Immer mehr Menschen suchen einen Job, der sie erfüllt und ihren größten Talenten entspricht. Doch die zu erkennen, ist nicht so einfach. Eine Methode hilft dabei, ihnen auf die Spur zu kommen.
Karrierethemen liegen im Trend. Arbeit generiert nicht nur ein Einkommen, sondern ist auch Quelle von Sinn und Selbstverwirklichung. Damit sind auch die Erwartungen an die Tätigkeit gestiegen. Karriereberatung oder -coaching, Laufbahnberatung, manchmal auch „Berufungsberatung“, hat sich mittlerweile als Betätigungsfeld für mehr oder weniger qualifizierte Anbieter etabliert.
Einer der Hauptanlässe für den Wunsch nach Beratung ist eine große Unsicherheit bezüglich der eigenen Talente. Um Erfolg, aber auch Freude bei der Arbeit zu haben, möchten Ratsuchende die dazu passende Aufgabe finden. In der klassischen Eignungsdiagnostik geht es meistens darum, aus Sicht des Unternehmens eine möglichst gute Selektion zu treffen. Für die Perspektive von Personen, die ihre Talente herausfinden wollen, gibt es vergleichsweise wenig direkte Ansätze. Viele Verfahren, die zum Beispiel für die Berufsberatung eingesetzt werden, beschäftigen sich eher mit den Interessen als mit Fähigkeiten.
Insofern stellt sich für die Beratung von Ratsuchenden die Frage, wie man sie am besten dabei unterstützen kann, ihre Talente zu identifizieren. Zudem besteht eine große Herausforderung darin, diese für die Klienten auch möglichst verständlich und nachvollziehbar zu machen. Zuletzt geht es darum, mit ihnen Aufgaben zu entwickeln, die wirklich zu ihren Talenten passen.
Die schwierige Suche nach den Talenten
Die Identifikation von Talenten ist bekanntlich ein schwieriges Unterfangen. Zahlreiche Verfahren sollen dabei helfen:
- Tests: Kaum jemand würde vermutlich den Rest seines Berufslebens von einem Test in einer Zeitschrift abhängig machen. Aber auch sonst ist bei Weitem nicht alles, was auf dem Markt angeboten und häufig fälschlicherweise als „Test“ bezeichnet wird, auch ein Test im engeren Sinn und hält den für Psychologen selbstverständlichen Gütekriterien stand. Zahlreiche Verfahren sind oft mehr als fraglich und ihr – oft fachlich unberechtigter – Erfolg beruht vor allem auf der geschickten Vermarktung, meist von Nicht-Psychologen. Während Psychologen während ihres Studiums gelernt haben, Tests zu bewerten, sie entsprechend einzusetzen und angemessen, meist eher kritisch, zu interpretieren, sind die meisten Anwender Laien. Mangels Fachwissens werden „Testergebnisse“ von ihnen daher auch oft deutlich überbewertet.
- Fremdbeurteilung: Das Feedback von Außenstehenden wie Vorgesetzten, Freunden, Kollegen kann Ratsuchenden helfen, die eigenen Talente besser zu erkennen. Die Beurteilung von Mitarbeitern gehört in vielen Unternehmen zu den klassischen Aufgaben von Vorgesetzten. Diese sind natürlich mehr oder weniger begnadet bei der Einschätzung von Talenten oder bei der Reflektion eigener Wahrnehmungsfehler. Dennoch entstehen bei der Befragung von mehreren Personen auch Schnittmengen, die hilfreich für die Selbsteinschätzung sein können.
- Assessment Center: Durch die Simulation jobrelevanter Situationen und Beobachtung „in vivo“ wird versucht, sich ein aufgabenbezogenes Bild von Kandidaten zu machen und eine Eignungsdiagnose erstellt. Abgesehen von der Qualität des Verfahrens und der Qualifikation der Anwender ist hier aber nur die Einschätzung der Eignung in Hinblick auf eine vorgegebene Fragestellung relevant und auch so beabsichtigt. Die Teilnehmer können allerdings Talente haben, die gar nicht abgefragt werden.
- Selbstexploration: In einschlägigen Ratgebern werden zur Anregung der Leser gebetsmühlenartig die immer gleichen Fragen gestellt, zum Beispiel: Was wollten Sie als Kind werden? Was fällt Ihnen leicht? Wofür werden Sie immer wieder gelobt? Damit soll es gelingen, die eigenen Talente herauszufinden.
- Sonstige Angebote: Auf dem Markt tummeln sich natürlich auch Astrologen, Kartenleger, Wahrsager und andere.
Gemeinsam ist all diesen Ansätzen die Einschätzung aus der Außenperspektive, fachlich gesprochen handelt es sich um Fremdbeurteilungsverfahren. Das entscheidende Problem aus der Perspektive der Ratsuchenden ist aber, dass sie in der Praxis oft damit nichts anfangen können, weil die Ergebnisse für sie meist nicht nachvollziehbar sind – selbst, wenn sich später zeigt, dass sie durchaus zutreffend sind. Zwischen der Selbsteinschätzung von Menschen und dem Fremdbild (auf welcher Basis das auch immer entstanden sein mag) können Welten liegen!
Warum Menschen gerade für ihre größten Talente am meisten blind sind
Wenn man Menschen fragt, was sie besonders gut können, nennen sie in der Regel alles Mögliche, nur nicht ihre größten Talente. Manche sind sogar der tiefen Überzeugung, dass sie eigentlich gar nichts können. Das ist einerseits erstaunlich, darüber hinaus aber fatal.
Das Phänomen hat einen ganz einfachen Grund: Die größten Talente fallen Menschen naturbedingt so leicht, dass sie oft noch nicht einmal merken, dass sie überhaupt etwas tun. Sie rutschen ihnen quasi „einfach so“ heraus. Und weil es ihnen so leichtfällt, gehen sie davon aus, dass es gar nichts Besonderes ist und dass alle das können. Genau das ist der Grund, warum Menschen gerade für ihre besten Talente so blind sind.
Zur Erklärung dient ein 4-Stufen-Modells von Kompetenzen, das aus der Lern- und Entwicklungspsychologie stammt und in psychologischen Fachkreisen bisher erstaunlich unbekannt ist:
- Stufe: die „unbewusste Inkompetenz“
Hier wissen die Menschen noch nicht einmal, was sie nicht wissen. Es fehlt ihnen daher grundlegend an Problembewusstsein für ihre eigenen Defizite. Ein Beispiel: Ein bekanntes Foto, auf dem der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl der englischen Queen seine Hand zum Gruß entgegenstreckt – ein peinlicher Fauxpas gegen die Etikette. Auf dieser Stu…
Madeleine Leitner ist Diplom-Psychologin und berät Menschen in beruflichen Umbruchsituationen.