Ärger des Monats: Der Chef im Schlafzimmer
Vor kurzem kam mal wieder eine Jubelmeldung über eine „automatische Headhunting-Lösung für anspruchsvolle Jobs und leitende Positionen“. „Unser Matching-Algorithmus gleicht Karrierewünsche und Stellenbeschreibung anonymisiert ab“, frohlockte das Start-up Instaffo. Damit räume man gründlich auf mit den längst überholten klassischen Personaldienstleistungen und Bewerbungsverfahren.
Nun ist es ja nichts Neues mehr, dass vermeintlich geniale Talent-Software die Personalmanager zunehmend überflüssig machen soll. Endlich Schluss mit der lästigen Personalauswahl. Schluss mit aufwändigen Assessment Center oder teuren Management Audits und eigentlich braucht man wohl bald auch kein Bewerbungsgespräch mehr. Big Data kann alles. Glaubt man den Meldungen der Software-Anbieter, werden also künftig Algorithmen, die natürlich immer streng geheim sind (Geschäftsgeheimnis!), über die Karriere eines Mitarbeiters bestimmen.
So verspricht das Unternehmen Psyware mit Hilfe seines Sprachtests Precire unmittelbare Rückschlüsse „auf Persönlichkeitsmerkmale, die psychische Belastung sowie die anwendungsspezifische Eignung des Sprechenden“ ziehen zu können. Genügt es künftig also, wenn der Kandidat 15 Minuten mit dem Computer spricht?
Bis zu 220.000 Features (wow!) der Sprache und Stimme sollen die Persönlichkeit erfassen. „Das Ergebnis beruht auf der Sprache und der Vermessung der Persönlichkeit“, erklärt der Psychologe Christian Greb. Dabei werde das Sprachprofil auf Zahlenwerte herunter gebrochen, die dann wiederum zu Merkmalen verdichtet werden. „Wenn sich die Schuhgröße in der Sprache zeigen würde, versuchen wir sprachliche Zusammenhänge zu finden, die zu einer Schuhgröße passen“, erklärt der Psyware-Mitarbeiter.
Dabei geht es nicht um die Inhalte des Gesprochenen, sondern um Sprachmerkmale wie audio-prosodische Parameter, Harmonizität und Pertubation. Klingt beeindruckend. Nur kann man Sprache überhaupt genau messen, wenn die Testperson ins Telefon oder gar ins Handy spricht? Gibt es hier nicht viel zu große Verzerrungen? Und ist die Stimme wirklich konstant? Eher nicht. Das weiß, der mal erkältet war oder am Abend zuvor ein paar Gläser zu viel getrunken hat.
„Um bei der Stimmanalyse zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen, muss man unheimlich viel beachten“, warnt Angelika Braun, Professorin für Phonetik an der Universität Trier. Ein Interview per Telefon oder Handy sei daher eine „gefährliche Signalbeschneidung“. „Man weiß nicht mehr genau, was man misst“, so Braun. Kann die Karriere künftig vielleicht nur daran scheitern, dass die Grundlage des Berechnungsverfahrens – und nichts anderes ist ein Algorithmus – schlichtweg Datenschrott ist?
Auch ihren Mitarbeitern sind die Unternehmen dank Big Data längst auf der Spur. In den USA sollen Firmen wie Walmart und Credit Suisse bereits einen Algorithmus nutzen, um herauszufinden, welcher Mitarbeiter sich mit Kündigungsgedanken beschäftigt. Damit lockt auch Carsten Busch, Manager beim globalen Talent-Management-Anbieter Lumesse. Wenn der Mitarbeiter mehrfach sein Profil in Internet-Plattformen ändere oder sich intensiv in bestimmten Postleitzahlenbereichen bewege, schlage der Algorithmus Alarm und der Vorgesetzte könne den Mitarbeiter zum Gespräch bitten, schreibt er. „Predictive Analytics“ heißt das Zauberwort, bei dem der Arbeitgeber manchmal mehr weiß als der Mitarbeiter selbst. Denn der sucht in dem Postleitzahlenbereich vielleicht nur nach einer Wohnung für seine Tochter.
Wie schön, dass der Lumesse-Manager auch noch betont: „Nur wenn Mitarbeiter sich im digitalen Raum frei bewegen dürfen, erfährt man, wo der Schuh drückt.“ Im Klartext: Umso besser kann man sie ausspionieren und überwachen. Dass es gegen den Datenschutz verstößt, den Mitarbeiter zum Beobachtungsobjekt zu machen, stört offenbar keinen mehr.
So schwärmt der ruhelose Ruheständler und Ex-Personalvorstand Thomas Sattelberger auf der Homepage des Start-ups Soma Analytics, deren Smartphone-App sei ein exzellentes Beispiel dafür, wie HR dank Big Data seinen Mitarbeitern bessere Dienstleistungen bieten könne. Die App misst Parameter wie die Stimmhöhe, Schlafqualität und Motorik der Nutzer und soll damit Burnout und Depressionen vorbeugen.
Dabei nützt das Start-up Sensoren im Smartphone und macht es zum Messinstrument. Über das Mikrofon wird etwa die Sprachmodulation beim Telefonieren gemessen, ein Bewegungssensor analysiert den Schlaf. Spezielle Algorithmen werten die Daten aus und sollen zeigen, wie gestresst der Mitarbeiter ist – wobei Zweifel an der Genauigkeit und Validität der Messungen (siehe oben) wohl durchaus angebracht sind. Das Unternehmen bekomme aber nur anonymisierte und aggregierte Daten verspricht der Anbieter. Personalmanager könnten die App dann nutzen, um ein hohes Stresspotential in einer Abteilung frühzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Selbst im Schlafzimmer sind Mitarbeiter heute also nicht mehr sicher vor ihrem Chef.
Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.