Emotional motivierte Aufmerksamkeit hängt vor allem von der emotionalen Intensität der Zielreize ab. Ob sie positiv oder negativ sind, spielt eine geringere Rolle, wobei negative Reize generell mehr Aufmerksamkeit bewirken – auch weil sie öfter überraschend sind.
Wenn etwas unsere Emotionen weckt, dann schenken wir dem automatisch mehr Beachtung. Das wird durch eine Vielzahl psychologischer und neurowissenschaftlicher Studien bestätigt. Weil die menschliche Aufmerksamkeitsspanne sowohl in ihrer Dauer als auch räumlich begrenzt ist, gibt es dabei einen Wettstreit darüber, welche Dinge in unserer Umgebung und in unserem Inneren wir beachten. Manches verdient unsere Aufmerksamkeit, weil es für die Verfolgung und Erfüllung einer Aufgabe wichtig ist. Anderes beachten wir, weil wir es spontan interessant und spannend finden, weil es uns berührt und emotional fesselt.
Woher kommt diese emotionale Aufmerksamkeitslenkung oder – wie Fachleute sagen – „emotional motivierte Aufmerksamkeit“? Und was verleitet uns spontan besonders zum Hingucken oder Hinhören? In der menschlichen Frühgeschichte haben unsere Vorfahren vermutlich solchen Dingen in ihrer Umgebung mehr Beachtung geschenkt, die in irgendeiner Art für ihr Überleben wichtig waren. Sei es, weil sie Gefahr signalisierten oder auch Sicherheit und Wohlbefinden verhießen. Das mögen feindliche Artgenossen, wilde Tiere, aber auch Nahrungsquellen und Gelegenheiten zu sozialem Austausch oder zur Fortpflanzung gewesen sein. Nun hat das Leben im modernen Großstadtdschungel nur noch wenig mit dem unserer Vorfahren in der Savanne zu tun. Dennoch sind viele der Mechanismen noch immer bedeutsam: Unser Gehirn reagiert auch heute noch sehr schnell, stark und automatisch auf Signale für Gefahr oder Gelegenheiten zur Bedürfnisbefriedigung. Das können beispielsweise Bilder von gefährlichen Tieren, ärgerlichen Mitmenschen, aber auch Babyfotos, glückliche Gesichter, erotische Bilder oder Darstellungen von attraktiven Speisen sein. Mit gutem Grund werden viele dieser Dinge regelmäßig in der Werbung verwendet („sex sells“).
Mechanismen emotionaler Aufmerksamkeitslenkung
Was aber machen diese Dinge mit uns? Warum tauchen sie beispielsweise in der Werbung so häufig auf? Die Mechanismen, die dafür sorgen, dass wir von emotional relevanten Dingen in unserer Umgebung gefesselt werden, ähneln in vieler Hinsicht denen, die es uns erlauben, uns bewusst auf etwas zu konzentrieren und unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Aufgaben zu lenken. Wenn Menschen beispielsweise eine Abfolge von Bildern, Gesichtern,
Gesten oder Wörtern, aber interessanterweise auch Konsumgegenstände, betrachten, die unterschiedlich hohe emotionale Bedeutung für sie haben, dann findet man über den Sehregionen des Gehirns schon sehr schnell, nämlich bereits nach etwa 150 Millisekunden stärkere Gehirnreaktionen für die jeweils emotional bedeutsameren Exemplare – auch ohne dass hierfür eine spezifische Aufgabe notwendig ist. Das bloße Betrachten der Reize reicht aus. Für Konsumgegenstände fand beispielsweise eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Münster (Junghöfer et al, 2010) vor einigen Jahren stärkere Gehirnreaktionen auf Bilder von Schuhen bei Frauen und von Motorrädern bei Männern, was gut zum generellen Kaufverhalten der Geschlechter für diese Produkte passt. Die beliebte Frage, ob solche Geschlechtsunterschiede angeboren oder anerzogen sind, kann die Studie allerdings nicht beantworten.
Professorin Dr. Johanna Kißler, Diplom Psychologin und Professorin für allgemeine Psychologie und affektive Neuropsychologie an der Universität Bielefeld