Was Dein Gesicht verrät: Wie wir unsere Mimik und verborgene Körpersignale entschlüsseln

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Um das Beste gleich an den Anfang zu stellen: Dieses Buch ist locker geschrieben, hat durchaus Unterhaltungswert und nicht alles, was hier über Forschungsergebnisse erzählt wird, ist falsch.

Der Autor Dirk Eilert vermarktet sich primär als Experte für die Deutung der Körpersprache – insbesondere der Mimik, sowie als Fachmann für das Thema „Emotionale Intelligenz“ – und natürlich als Coach. Vielleicht sieht er sich sogar als Psychotherapeuten. Jedenfalls spricht er mehrfach in seinem Buch von „Patienten“ – wie etwa einer Trauma-Patientin (S. 23), der er das Leben gerettet haben will – und das ohne Zulassung als Psychotherapeut. Der gelernte Verwaltungsbeamte weist u.a. eine Ausbildung im Neurolinguistischen Programmieren (NLP) auf und fühlt sich diesem pseudowissenschaftlichen Ansatz scheinbar so stark verbunden, dass er auch als NLP-Lehrtrainer tätig war.

Der vorläufige Höhepunkt seiner Bildungskarriere besteht in einem nicht-konsekutiven Master-Studiengang der Wirtschaftspsychologie an einer privaten Fern-Fachhochschule. Dass dieses Studium einen Einfluss auf seine Expertise genommen hat, ist nicht zu erkennen. Schon Jahre vor Beginn seines Studiums der Wirtschaftspsychologie publiziert er einschlägige Ratgeberbücher, gründet eine Akademie und bietet Ausbildungen an. Der Verlag bezeichnet ihn als „führenden Mimik- und Körpersprache-Experten“. Der Maßstab des zugrundeliegenden Wettbewerbs bleibt dabei jedoch leider im Verborgenen.

Sein neustes Werk wirbt damit, die Körpersprache des Menschen zu entschlüsseln. Dies dürfte für viele Leserinnen und Leser ein interessantes Thema sein, zumal es nicht nur um die Körpersprache anderer Menschen, sondern auch um die eigene Körpersprache und deren Wirkung geht. Das Buch von Eilert steht in einer jahrzehntelangen Tradition einschlägiger Ratgeberliteratur. Wer heute in die Suchmaschine eines Internet-Buchhändlers den Begriff „Körpersprache“ eingibt, findet weit mehr als tausend Einträge. Die Konkurrenz ist mithin sehr groß. Da muss man sich schon etwas einfallen lassen, um aus der Masse hervorzustechen. Eilert bedient das Marktsegment für Kunden und Kundinnen, die Wissenschaft noch halbwegs als Autorität anerkennen, selbst aber so wenig davon verstehen, dass man ihnen leicht etwas einreden kann.

Eilert weiß (aus welcher Quelle auch immer) zu berichten, dass Jäger und Sammler die Mimik ihrer Höhlengenossen weitaus besser lesen konnten als die Zeitgenossen des Autors (S. 12). Und genau hier setzt er an und will seine Kundinnen und Kunden wieder auf ein akzeptablen Deutungsniveau heben. Dabei möchte er auch mit Mythen der medialen Falschdarstellung aufräumen. So viel Selbstlosigkeit verdient unseren Respekt. Und als wäre all dies nicht schon genug, erfahren wir, dass der Meister sogar einen gemeinnützigen Verein gegründet hat, der sich dafür einsetzt, Empathie in Deutschland als Unterrichtsfach zu etablieren (S. 22). Danke! Vielleicht schreibt Herr Eilert dann auch gleich noch das Curriculum und stellt seine Bücher als Lehrmaterialien zur Verfügung.

Tatsächlich nimmt er häufig Bezug auf Forschungsergebnisse – allerdings ohne in der Regel die genauen Quellen zu nennen und auch ohne die Größe der Effektstärken der Befunde anzugeben. Dies wäre durchaus wichtig, um die Aussagekraft seiner Empfehlungen einschätzen zu können. Wenn beispielsweise behauptet wird, man könne extrovertierte Menschen an einem starken Schwingen der Arme erkennen (S. 169), stellt sich die Frage, ob wir über einen Zusammenhang von 0,5 oder 80 Prozent sprechen.

Mutig behauptet der Autor, dass sein Werk auf aktuellen Studien basiere und die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft widerspiegele (S. 21). Bisweilen beschleicht den Leser jedoch die Annahme als habe der Autor sein Wissen vor allem aus dem Internet, der Sekundärliteratur oder bestenfalls den Abstracts wissenschaftlicher Artikel gewonnen. In der Folge entsteht ein Text, in dem wissenschaftliche Bezüge in erster Linie als Legitimationsbasis zur Vermarktung der eigenen Überzeugungen und Produkte dienen. Hinzu kommt, dass immer wieder nebulös auf physiologische Prozesse oder Erkenntnisse der Neuroforschung verwiesen wird – eine Strategie, die sich in der neueren Coaching-Szene durchaus häufiger beobachten lässt.  Da wird vom limbischen System, Amygdala, Spiegelneuronen, motorischem Cortex, Hormonausschüttungen, Immunsystem oder Parasympathikus gesprochen. Für Leser ohne einschlägigen Hintergrund liest sich dies wie die Verkündigung der reinen Wahrheit.

Wer sich so stark wie Eilert für die Wissenschaft interessiert, der hat auch ein eigenes Forschungsteam inklusive Forschungsleiter (S. 69, 122). In wissenschaftlichen Fachzeitschriften sucht man die Früchte dieser Forschung jedoch vergeblich. Dennoch entwickelt der Meister zahlreiche eigene Methoden: „FAKT-Methode“, „Modell der vier Wirkfelder“, „RAM-Methode“ und „Flirtquotient“. Böse Stimmen könnten behaupten, dass diese Methoden nicht „entwickelt“, sondern einfach nur ausgedacht seien, und dass sich Erstsemester in einer halbstündigen Kleingruppenübung ebensolche Methoden mit Leichtigkeit ausdenken könnten.

Positiv hervorzuheben ist, dass Eilert bisweilen auf klassische Deutungsfehler hinweist. Dies gilt beispielsweise für die Annahme, dass sich an der Blickrichtung eines Menschen erkennen lässt, ob die Person lügt oder nicht. Ebenso falsch ist, dass verschränkte Arme darauf hindeuten, dass ein Mensch verschlossen sei. Zu Recht, weist Eilert darauf hin, dass zwischen der Wirkung der Körpersprache und den tatsächlichen Empfindungen des Menschen zu trennen ist. Ebenfalls scheint es sinnvoll, nicht einzelne Merkmale isoliert zu betrachten, sondern immer mehrere Merkmale gleichzeitig in den Blick zu nehmen, um sich vor Überinterpretationen zu schützen. Darüber hinaus verweist er darauf, dass es interindividuelle Unterschiede im Ausdruck der Körpersprache gibt.

Leider hält der Meister sich sehr oft selbst nicht an derartige Erkenntnisse. Mehrfach werden einzelne Merkmale unreflektiert als Ausdruck des inneren Erlebens gedeutet. So beobachtet er beispielsweise seine Frau, die einer Videokonferenz folgt und dabei die Augenbrauen hoch- und zusammenzieht. Für ihn ist dies ein zuverlässiges Zeichen ihrer Angst. An anderer Stelle erfahren wir, dass er sich in Coaching-Sitzungen für die Blinzelrate seines Gegenübers interessiert. Steigt die Blinzelrate, so ist dies für ihn ein wichtiger Gradmesser dafür, dass der Klient zum Kern seines Problems vorgestoßen ist. Neben solchen Widersprüchen werden auch falsche Überzeugungen propagiert. Falsch ist es beispielsweise, eine Universalität des Emotionsausdrucks in der Körpersprache zu attestieren. Ebenfalls falsch ist es, seinen Leserinnen und Lesern zu empfehlen, machtvolle Körperposen einzunehmen („High Power Posing“), um mehr Selbstsicherheit zu erlangen.

Bei aller Wissenschaft darf das Menschliche nicht zu kurz kommen und so erfahren wir in jedem Kapitel rührende oder erstaunliche Anekdoten aus dem Leben des Dirk Eilert, die zum einen seine besondere Befähigung und zum anderen die besondere Bedeutung seiner Kunst verdeutlichen sollen. Dabei strotzt der Text vor Selbstverliebtheit. Wir erfahren, dass der Autor eine Radiokolumne hat, in der er die Körpersprache von Prominenten deutet. In einer Fernsehsendung zum Speed-Dating, sagt er treffend voraus, welche Menschen als Paar zusammenpassen. Bei der Dating-Sendung „Der Bachelor“ weiß er schon frühzeitig, wer am Ende das Rennen macht.

Bei der Analyse der Körpersprache des Vorstandsvorsitzenden von Wirecard erkennt er vor allen anderen, dass dieser Mann lügt. Mehr noch, im Bundestagswahlkampf 2017 will er allein auf der Basis der Blinzelrate und der Gestik des SPD-Kandidaten Martin Schulz, dessen Niedergang prophezeit haben. Und natürlich schaut er auch tiefer als jeder Boulevardjournalist auf die Beziehung zwischen den beiden britischen Prinzen William und Harry. Hierzu fokussiert er, wie die Füße der beiden zueinanderstehen. Und siehe da, ohne, dass es sonst jemand geahnt hätte, kommt Eilert zu dem Schluss, dass es zwischen beiden Brüdern Spannungen gibt. Wenn das mal keine überzeugenden Belege sind!

Ja, wer ein Sachbuch schreibt, muss vereinfachen. Wer es jedoch so weit treibt, wie in diesem Buch, der muss sich auch den Vorwurf gefallen lassen, Wissenschaft nur als Marketinginstrument zu missbrauchen. Ja, es gibt weitaus schlimmere Traktate als das Buch von Eilert. Für jemanden, der sich jedoch als „führender Mimik- und Körpersprache-Experte“ feiern lässt und in den Medien so auftritt, als würde er wissenschaftlich abgesichertes Wissen verbreiten, ist dieses Buch nicht mehr als eine Peinlichkeit.

Dirk Eilert: Was Dein Gesicht verrät: Wie wir unsere Mimik und verborgene Körpersignale entschlüsseln. München: Droemer Knauer Verlag München, 2022. 20 Euro.

 

Professor Uwe Peter Kanning, Diplom-Psychologe, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück.

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