Weltraum-Mission Assessment Center

Pixabay Cristian Ibarra

Über eine Einladung zu einem Assessment Center (AC) darf man sich schon gebauchpinselt fühlen. Schließlich wurde der Bewerbungsprozess bis hierhin erfolgreich gemeistert und man gehört nun zu den Finalisten.

Das AC ist eine beliebte Methode für die Personalauswahl, ob bei Hochschulabsolventen oder Führungskräften. Dahinter steht folgendes Prinzip: Mehrere Kandidaten durchlaufen verschiedene Übungen wie Gruppendiskussionen, Rollenspiele oder gern auch mal ein Überlebenstraining. Dabei werden sie von mehreren Personen anhand verschiedener Kriterien beobachtet.

Bei den Überlebensübungen versprechen sich die Unternehmen ein viel authentischeres Verhalten der Kandidaten, weil sie sich schließlich nicht auf die Situation vorbereiten können. Und so lässt sich wunderbar erfassen, wie viel Experimentierfreude, Kreativität und Durchhaltevermögen in den Prüflingen steckt.

Der Countdown läuft…

“Auf einer Mond-Mission stürzt dein Raumschiff auf dem Mond ab. Dein Raumschiff landet 200 Kilometer vom Mutterschiff entfernt. Du befindest dich auf der von der Sonne beleuchteten Seite des Mondes. Bei dem Absturz sind nur noch fünfzehn Gegenstände intakt geblieben.”

Bewerte die Wichtigkeit der fünfzehn Gegenstände (zum Beispiel Streichhölzer) für euer Überleben (1 sehr wichtig, 15 eher unwichtig).

Das schreit doch nach einem Abenteuer und lässt das Herz eines “Space-Preppers” höher schlagen. Was aber, wenn die Führungskräfte in spe nicht mit astrophysikalischen Kenntnissen für eine priorisierte Auswahl der 15 Gegenstände glänzen können? Die Gefahr ist groß, dass die Besatzung dann schnell auf dem harten Boden der Realität landet.

Ein Pluspunkt: Zumindest lassen sich bei dieser Trockenübung soziale Verhaltensweisen gut erkennen. Denn schließlich wird für die zu besetzende Rolle eine durchsetzungsstarke Führungskraft mit ausgezeichneten Kommunikationsfähigkeiten gesucht.

Aber warum dann nicht gleich ein anforderungsorientiertes Szenario konstruieren? Zumal das ohnehin geeigneter wäre, weil vermutlich alle Kandidaten das Gefühl hätten, zu dem Thema inhaltlich etwas beitragen zu können.

Dagegen halten sich bei dem Mond-Abenteuer einige der Kandidaten vielleicht lieber zurück, weil sie eben keine Ahnung von den Lebensumständen auf dem Mond haben. Wie denn auch? Es sei denn, diese Kandidaten hegen eine große Leidenschaft für Astronomie.

Fakt ist, dass die Mond-Mission so gut wie nichts über das Verhalten der Person am Arbeitsplatz vorhersagt. Und zudem ist überhaupt fraglich, inwiefern welche Kompetenz mit einem derartigen AC geprüft werden kann.

Dabei ist die Gestaltung eines aussagekräftigen und validen ACs keine Rocket Science. Doch wie sieht die ideale Packliste für die Mission “Assessment Center” aus?

Zunächst erstellt die Crew eine umfangreiche Anforderungsanalyse der zu besetzenden Position. Diese sollte nicht nur erfassen, was benötigt wird, sondern es muss vorab definiert werden, welches spezifische Verhalten notwendig ist, damit die Anforderungen erreicht werden können. Diese erfolgskritischen Verhaltensmerkmale müssen klar formuliert werden. Wenn Konfliktfähigkeit dazu gehört, dann sollte eine Person in der Lage sein, eine Auseinandersetzung mit anderen Personen aufzunehmen und bis zu einem Kompromiss bzw. einer Problemlösung durchzustehen.

Es versteht sich von selbst, dass die Übungen strikt dieser Anforderungsorientierung folgen und konkrete Alltagssituationen der gesuchten Funktion abbilden.

So könnte ein Szenario für einen Space Captain aka Führungskraft im beruflichen Kontext aussehen: Vier Ihrer Mitarbeiter möchten zwischen Weihnachten und Neujahr frei nehmen. Allerdings kann aus betrieblichen Gründen nur zwei Personen der Urlaub genehmigt werden. Wie lösen Sie das Problem?

Eine standardisierte Beurteilung des Verhaltens jedes Kandidaten mithilfe einer Ratingskala erfolgt selbstverständlich durch geschultes Bodenpersonal. Im Idealfall gibt es mehrere Gutachter, um den sogenannten Beurteiler-Effekt der Selbstbezüglichkeit auszuhebeln, bei der der Beobachter sich und seine eigenen Erfahrungen als Maßstab heranzieht. Und das ist natürlich nicht gewünscht.

Die Bewertungen der Kandidaten sollten dann in einer Auswertungsmatrix zusammengetragen werden, die dann die Grundlage für eine fundierte Personalentscheidung bildet.

Klingt gut, aber funktioniert oftmals nicht optimal. Denn trotz aller Bemühungen, die Beurteilung von Kandidaten so “Bias-frei” wie möglich zu gestalten, bleibt die Objektivität von ACs generell niedrig.

Gründe dafür gibt es natürlich viele. Mitunter fehlt das Wissen darüber, wie ein AC überhaupt optimal gestaltet wird – insbesondere im Hinblick auf die Testgütekriterien Reliabilität, Validität und Objektivität. Oft fehlt es auch einfach an der Zeit oder den finanziellen Ressourcen, einen so komplexen Auswahlprozess richtig zu konzipieren und durchzuführen. Die Folge: Die Auswahlentscheidungen werden schlechter, das Risiko einer Fehlbesetzung höher.

Also entweder richtig nach Fahrplan oder gar nicht und bitte ohne Weltraum-Mission!

Anne-Cathrin Becker, Bachelor in Personalwirtschaft, Gründerin der Personaldienstleistungsagentur „get a MINT”, seit 2020 Geschäftsführerin bei Expert Sieve, zu dem der Anbieter für Coding- und Persönlichkeitstests Fyltura gehört.

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