Ohrenform, Sternzeichen, Sprachanalyse oder Typentests – fragwürdige Verfahren bei der Bewerberauswahl sind noch immer verbreitet – auch zum Schaden vieler Unternehmen.
Stellen Sie sich vor, Sie haben sich in einem Unternehmen beworben und erhalten nach dem Vorstellungsgespräch eine Absage per E-Mail. Dort steht als Begründung, dass Ihre kleinen Ohren und Ihr schmales Kinn für wenig Tatkraft sprechen und in dem Team die Leistungsträgerinnen und -träger das Sternzeichen Skorpion oder Waage haben und Sie daher nicht gut harmonieren. Außerdem habe die Analyse Ihrer Schriftprobe gezeigt, dass Ihre Gewissenhaftigkeit nur schwach ausgeprägt sei. Summa summarum passt es daher leider nicht.
Vielleicht schmunzeln Sie jetzt, aber unseriöse Verfahren werden eingesetzt, obwohl sie keine validen – also fundierten – Aussagen über die Eignung eines Bewerbers machen. Leider wird es nur langsam besser.
In der Personalauswahl verlassen sich viele Menschen auf ihre Intuition und nutzen Hilfsmittel mit fragwürdiger Qualität. Mögen einige Verfahren offensichtlich absurd sein, sind andere schwieriger als Bullshit zu enttarnen. Zwei Klassen von Verfahren sollten für alle mit einem Anspruch an Professionalität nicht mehr zum Einsatz kommen:
Die Bullshitverfahren: Finger weg von den völlig absurden Verfahren wie Astrologie, Graphologie, Namenspsychologie oder Gesichterlesen/Physiognomik. Die Studienlage ist eindeutig. Ihre Behauptungen sind empirisch nicht belegt und theoretisch nicht fundiert.
Die Pseudoseriösen: Weit verbreitet sind Verfahren, die auf den ersten Blick vermeintlich wissenschaftlich fundiert sind und eine Illusion perfekter Diagnostik vermitteln. Das betrifft zum Beispiel die Sprachanalyse durch künstliche Intelligenz, das Neurolinguistische Programmieren (NLP) und die typologischen Persönlichkeitstests, die oft auf den Annahmen von Carl Gustav Jung basieren. Diese Verfahren halten einer kritischen Analyse nicht stand, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht so leicht zu bewerten sind. Aber auch hier gilt: Der angebliche Nutzen lässt sich nicht überzeugend durch empirische Studien belegen.
Was ist zu tun? Bringen Sie Ihren Führungskräften grundlegende Kenntnisse im Bereich Persönlichkeitsdiagnostik bei und stellen Sie sicher, dass im Personalbereich eignungsdiagnostisch qualifizierte Menschen arbeiten. Die Personalpsychologie hat zahlreiche Instrumente entwickelt und Erkenntnisse gewonnen, wie man diagnostische Aufgaben im beruflichen Kontext professionell lösen kann.
Dann können Sie auch den Dunning-Kruger-Effekt vermeiden: Denn je weniger Ahnung ein Entscheidungsträger von einem Thema hat, desto stärker überschätzt er seine Kompetenzen und desto selbstbewusster trifft er Fehlentscheidungen. Dabei unterliegt jeder Mensch verschiedenen Verzerrungen seiner Wahrnehmung. Evolutionär ist es uns in die Wiege gelegt, dass wir möglichst schnell zwischen Freund und Feind unterscheiden können. Daher haben wir schnell eine Meinung, einen ersten Eindruck oder ein Bauchgefühl. Finde ich die Person sympathisch oder nicht? Wirkt sie intelligent und motiviert?
Doch die Einschätzung der Persönlichkeit und der Kompetenzen in Bezug auf konkrete Anforderungen und den künftigen Erfolg, ist alles andere als leicht. Wer seine Mitarbeitenden im Personalbereich qualifiziert, stellt zudem sicher, dass er sich auch rechtlich korrekt verhält. Also Finger weg von absurden und fragwürdigen Verfahren in der Personalauswahl. Sie liefern nur scheinbar valide Ergebnisse und führen leicht zu Fehlentscheidungen.
Und die wiederum gefährden den Erfolg eines Unternehmens. Denn der basiert zum großen Teil auf den Kompetenzen seiner Mitarbeitenden. Es kommt also darauf an, dass Führungskräfte und Beschäftigte im Personalbereich in der Lage sind, die richtigen Menschen auszuwählen und die dafür benötigten diagnostische Kompetenzen haben. Das zahlt sich langfristig auch finanziell aus. Denn Unternehmen, die bei der Personalauswahl fundierte Entscheidungen treffen, haben bessere Chancen, sich im Wettbewerb zu behaupten.
Head of Human Resources Management, DocCheck AG