Agile Führung ist mehr als die Einführung agiler Arbeitsmethoden. Ein verhaltensbasiertes Kompetenzmodell zeigt, wie Führungskräfte dabei erfolgreich sind.
Wo agile Arbeitsmethoden Einzug in die Organisationen halten, bleibt für viele Führungskräfte ein Fragezeichen übrig. Stellt eine Firma beispielsweise einen Bereich ganz auf die Methode zur agilen Produktentwicklung Scrum um, sind auf Teamebene gar keine Führungskräfte mehr notwendig. Oft wollen Organisationen aber einfach nur „agiler werden“ und führen ohne größere Umstrukturierungen hier und da Methoden aus dem agilen Sammelsurium, wie etwa die Methode der Produktionsprozesssteuerung Kanban ein, um diese Anstrengungen zu unterstützen. Als Ergebnis erhofft man sich ein schnelleres Arbeiten, das flexibler und unmittelbarer auf Kundenwünsche eingeht und den Kunden schneller Nutzen liefert.
Ist es bereits agiles Führen, wenn man mit seinem Team agile Methoden verwendet? Nein, das ist agiles Arbeiten. Schaut man in die internationale Literatur zu agilem Arbeiten, die vorrangig aus dem Bereich der Softwareentwicklung stammt, stößt man auf den Begriff „Servant Leadership“. Die Führungskraft als Diener des Teams, die das Team befähigt und unterstützt, ihm den Rücken freihält und Hindernisse aus dem Weg räumt. Liest man aber weiter, wird klar, dass dieses Konzept auf den Scrum Master bezogen ist, einem Unterstützer des Teams. Auch hierzulande schwirren verschiedene Gedanken rund um agiles Führen umher, wie zum Beispiel jener, die Führungskraft als Coach zu betrachten. Dann gibt es aber einen Coach, der Mitarbeitende und Teams in ihrer Entwicklung fördert und keine Führungskraft, die auch Strategie und Wettbewerbsfähigkeit im Auge hat.
Dabei wird gerne vergessen, dass eine Führungskraft auch die Aufgabe hat, einen Bereich voranzubringen und dem Unternehmen zu einer wettbewerbsfähigen Position zu verhelfen. Das Einführen agiler Arbeitsmethoden ist eine Reaktion auf Veränderungen am Markt und vor allem bei den Kundenbedürfnissen. Dazu kommt die zunehmende Komplexität von Anforderungen, Prozesse einfach anzufangen, ohne das Endziel (Produkt, Service, Prozess) im Ganzen und/oder im Detail definieren zu können. Gleichzeitig zählt die Reaktionszeit auf neue Entwicklungen und Trends. Hier geben vor allem Daten Auskunft, die in immer größerer Menge und Echtzeit abgerufen werden können. Schnell auf Veränderungen oder neue Impulse zu reagieren ist allerdings riskant, da es zu einer strategischen Verzettelung führen kann. Es braucht ein Ziel, eigentlich eine Vision.
Wenn man agile Führung definiert, muss man folglich daran ansetzen, wie die Führungskraft ihren Teil zur Zukunftsfähigkeit der Organisation beitragen kann. Dies ist eine Anforderung. Agilität spielt hier eine große Rolle, was mittlerweile in Forschung und Praxis akzeptiert ist. Agilität zu schaffen ist daher auch ein Teil der Führungsanforderungen.
Um diese Anforderungen mit einem soliden Kompetenzmodell beantworten zu können, haben die IMD Business School in Lausanne und die Beratungsfirma Metaberatung für das Global Center for Digital Business Transformation, eine Initiative des IMD und von Cisco, eine globale Studie durchgeführt (Wade, Tarling, Neubauer, 2017). Sie bestand aus 19 Experteninterviews mit weltweit positionierten „digital Leaders“, die um eine fragebogenbasierte Studie (Stichprobe: 1.042 Führungskräfte, global) ergänzt wurden. Die Datenerhebung erfolgte zwischen Oktober 2016 und Januar 2017.
Als Grundlage diente ein theoretisches Konzept zu digitaler Geschäftsagilität der IMD Business School (Loucks, Macaulay, Noronha, & Wade, 2016) dazu, wie sich Start-ups und etablierte Unternehmen in stark disruptiven Märkten behaupten. Laut Beobachtungen des IMD gelingt dies über drei erfolgskritische Verhaltensdimensionen, in denen sich jene Unternehmen von traditionellen Unternehmen in stabileren Märkten unterscheiden: Hyperbewusstsein, informierte Entscheidungsfindung und schnelles Handeln (siehe unten).
Ein Kompetenzmodell agiler Führung
Die Studie bestätigte die Relevanz dieser drei Dimensionen digitaler Geschäftsagilität für die Führung und zeigte vier ergänzende Kompetenzen auf, die agile Führung von traditioneller Führung unterscheiden. Ausgewertet wurden die Inhalte aus den Experteninterviews, um ein möglichst vollständiges Bild agiler Führung zu bekommen. Aus statistischen Analysen, beispielsweise von Faktorenanalysen der Daten aus der Fragebogenerhebung, wurden insgesamt sieben Dimensionen abgeleitet.
Überprüft wurden die Ergebnisse anhand weiterer Daten und anhand einer unabhängigen Anforderungsanalyse (letztere wird weiter unten beschrieben): Sogenannte agile Führungskräfte mit hohen Werten auf den Dimensionen erzielten bessere Ergebnisse hinsichtlich Erfolgsindikatoren wie Führungseffektivität.
Was konkret das Modell für die tägliche Führungsarbeit und Veränderungsinitiativen bedeutet, und wie sich die Kompetenzen entwickeln lassen, wurde in dem Buch „Agiles Führen“ (Puckett & Neubauer, 2018) ausgearbeitet. Dort wird aufgezeigt, dass agiles Führen zum einen viel mit dem Setzen der richtigen Prioritäten zu tun hat. Zudem zeigt es, dass sich die Kompetenzen in konkretes Verhalten der Führungskräfte übersetzen lassen. Beschrieben wird dabei auch, wie bestimmte Maßnahmen die Agilität im Team fördern, und gleichzeitig die Führungskraft entlasten können.
Drei erfolgskritische Verhaltensweisen
Dimension 1: Hyperbewusstsein (Hyperawareness)
Dazu gehört das ständi…
Dr. phil. Stefanie Puckett ist Diplom Psychologin und Direktorin bei dem Unternehmen Metaberatung in München