Ärger des Monats: Verlogene Wertschätzung

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Vor kurzem sollte ich einen Artikel über den Verleger eines Mediendienstes schreiben. Dreimal versetzte er mich, hielt sich nicht an die Terminvereinbarungen, ohne Entschuldigung. Im Gegenteil. Er erklärte mir auch noch, dass meine Anfrage für ihn nicht wichtig sei. Als ich dann in dem Telefonat anmerkte, dass ich es nicht so toll finde, mehrmals versetzt zu werden, reagierte er zutiefst beleidigt. Denn Kritik geht gar nicht.

Schließlich ist seine „Premium-Plattform für Meinungsaustausch“, die vor allem eine geschickte Aggregierung von Artikeln anderer Medien ist,  eine Wohlfühl-Blase für die Kommunikationsbranche und in seiner Selbstbeschreibung wimmelt es deshalb von Begriffen wie „positiv“, „achtsam“, „wohlwollend“ und „wertschätzend“.

Nun ist es natürlich nichts Neues, dass jemand Wasser predigt und Wein trinkt. Und natürlich ist auch überhaupt nichts gegen Wertschätzung einzuwenden. Schließlich freut sich jeder, wenn ihm ein anderer oder eine andere Wertschätzung entgegenbringt. Doch immer häufiger – so zumindest meine Beobachtung – verbirgt sich hinter der Forderung nach Wertschätzung schlicht Rücksichtslosigkeit oder Angst vor Kritik. Statt sich mit seinem eigenen Verhalten, den Folgen für den anderen und dessen Kritik auseinanderzusetzen, schlägt man um sich, ist abwertend und beleidigt. Und das wird dann auch noch als „echtes Feedback“ bezeichnet, das der Kritisierte doch bitte mal positiv sehen sollte.

Doch die apodiktische Forderung nach Wertschätzung verhindert oftmals ein echtes Feedback. Wie zum Beispiel in einem Gruppencoaching, bei dem die Anbieterin die Teilnehmer aufforderte,  gern auch kritische Fragen und Anmerkungen zu äußern, nicht ohne zu ergänzen: „Bitte denkt dran, dass es wertschätzend ist.“ Eigentlich ist auch daran nichts auszusetzen. Erschreckend war allerdings die Wirkung. Die Anmerkungen waren durchwegs und teils übertrieben positiv. Dabei hätte es durchaus Ansatzpunkte für Kritik oder mögliche Verbesserungen gegeben.  Und auch die Coachin selbst zeigte sich nicht immer wertschätzend und bügelte ihr nicht genehme Fragen schon mal abrupt ab.

Einer der auffälligsten Dressurakte zum Thema Wertschätzung findet bei Linkedin statt. Schreibt jemand einen Kommentar zu einem Post, antworten etliche Verfasser unermüdlich jedes Mal: Danke für deine wertschätzenden Worte/Anmerkungen/Hinweise, auch wenn diese noch so banal sind. Der Post-Verfasser wirkt dabei oftmals wie ein dressierter Papagei. Und in gewisser Weise ist er das ja auch. Schließlich belohnt der Algorithmus von Linkedin jede Interaktion. Und je mehr Papapei, desto öfter wird der Post von Linkedin ausgespielt. Papagei-Befürworter sehen das natürlich anders. Es sei schließlich wertschätzend, wenn man sich für einen Kommentar bedanke. Immerhin habe sich der andere die Zeit genommen, den Post zu lesen und zu antworten.

Besonders abstrus wird es, wenn – vor allem in sozialen Medien – zum Beispiel ein Impfgegner massiv auf einen Impfbefürworter los geht, im gleichen Atemzug aber Wertschätzung für sich selbst einfordert. Heidi Kastner, die vor kurzem ein vielbeachtetes Buch über „Dummheit“ veröffentlicht hat, bezeichnet das als das „Sahnehäubchen der Blödheiten“. Die Forderung, man müsse die Meinung anderer stets wertschätzen, hält die renommierte Psychiaterin für falsch verstandene Toleranz. Schon Somerset Maugham  habe geschrieben: Alles verstehen und alles verzeihen, ist die Mentalität des Teufels.

Natürlich sollte man mit einer offenen Haltung in eine Diskussion gehen und sich anhören, warum der andere seine Position vertritt. Vielleicht habe er auch Argumente, die man nachvollziehen könne und bisher nicht berücksichtigt habe. Aber es gebe sehr wohl Positionen, die ausschließlich abzulehnen sind, weil sie schlicht und einfach Blödsinn sind. „Wenn mir jemand mit Inbrunst erklärt, die Erde sei eine Scheibe, brauche ich das nicht wertschätzen“, so Kastner.

Dabei hat die Wertschätzungs-Fraktion oftmals einen Verbündeten: die Anhänger der Positiven Psychologie. Als ich vor einigen Jahren ein Interview mit einem Buchautoren veröffentlicht habe, in dem auch die Positive Psychologie kritisiert wurde, drehte ein Psychologe, der sich selbst als „führender Experte für Positive Psychologie“ bezeichnet, völlig durch. Was der Buchautor geschrieben habe, sei alles völlig falsch. Selbst die renommierte US-Journalistin und promovierte Biologin Barbara Ehrenreich, die ein kritisches Buch über Positivdenken („Smile or Die“) veröffentlicht hat, habe „die wissenschaftlichen Grundlagen“ nicht durchdrungen, erboste sich damalige Personalmanager.

Irgendwie erscheint es so: Wer sich allzu auffällig das Fähnchen der Wertschätzung und Positiven Psychologie umhängt, schlägt besonders gern zu, wenn ihm etwas nicht passt oder er gar kritisiert wird. Wer ein bisschen recherchiert, stößt dabei auf einen interessanten Punkt: Einige der großen Wertschätzungs-Promoter litten unter schweren Depressionen und machten das auch öffentlich. Das gilt für den Experten für Positive Psychologie ebenso wie für Mediendienst-Verleger. Wer es positiv sehen will, kann daher in der apodiktischen Forderung nach Wertschätzung auch einen Schutzmechanismus vor Kritik sehen. Und wenn man dann noch bedenkt, dass Depressionen gar nicht so selten mit einer narzisstischen Störung einhergehen, wird deutlich, warum die Forderung nach Wertschätzung für so manchen ein wichtiger Strohhalm ist.

Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.

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