüber Korruption?

Neue empirische Studie

Mit dieser Frage haben sich die Autoren in einer kürzlich veröffentlichten empirischen Studie auseinandergesetzt (Tanner, Linder und Sohn, 2022). Ziel war es, näher zu untersuchen, wie individuelle, moralische Werte und Normen mit Bestechung und Bestechlichkeit zusammenhängen. Als Ausgangspunkt diente hierbei das Konzept der moralischen Intelligenz (Tanner, 2017; Tanner & Christen, 2014). Moralische Intelligenz umfasst ein Set von psychologischen Kompetenzen, die es zur Umsetzung von ethischen Werten in die Praxis braucht. Ein zentrales Element innerhalb dieses theoretischen Modells ist Moral Commitment, die individuelle Motivation, sein Handeln überhaupt nach moralischen Werten ausrichten zu „wollen“, und solche Werte als verbindlich anzusehen. Im Fokus der Studie stand dabei eine besondere Variante von Korruption: Bestechung und Bestechlichkeit. Dies erlaubte es, unterschiedliche Rollen innerhalb einer korrupten Transaktion zu beleuchten. Korruption benötigt in der Regel zwei Parteien – Personen, die Geld, Waren oder Dienstleistungen anbieten oder versprechen, und Personen, die diese im Austausch für den Missbrauch annehmen oder annehmen. Bemerkenswert wenige Studien haben bisher das Verhalten dieser unterschiedlichen Parteien untersucht.

Für die Studie wurde ein zweistufiges Experiment mit Studierenden an einer führenden französischen Business School durchgeführt. Im ersten Schritt gab es eine Online-Umfrage, um demografische Informationen und verschiedene persönliche Werte und Merkmale zu erfassen wie zum Beispiel die Ausprägung von Moral Commitment, Gier oder Religiosität. Drei Wochen später nahmen dieselben Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einem vollständig anonymisierten Korruptionsspiel im Labor teil. Zu diesem Zweck wurden sie nach dem Zufallsprinzip entweder der Rolle des potentiellen Bestechers („Bürger“), des potentiellen Bestechungsempfängers („Beamter“) oder einer unabhängigen Person, die durch Bestechung geschädigt wird („anderes Mitglied der Gesellschaft“), zugewiesen. In dem Spiel konnten die Bürger dem Beamten ein Bestechungsgeld anbieten, und die Beamten konnten das Bestechungsgeld annehmen oder ablehnen. Eine „erfolgreiche“ Bestechung führte zu einer höheren finanziellen Vergütung …

Professor Dr. Matthias Sohn, Master in Sozial- und Wirtschaftspsychologie und Promotion in Betriebswirtschaftslehre, Professor für Controlling an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)

Professorin Dr. Carmen Tanner, Diplom-Psychologin und promovierte Psychologin, Professorin am Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie und Führungsethik an Zeppelin Universität in Friedrichshafen und außerordentliche Professorin für Responsibility in Finance am Institut für Banking and Finance der Universität Zürich

Professor Dr. Stefan Linder, Diplomkaufmann und Promotion in Betriebswirtschaftslehre, Professor am Department of Accounting and Management Control an der ESSEC Business School bei Paris

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