Studium der Wirtschaftspsychologie – eine Einordnung

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Die Wirtschaftspsychologie ist eine Anwendungsdisziplin der Psychologie. Wenn ein Betriebswirtschaftsstudium – angereichert mit etwas Psychologie – als Studium der Wirtschaftspsychologie vermarket wird, ist das nicht selten eine Mogelpackung.

Seit etwa 30 Jahren ist die Wirtschaftspsychologie fester Bestandteil des Psychologie-Studiums an Universitäten in Deutschland. Seit mehr als 20 Jahren gibt es spezifisch zugeschnittene Studiengänge an Fachhochschulen. An Universitäten nennt sich das Fach historisch bedingt meist „Arbeits- und Organisationspsychologie“, bisweilen auch „Personalpsychologie“, an Fachhochschulen wurde von Beginn an die Bezeichnung „Wirtschaftspsychologie“ verwendet. Welches Label auch immer an der jeweiligen Hochschule genutzt wird, im Kern geht es um die Psychologie des Arbeitslebens, bzw. um das Anwendungsfeld der Psychologie im beruflichen Leben.

Wirtschaftspsychologinnen und Wirtschaftspsychologen arbeiten vor allem in Personalabteilungen großer Unternehmen und Behörden, in Beratungsfirmen oder selbstständig als Trainer, bzw. Coach. Hier beschäftigen sich 84 % mit Entwicklungsthemen (Personalentwicklung, Change Management, Berufsausbildung) und 75 Prozent mit Aufgaben aus dem Bereich der Diagnostik (Personalauswahl, Potentialanalysen, Leistungsbeurteilung und Personalmarketing). Weitere 41 Prozent setzen sich mit Fragen der betrieblichen Gesundheit auseinander und etwa 15 Prozent arbeiten im Bereich der Markt- und Werbepsychologie (Kanning, 2020). Hinter der Klinischen Psychologie ist die Wirtschaftspsychologie inzwischen das zweitgrößte Anwendungsfeld der Psychologie. Fast ein Drittel der mehr als 75.000 Studierenden psychologischer Fächer entscheiden sich heute für die Wirtschaftspsychologie (Abele-Brehm, 2017).

Das Studienfach Psychologie gehört an vielen Universitäten schon lange zu den attraktivsten Studiengängen überhaupt, wenn wir als Attraktivitätsindikator die Anzahl der Bewerbungen im Verhältnis zur Menge der Studienplätze heranziehen. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Wirtschaftspsychologie. Dies spiegelt sich in einem dauerhaft hohen Numerus Clausus wider. Wer in seinem Abiturzeugnis keine Eins vor dem Komma stehen hat, muss in der Regel viele Semester warten, um an einer staatlichen Hochschule einen entsprechenden Studienplatz ergattern zu können. Die über Jahrzehnte hinweg hohe, ja sogar steigende Nachfrage ruft heute vor allem private Hochschulen auf den Plan, die der Nachfrage folgend immer mehr Studiengänge der Wirtschaftspsychologie einrichten (Abele-Brehm, 2017).

Die Wirtschaftspsychologie ist eine Anwendungsdisziplin der Psychologie, vergleichbar zur Klinischen Psychologie oder Pädagogischen Psychologie. Eine Anwendungsdisziplin zu sein bedeutet, dass man Methoden und Forschungsergebnisse so einsetzt oder aufbereitet, dass daraus ein praktischer Nutzen erwächst (Kanning, v. Rosenstiel & Schuler, 2013). Dabei greift man zum einen auf Grundlagenfächer– insbesondere Allgemeine Psychologie, Sozialpsychologie, Differentielle- und Persönlichkeitspsychologie – zurück, nutzt zum anderen aber natürlich auch Methoden und Erkenntnisse der genuin wirtschaftspsychologischen Forschung, z. B. zur Personalauswahl oder Gestaltung von Trainingsmaßnahmen. Die Übergänge zwischen Grundlagenfächern und Anwendungsfach sind dabei fließend. Ein gutes Beispiel hierfür liefert die Führungsforschung, die gleichermaßen in der Sozialpsychologie wie in der Wirtschaftspsychologie verankert ist.

Die bisweilen anzutreffende Vorstellung, die Wirtschaftspsychologie sei eine interdisziplinäre Wissenschaft, ist nicht zutreffend und lässt sich weder historisch noch faktisch belegen. Natürlich beschäftigt sich die Wirtschaftspsychologie mit Inhalten, die auch Gegenstand der Forschung in benachbarten Wissenschaften, wie etwa den Wirtschaftswissenschaften oder der Pädagogik sind, dies dürfte heute aber wohl auf nahezu alle Disziplinen zutreffen. Sehr oft gibt es über die Grenzen einer Wissenschaft hinwegreichende Forschungsgegenstände, die man mit anderen Wissenschaften teilt, ohne dadurch seine eigene Identität verlieren zu müssen oder gar von den Nachbarn vereinnahmt zu werden.

Die (Wirtschafts-)Psychologie ist wie jede Wissenschaft durch ihr eigenes Verständnis vom richtigen Weg der Erkenntnis, durch einen bestimmten Methodenkanon, einflussreiche Theorien oder Schulen geprägt. Hierin unterscheidet sie sich von benachbarten Wissenschaften. In der Psychologie bedeutet dies vor allem eine konsequente Orientierung an einem primär quantitativ-empirischen Vorgehen. Pointiert ausgedrückt liegt das historische Vorbild der Psychologie eher in der Physik als in der Philosophie.

Seit rund 140 Jahren hat sich die Psychologie zunehmend von ihren geisteswissenschaftlichen Wurzeln entfernt und folgt einem naturwissenschaftlichen Ideal. Hiernach ist es nicht ausreichend, sich Theorien und Modelle des menschlichen Verhaltens und Erlebens auszudenken, sie argumentativ zu untermauern und Unterstützer um sich zu scharen. Der Erkenntnisgewinn ist vielmehr von einer fundamentalen, empirisch begründeten Skepsis gegenüber der Urteilsbildung des Menschen geprägt.  Wissenschaftliche Erkenntnis verlangt daher nach…

Professor Uwe Peter Kanning, Diplom-Psychologe, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück.

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