Eine aktuelle Studie geht der Frage nach, ob es sinnvoll ist, bei der Sichtung von Bewerbungsunterlagen, Hinweise auf Auslandsaufenthalte als Ausdruck sozialer Kompetenzen zu interpretieren und kommt zu interessanten Ergebnissen.
Die Sichtung der Bewerbungsunterlagen stellt den ersten Schritt in der Auswahl neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dar. Fehler, die hierbei unterlaufen, lassen sich später nur zum Teil wieder korrigieren. Kommt es zu einer Überschätzung (= Fehler der ersten Art), so ist dies später leicht zu erkennen, sofern sich an die Sichtung der Bewerbungsunterlagen eine valide Auswahlmethode anschließt, also beispielsweise ein hochstrukturiertes Einstellungsinterview. Viel problematischer ist hingegen eine Unterschätzung (= Fehler der zweiten Art). Personen, die nach der Sichtung der Bewerbungsunterlagen fälschlicherweise für ungeeignet gehalten werden, haben keine Chance den Arbeitgeber vom Gegenteil zu überzeugen, da sie erst gar nicht zum Einstellungsinterview eingeladen werden. Sowohl aus Sicht der Unternehmen, als auch aus Sicht der Bewerberinnen und Bewerber ist es daher wichtig, dass bereits in dieser frühen Phase der Personalauswahl valide Kriterien zum Einsatz kommen, die eine fehlerhafte Ablehnung geeigneter Personen möglichst weitgehend verhindern. Dies gilt insbesondere in Zeiten eines zunehmenden Fachkräftemangels.
Ein Blick in die Praxis verrät, dass dies in den meisten Fällen jedoch nicht der Realität entspricht. Zum einen liegt dies daran, dass die Bewerbungsunterlagen nur wenige Informationen zur Verfügung stellen, die wirklich valide sind. Zum anderen ist die Praxis geprägt von vielen Traditionen, die dazu beitragen, dass nachweislich nicht- oder kaum valide Informationen zur Auswahl herangezogen werden (Kanning, 2018). Dies gilt sowohl für formale Kriterien wie etwa Tippfehler im Anschreiben, als auch für Inhalte des Lebenslaufes (z. B. Lücken in der Berufsbiographie, Dauer der Berufserfahrung in Jahren oder Freizeitaktivitäten). Alles in allem, orientiert sich die Praxis häufig stark an Plausibilitätsbetrachtungen und nicht an den Erkenntnissen der Forschung.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Bewerberinnen und Bewerber, die eine Zeit lang im Ausland gelebt haben, über höhere soziale Kompetenzen verfügen als Menschen, für die dies nicht gilt. Für diese These sprechen durchaus einige plausible Argumente. So stellen Auslandsaufenthalte eine Herausforderung für die sozialen Kompetenzen eines Menschen dar. Andere Normen und Werte setzen voraus, dass die betroffene Person in ihrem Sozialverhalten eine gewisse Flexibilität mitbringt, ihre eigenen Verhaltensroutinen hinterfragt und sich auf Neues einlässt. Wer allein für einige Monate ins Ausland geht, muss hier neue zwischenmenschliche Kontakte knüpfen, sich helfen lassen oder verstehen, wie Konflikte in einer anderen Kultur bewältigt werden. All dies könnte dazu führen, dass sich entweder von vorherein Personen mit hohen sozialen Kompetenzen für einen Auslandsaufenthalt entscheiden (= Selektionshypothese) und/oder der Auslandaufenthalt zu einem Ausbau sozialer Kompetenzen beiträgt (= Sozialisationshypothese). In beiden Fällen wäre es sinnvoll, bei der Sichtung von Bewerbungsunterlagen, den Hinweis auf Auslandaufenthalte als Indikator für höhere soziale Kompetenzen zu interpretieren.
Soweit die Plausibilitätsbetrachtungen – aber ist diese Sichtweise auch zutreffend? Lässt sich tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Auslandserfahrung und sozialen Kompetenzen belegen? Dieser Frage geht die vorliegende Studie nach.
Methode
Im Rahmen einer Online-Studie wurde untersucht inwieweit Auslandsaufenthalte mit der Ausprägung sozialer Kompetenzen der Befragten verbunden sind. Zur Messung der sozialen Kompetenzen kommt das Inventar Sozialer Kompetenzen (ISK; Kanning, 2009) zum Einsatz. Der Fragebogen erfasst 17 verschiedene Kompetenzen, die sich in vier übergeordneten Bereichen gliedern lassen (vgl. Tabelle 1; vierstufige Antwortskala von 1 = „trifft gar nicht zu“ bis 4 = „trifft sehr zu“). Nachdem die Befragten das ISK bearbeitet haben, wird erfragt, ob sie sich ab ihrem 15. Lebensjahr für länger als 3 Monate am Stück im Ausland aufgehalten haben. Dabei wird darauf hingewiesen, dass Urlaubsreisen nicht zu den untersuchten Auslandsaufenthalten zählen. Können die Befragten diese Filterfrage mit „Ja“ beantworten, folgen tiefergehende Fragen zum Auslandsaufenthalt: Anzahl entsprechender Auslandsaufenthalte, Dauer des längsten Aufenthalts und Dauer aller Aufenthalte zusammen. Zudem wird nach möglichen Motiven für den längst…
Professor Uwe Peter Kanning, Diplom-Psychologe, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück.
Josephine Jakubowsky, Bachelor (B.Sc.) in Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück, Praktikantin in der Personalabteilung von Dr. Oetker in Bielefeld.