Arbeiten, wann und wo man will, selbstverantwortlich ohne Hierarchien und sinnstiftend – der Begriff New Work ist längst ein Sammelbegriff für unterschiedliche Ansätze. Für Carlos Frischmuth ist vieles davon ausgemachter Bullshit. Der Personalberater plädiert daher für mehr Gelassenheit und Vorsicht und erklärt, was passiert, wenn sich der Arbeitsmarkt ändert.
Sie haben ein Buch mit dem provokanten Titel „New Work Bullshit“ geschrieben. Was hat Sie dazu motiviert?
Als Personalberater beschäftige ich mich schon seit 22 Jahren mit Personalthemen und dem Arbeitsmarkt. Dadurch habe ich nicht nur einen umfassenden Einblick in viele Unternehmen, sondern auch mit vielen Menschen zu tun, die ihren Job wechseln und die ich oder mein Team dabei begleitet haben. Dabei wurde der Begriff New Work als Phänomen in der Arbeitswelt immer sichtbarer. Allerdings gilt das nur für den deutschsprachigen Raum. Im angelsächsischen Raum und in den USA kann keiner etwas mit dem Begriff anfangen.
Worauf führen Sie das zurück?
Vielleicht liegt es daran, dass der Erfinder Fritjof Bergmann ursprünglich aus Österreich bzw. Deutschland kam. Der Begriff ist ja schon mehr als 40 Jahre alt. Bergmann war damals als Philosophieprofessor in den USA tätig und wurde von der Automobilindustrie gefragt, ob er nicht etwas für die Arbeiter tun könne, deren Fließbandjobs wegfielen. Und dann tauchte der Begriff Jahrzehnte später plötzlich bei uns auf wie so eine Flaschenpost aus der Vergangenheit und wurde zum totalen Hype. Allein das ist schon der erste Bullshit-Aspekt. New Work ist heute ein Sammelbegriff für unterschiedlichste Dinge wie die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, Flexibilisierung, Agilität, Wertebasierung, Sinnstiftung der Arbeit, Enthierarchisierung, Selbstorganisation und partizipative Entscheidungsmechanismen. Vieles davon sind eigentlich alte Kamellen. Schließlich reden wir schon lange über bessere Organisationen, Human Leadership und eine leistungsfähige Unternehmenskultur. Und es ist auch nichts Neues, dass sich die Welt immer weiterentwickelt. Als Ende des 18. Jahrhunderts der mechanische Webstuhl erfunden wurde, hat man ja auch nicht gesagt: Oh das ist jetzt New Work. Ich habe mich daher gefragt, ob das jetzt wirklich was Neues ist oder einfach nur eine ganz natürliche kontinuierliche Entwicklung des Arbeitsmarktes, wie wir sie schon immer hatten. Was wirklich fehlt in der Arbeitswelt sind doch die alten Klassiker: gute Führung, gute Unternehmenskultur und gute Kommunikation. Wenn man das hat, braucht man kein New Work mehr. Denn dazu gehören oftmals auch unrealistische Narrative und hochtrabende Versprechen. Und da rate ich zur Vorsicht. Erwartungen, die nicht erfüllt werden, führen immer zu Enttäuschungen. Jede Organisation muss doch erst mal für sich prüfen, ob sie das überhaupt machen will und ob das überhaupt zu ihr passt. Für mich ist der Umgang mit dem Thema New Work einfach viel zu konformistisch. Deshalb wollte ich mit meinem Buch die Debatte darüber anregen.
Wie waren die Reaktionen auf Ihr Buch?
Manche New-Work-Anhänger haben sich durch die Corona-Pandemie bestärkt gesehen. Denn plötzlich hat Remote Work – also eines der Ur-Credos von New Work – funktioniert. Für sie war das der Beweis dafür, dass New Work eben keine natürliche Entwicklung ist und es für die Veränderungen erst eine große gesellschaftliche Krise wie die Pandemie brauchte. Das hat die New-Work-Gurus daher bestätigt und manche fanden mein Buch daher quasi überholt. Manche haben auch nicht verstanden, dass mein Ziel kein New-Work-Bashing sein soll, sondern eine Warnung. Wenn wir New Work zum heiligen Kral der Arbeitswelt machen, fallen wir damit auf die Nase. Denn das funktioniert eben nicht in allen Organisationen. Da sitzen immer noch Menschen, die anderen Menschen nicht vertrauen.
Sie denken an die Führungskräfte, die ihren Mitarbeitenden jetzt kein Homeoffice mehr erlauben?
Viele Vorgesetzte haben nicht gelernt, den Menschen zu vertrauen. Sie hadern daher weiter mit dem Homeoffice oder der Remote Work, obwohl es während der Pandemie gut funktioniert hat. Und wenn dann mal die Ergebnisse nicht stimmen, kommen gleich wieder Zweifel auf. Letztlich geht es um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, die den Menschen wirklich in den Vordergrund stellt, also um einen wertschätzenden Umgang mit einem gewissen Freiraum. Die Mitarbeitenden möchten gute Arbeitsbedingungen und gut bezahlt werden. Sie wollen eine bessere Balance zwischen Beruf und Privatleben. Das sind grundlegende Werte, die es schon immer gab. Nur jetzt erlauben sich die Mitarbeitenden, danach zu fragen. Das einzig Neue ist vielleicht, dass sie jetzt kündigen und sich einen anderen Job suchen. Aber da braucht man nicht den Begriff New Work, der zudem ein reines Blasen-Phänomen ist.
Sie meinen, er betrifft nur eine bestimmte Gruppe?
Im Mai 2020 – also während Pandemie – hat Tina Müller, die Chefin der Drogeriemarktkette Douglas, bei Linkedin geschrieben, dass sie total begeistert sei, wie wunderbar und produktiv Remote Work funktioniert. Das zeigt für mich gut, wie abgehoben die Führung manchmal agiert. Denn ein Großteil der Douglas-Mitarbeitenden steht doch in den Ladengeschäften. Wir reden hier daher vor allem über die Wissensarbeiter-Blase derjenigen, die wirklich ausschließlich im Büro arbeiten können. Da ist vielleicht 40 Prozent des Arbeitsmarktes. Wir wissen doch alle, dass das nicht für den Busfahrer oder die Kassiererin gilt. Verhängnisvoll wird es, wenn diesen Mitarbeitenden auch noch versprochen wird: Ihr könnt arbeiten, wie und wo ihr wollt. Ihr könnt auch eine Zwei-Tages-Woche machen und trotzdem mega-erfolgreich sein und viel verdienen. Das ist einfach unrealistisch.
Derzeit ist oft die Rede von Mitarbeitenden, die plötzlich ihren Job hinschmeißen und kündigen. Ist das auch eine Folge von New Work?
Im angelsächsischen Raum sind das meist schlechte und schlecht bezahlte Jobs. Das haben wir in Deutschland in dieser Intensität nicht. Bei uns ist es eher gewisse Corona-Müdigkeit, die Gleichförmigkeit des Alltags mit weniger Möglichkeiten zur Ablenkung. Dadurch entsteht dann das Gefühl, ich muss was verändern. Entweder verlasse ich meinen Partner, kündige meinen Job, kaufe mir neues Auto oder lege mir einen Hund zu. Das ist eher eine Art Flucht. Und wenn der Job nicht gerade der beste war, schaut man eben mal woanders, vor allem wenn es viele Jobangebote gibt. Im Fernsehen oder im Internet sieht man ständig die Werbung von Jobbörsen oder Job-Suchmaschinen oder bekommt Mails von Xing oder Linkedin mit der Aufforderung, seinen Job zu wechseln. Das erzeugt natürlich eine gewisse Dynamik. Aber das hat für mich nichts mit New Work zu tun. Das ist einfach eine Folge des Arbeitskräftemangels verbunden mit einer Aufwertung der Klasse der Wissensarbeiter und der demographischen Entwicklung. Der Mangel ist die Henne, New Work ist nur das Ei.
Aber passt nicht gerade New Work auch gut zum Streben nach Selbstoptimierung?
Der Einzelne war schon immer selbstoptimierend, aber jetzt hat er mehr Macht und kann sagen: Ich will von Thailand aus arbeiten, sonst gehe ich. Unternehmen müssen ihren Mitarbeitenden daher heute einfach einen besseren Deal bieten. Aber auch Selbstoptimierung ist kein neues Phänomen, sondern hat aufgrund der größeren Möglichkeiten nur eine neue Dynamik bekommen. Das gilt natürlich vor allem für die Jobs, wo es derzeit große Engpässe gibt. Das führt dazu, dass ein Unternehmen, das sehr wenig Flexibilität bietet und in dem ein Wissensarbeiter fünf Tage im Büro präsent sein muss, eine höhere Fluktuation haben als früher. Allerdings müssen Firmen aufpassen. Wenn einige Superstars einen Sonderdeal bekommen, kann das schnell kulturbeschädigend sein. Gerade bei den absoluten Selbstoptimierern, ist es wichtig, auch klare Grenzen zu setzen.
Was passiert eigentlich, wenn sich der Arbeitsmarkt wieder ändert und es weniger Jobs gibt?
Dann gibt es relativ schnell eine Rückkehr und der New-Work-Blase würde wohl schnell die Luft rausgehen. Der Wunsch nach Selbstoptimierung ist ja aufgeladen durch eine Wohlstandsgesellschaft in Kombination mit einem großen Jobangebot und einem großen Wettbewerb um Wissensarbeiter. Das ist längst nicht mehr nur ein War for Talents, sondern auch ein War of Employers. Heute hat ein Unternehmen quasi zwei Marken, seine Marke für Produkte und seine Marke als Arbeitgeber.
Die Pandemie hat das Homeoffice salonfähig gemacht. Braucht man künftig überhaupt noch große Büros?
Ich glaube, dass wir eine Wertschätzung des Büros in einer ganz anderen Form bekommen. Das Büro wird wieder zu dem, wofür es überhaupt erfunden wurde: einem Ort, wo Menschen zusammenarbeiten. Einen Teil ihrer Arbeit können die Mitarbeitenden zu Hause machen und sich so besser um ihre Familie kümmern. Das Büro wird zu einem…
Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.