Der Autor macht zunächst einmal unmissverständlich klar, dass ein Leben ohne Stress nicht möglich und auch nicht sinnvoll wäre. Allerdings ist, was als Stress empfunden wird (außer in Extrembereichen) äußerst individuell. So gibt es Stressoren, die von vielen kaum bemerkt werden, bei anderen dagegen zu starkem Belastungserleben führen. Die zentrale These lautet deshalb, es gehe nicht darum, Stress zu vermeiden, sondern einen individuellen Flow-Kanal zu finden.
Inhaltlich lässt das Buch eine Teilung in drei Bereiche erkennen. Zunächst erläutert Andreas Hillert die wissenschaftliche Historie und die Grundlagen des Stressbegriffs. Wer sich mit dem Thema bereits beschäftigt hat, wird hier nichts Neues finden.
Die Kapitel drei und vier dienen der Analyse von Stresskonstellationen und den Möglichkeiten von Stressbewältigung. Der Autor, Chefarzt der Medizinisch-Psychosomatischen Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, plädiert für eine emotionsorientierte Bewältigung. Das heißt: Akzeptanz des Problems und daraus resultierend Achtsamkeit, unter anderem für die individuellen Stressbeschleuniger. Dies kann zum Beispiel mit einem Stresstagebuch geschehen.
Schließlich konkretisiert Hillert für die Leser und Leserinnen, was sie tun können, um einen veränderten Umgang mit ihrem Stress zu finden. Dass dies ein arbeitsreicher Prozess sein wird, macht er ebenso deutlich. Leider sind seine Ausführungen zum Umgang mit Gratifikationskrisen im Job wenig hilfreich. Als theoretisch einfachste Möglichkeit schlägt er vor, den Job zu wechseln. Ansonsten richtet er den Appell an Unternehmen und Vorgesetzte, eine Kultur des aufrichtigen Lobens zu schaffen.
Hillert zeigt mit seiner Veröffentlichung, dass wissenschaftlich fundierte und differenzierte Informationen auch unterhaltsam und anregend zu lesen sein können. Das Buch enthält zahlreiche Fragen zur Selbstreflexion, Übungen und Checklisten. Besonders gelungen sind die vielen einfachen, aber ästhetisch ansprechenden Abbildungen und erläuternde Bildfolgen, wie etwa zur Progressiven Muskelentspannung.
Und was hat es nun mit dem Stress-Surfen auf sich? Akzeptanz, Achtsamkeit, sich seiner Werte und Ziele sicher zu sein, sind die Mittel, um unvermeidbare Stresswellen mit mehr Gelassenheit zu bewältigen. Davon hat der Autor die Leserschaft überzeugen wollen und möglicherweise auch können.
Andreas Hillert: Stress positiv nutzen. Ganz locker auf der Stresswelle surfen. Berlin: Stiftung Warentest, 2023, 176 Seiten, 20 Euro
Dr. Christine Kaul, Diplom-Psychologin, langjährige Führungskraft bei Volkswagen Coaching. Seit 2008 freiberuflich als Coach tätig