Beim ersten Eindruck achten wir vor allem auf das Gesicht. Doch die Deutung von Gesichtsausdrücken basiert oftmals auf unseren Stereotypen und Vorurteilen. Im Interview spricht Alexander Todorov, Psychologieprofessor an der renommierten Princeton Universität in den USA, über die Tücken des ersten Eindrucks und die Gefahr durch Algorithmen.
Warum achten wir so sehr auf das Gesicht, wenn wir Menschen beurteilen?
Gesichter ziehen unsere Aufmerksamkeit automatisch an und das beginnt bereits sehr früh im Leben. Schon Neugeborene schauen lieber auf gesichtsähnliche als auf andere Objekte. In Kombination mit unserer intensiven Erfahrung mit Gesichtern in unseren ersten Lebensjahren führt dies zur Entstehung eines komplexen Netzwerks in unserem Gehirn zur Verarbeitung von Gesichtern. Kurz gesagt: Gesichter spielen eine besondere Rolle in unserem mentalen Leben. Wir können Gesichter anderer erkennen, ihren emotionalen Zustand erfassen und mit ihnen kommunizieren.
Der Untertitel Ihres Buches „Face Value“ lautet „Der unwiderstehliche Einfluss des ersten Eindrucks“. Warum ist dieser erste Eindruck so wichtig für uns?
Er ist wichtig, weil wir uns stets sofort einen Eindruck machen und danach handeln. Das hat allerdings oft unerwünschte Folgen, weil dieser Eindruck eben kein verlässlicher Hinweis auf den Charakter des anderen ist.
Wie bilden wir diesen Eindruck? Welche Kriterien nutzen wir dabei?
Uns erster Eindruck basiert vor allem auf unserer Wahrnehmung. Wir formen ihn automatisch, ohne darüber nachzudenken. Je nach Situation haben wir dann zum Beispiel einen Eindruck von Vertrauenswürdigkeit, Kompetenz oder Dominanz. In Situationen, in den die Vertrauenswürdigkeit von anderen wichtig ist, etwa wenn wir eine Investment-Entscheidung treffen müssen, bilden wir unseren Eindruck nach dem Aussehen. Dabei scheint der Eindruck, den bestimmte Gesichtsausdrücke bewirken, auf verschiedenen Konfigurationen von Gesichtszügen zu basieren. So sind zum Beispiel Eindrücke von Vertrauenswürdigkeit stark mit emotionalen Ausdrücken verbunden, selbst wenn diese sehr subtil und kaum wahrnehmbar sind. Gesichter, die glücklich wirken, werden als vertrauenswürdig wahrgenommen. Ärgerliche Gesichter dagegen als wenig vertrauenswürdig. Und männliche Gesichter werden als dominanter wahrgenommen. Der erste Eindruck kann vielleicht im Moment der Interaktion richtig sein, weil emotionale Ausdrücke oft unsere Intentionen und unseren psychischen Zustand zeigen. Aber sie sind oft falsch, wenn es darum geht, den Charakter des anderen zu deuten, also etwas das über die Zeit und verschiedene Situationen hinweg stabil ist.
Also können wir nicht vom Gesicht auf die Persönlichkeit schließen wie es die Physiognomik behauptet?
Nein. Bis zu einem gewissen Ausmaß können Gesichter unseren emotionalen und kognitiven Zustand zeigen – zum Beispiel, wenn jemand übernächtig ist – oder unser Alter, Geschlecht und unsere ethnische Zugehörigkeit. Aber all die Signale sind nie eindeutig. In meinem Buch zeige ich einige Trugbilder, wo dasselbe Gesicht als Mann oder Frau wahrgenommen werden kann, nur wenn man den Kontrast verändert.
Der erste Eindruck entsteht innerhalb von 30 bis 40 Millisekunden. Was passiert, wenn wir mehr Zeit haben oder mehr Informationen über die Person bekommen? Korrigieren wir dann unseren ersten Eindruck?
Wir haben viele Experimente gemacht, die zeigen, dass 30 bis 40 Millisekunden genügen, um ausreichend Informationen zu bekommen und sich anhand des Gesichtsausdrucks einen Eindruck zu machen. Wenn wir einen Ausdruck länger sehen, verändert das nur unser Selbstvertrauen und wir werden uns unseres Eindrucks noch sicherer. Aber wenn wir Informationen über die Person bekommen, die im Widerspruch zu unserem ersten Eindruck stehen, können wir unsere Meinung auch schnell wieder ändern – vorausgesetzt wir glauben dieser Information.
In Ihrem Buch beschreiben Sie Experimente, bei denen den Versuchspersonen neutrale Gesichter gezeigt wurden und sie diese einem Arzt, einem Verbrecher oder einem Ingenieur zuordnen sollten. Dabei gab es große Übereinstimmungen. Wie lässt sich das erklären? Gibt es eine…
Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.