New Work – Weder Geheimwaffe noch Allzweckmittel

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Der Begriff New Work wird längst inflationär eingesetzt.  Doch was davon taugt wirklich? Und passt das Konzept überhaupt für jedes Unternehmen?

Es war einmal in einer Galaxis, weit, weit entfernt… Praktisch jeder kennt diesen Eingangssatz aus „Krieg der Sterne“, dem weltweit erfolgreichsten Märchenmythos um das Galaktische Imperium, die Jedi und ihre Rebellion. Im Grunde ist es die uralte Geschichte zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen der hellen Seite und der dunklen Seite der Macht.

Auch heute findet scheinbar ein solcher Kampf statt, wenn auch ungleich kleiner und höchst irdisch. Es geht um New Work, um seine „guten“, sozialkritischen Wurzeln und seine „bösen“, oberflächlichen Business-Varianten. Der mythische Urvater, der Philosoph Frithjof Bergmann, kann nicht mehr handlungsleitend in den Streit eingreifen; er ist mittlerweile alt und gesundheitlich angegriffen. Es bleiben ihm rare Interviews und noch rarere Live-Auftritte wie bei der XING New Work Experience 2017 in Berlin, wo er die versammelte New-Work-Prominenz charmant, aber deutlich für die Verunstaltung seines Konzepts kritisierte.

In der Szene höchst umstrittene PR-Stunts wie die Umbenennung der Xing SE in New Work SE machen die Sache nicht besser. „Vereinnahmung und Verunstaltung des Konzepts“ rufen die einen. „Ehrliches Bekenntnis zur eigenen Philosophie“, hält Xing dagegen. Wie man es auch dreht und wendet: New Work steht in einem intensiven Spannungsfeld zwischen seinen sozialrevolutionären, kapitalismuskritischen Wurzeln und der Hybris von Beratern, die auf alles „New Work“ kleistern, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist. Und manche der Produkte und Dienstleistungen, die im Markt feilgeboten werden, haben tatsächlich nichts mehr mit dem Grundgedanken von New Work aus den 1980ern zu tun, wie ihn Frithjof Bergmann (2004) formuliert hat.

New Work – eine Geschichte voller Missverständnisse

Zunächst muss man sich in aller Klarheit vor Augen halten, dass New Work niemals für die Wirtschaft oder Unternehmen gedacht war. New Work wurde als Gesellschaftskonzept entworfen. Bergmann hielt das Lohnarbeitssystem für krank und stellte unter anderem die Forderung auf, die Menschen sollten nur noch maximal zwei Tage die Woche für Geld arbeiten. Den Rest der Zeit sollten sie einer Tätigkeit nachgehen können, die sie „wirklich, wirklich wollen“ – eine persönlich befriedigende Arbeit, die den eigenen Stärken und Bedürfnissen entspricht. Finanziert werden sollte ein solches Arbeitssystem von einer nachhaltigen Wirtschaft des minimalen Kaufens, von regionalen Versorgungsgemeinschaften und von massiv digitalisierten Produktionsprozessen. Das Grundeinkommen, wie es heutzutage von einigen New Work-Vertretern diskutiert wird, lehnte Bergmann übrigens ab.

Es ist kein Wunder, dass New Work bis vor wenigen Jahren nirgendwo Eingang in die Management-Literatur fand: zu antikapitalistisch, zu radikal, nicht vermittelbar in den Führungsetagen von Unternehmen, die auf Controlling, Betriebswirtschaft und Kostenreduktion getrimmt sind und auf philosophische Konzepte eher spöttisch herabschauen. Erst allmählich dreht sich der Wind: Die Öko- und Klimawandelbewegung schafft ein neues Bewusstsein für nachhaltiges Wirtschaften, die Digitalisierung lässt einige von Bergmanns technologischen Visionen Realität werden, und eine neue Suche nach Sinn in der eigenen Tätigkeit verschafft dem Trend zu Arbeit, die wir „wirklich, wirklich wollen“, neuen Auftrieb.

Doch mit der Akzeptanz von New Work erscheinen die unvermeidlichen Management-Moden. Plötzlich ist alles irgendwie New Work: der Kicker-Tisch, Home-Office, agile Teamarbeit, flache Hierarchien, schicke Apps, Sneakers zum Anzug und so weiter. Die Beraterbranche wittert Morgenluft und New Work an allen Ecken und Enden. Oft steht dahinter kein New Work im eigentlichen Sinn mehr, sondern eben das, was die Unternehmen hören wollen. New Work hat mittlerweile den Status von Pommes frites – die kann man auch an jeder Ecke kaufen. Dieser Zustand hat zwei Nachteile: Erstens gelangen unausgereifte, oberflächliche Produkte in den Markt, die weder dem New-Work-Gedanken noch den Erfordernissen des Unternehmens gerecht werden. Zweitens verlieren Unternehmen mittlerweile komplett den Überblick, wenn es um New Work geht. Überall sprießen Beratungen, Initiativen und Projekte aus dem Boden, die oft nichts außer dem Label New Work verbindet. Das mag auf den ersten Blick vital und sexy erscheinen. Viele Unternehmen werden jedoch durch diese überbordende Vielfalt verwirrt und demotiviert. Sie gehen verloren in der Buzzword-Wüste aus Digital Leadership, Facilitation, Lean Leadership, Holacracy, Open Space, Circle-Organisation, Soziokratie etc. Was wir brauchen, ist Übersicht. Was wir brauchen, ist ein intuitives, verständliches System mit einfacher, klarer Sprache ohne Buzzword-Bingo.

New Work definiert: die New Work Charta

Im Mai 2019 formulierte der Nürnberger Think Tank Humanfy, zu dessen Mitgründern auch der Autor gehört, die New Work Charta, die mittlerweile über 300 Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik unterzeichnet haben. Darunter sind nationale und internationale Professoren, Unternehmensgründer, Entrepreneure, Führungskräfte und Bundestagsabgeordnete. Sie alle eint das Bestreben, eine moderne, klare und soziale Version von New Work voranzutreiben:

  • Begriffsklarheit: Was ist New Work? Und welche Kennzeichen tragen New-Work-Unternehmen? Diese Fragen werden mit der Charta eindeutig beantwortet. New Work als Begriff wird somit für Unternehmen handhabbar und praxisrelevant.
  • Versöhnung des „alten“ mit dem „neuen“ New Work-Begriff: Die Charta versöhnt das alte, sozialrevolutionäre Konzept mit den Bedürfnissen der Unternehmen. Es propagiert Dinge wie soziale Verantwortung, Nachhaltigkeit und Fairness und anerkennt das Wesen von Unternehmen…

    Markus Väth, Diplom-Psychologe, Organisationscoach und Co-Founder des Humanfy Think Tank in Nürnberg

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