Sterben für den Job

In seinem Buch „Dying for a Paycheck“ analysiert Stanford-Professor Jeffrey Pfeffer die gesundheitlichen Folgen von zu viel Stress am Arbeitsplatz und erklärt, warum selbst hoch Qualifizierte im Job oftmals ihre Gesundheit ruinieren.

In ihrem Buch stehen schockierende Zahlen. Laut Schätzungen könnten schlechte Arbeitsbedingungen in den USA für den Tod von 120.000 Menschen pro Jahr verantwortlich sein – was den Arbeitsplatz zur fünftgrößten Todesursache machen würde. Welche Faktoren sind denn besonders belastend?

Laut unseren Schätzungen steht das Fehlen einer Krankenversicherung mit 50.000 Todesfällen an erster Stelle, gefolgt von Arbeitslosigkeit mit 35.000 Fällen und Jobunsicherheit mit 29.000 Fällen. Bei den zusätzlichen Gesundheitskosten pro Jahr verteilt sich das anders. Da stehen hohe Jobanforderungen mit 46 Milliarden Dollar an erster Stelle, die fehlende Krankenversicherung liegt bei 40 Milliarden Dollar.

Dennoch sind auch viele amerikanische Arbeitnehmer vehement gegen eine Krankenversicherung. Können Sie das erklären?

Das verstehe ich auch nicht. Sie verbinden eine Krankenversicherung irgendwie mit sozialistisch und das passt nicht zu den amerikanischen Werten.

Aber letztlich zahlen doch auch die Unternehmen drauf.

Wir befinden uns in einer Situation, in der beide Seiten nur verlieren. Die Arbeitgeber durch kranke und weniger leistungsfähig Mitarbeiter und steigende Kosten und die Mitarbeiter durch ihre ruinierte Gesundheit. Aber in den Diskussionen geht es immer nur um die Gesundheitskosten und nicht um die wahren Ursache, nämlich die schlechten Arbeitsbedingungen wie zu lange Arbeitszeiten, zu wenig Kontrolle im Job und Probleme bei der Vereinbarkeit von Job und Familie.

Und das wollen Sie mit Ihrem Buch ändern?

Ich hoffe zumindest, dass ich damit Diskussionen auslöse und die menschliche Gesundheit stärker in den Focus rückt. Es gibt zwar unzählige Bücher, die den Zusammenhang von guter Führung und Profit thematisieren, aber keines, dass kohärent und konsequent den Zusammenhang von Gesundheit und Profit analysiert.

Also geht es wieder um Profit.

Der enorme Kostendruck aufgrund der steigenden Gesundheitskosten lässt sich nur verringern, wenn man die Arbeitsbedingungen verbessert. Manager müssen einfach begreifen, dass Unternehmen daher mehr Verantwortung für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter haben als der Hausarzt. Die Folgen sind schon heute dramatisch. In den letzten zwei Jahren ist die durchschnittliche Lebenserwartung der Amerikaner erstmals gesunken. Und die Ungleichheit steigt. Und zwischen den wohlhabenderen und ärmeren Landkreisen gibt es einen Unterschied von 20 Jahren bei der Lebenserwartung.

Das lässt sich aber nicht mit Europa und Deutschland vergleichen.

Natürlich gibt es hier einen ganzen anderen Rahmen. In vielen Ländern gilt der Schutz jedoch vor allem für Festangestellte. Aber es gibt immer mehr Menschen, die nur noch befristete Verträge haben. Überall steigt der Druck und immer geht es darum, dass mehr Schutz die Unternehmen weniger effizient macht. Europa bewegt sich in viele Aspekten in dieselbe Richtung wie die USA.

Welche Rolle spielt die zunehmende Digitalisierung?

Mit der künstlichen Intelligenz wird alles noch viel schlimmer. Einmal werden viele Jobs verloren gehen. Es entsteht also wirtschaftliche Unsicherheit, was ein enormer Stressfaktor ist. Die sogenannte Gig-Economy mit kurzfristigen und zeitlich beschränkten Job ermöglicht zudem keine Planbarkeit mehr. Man weiß nicht, wann und wieviel Arbeit man hat. Und das ist schlecht für die Gesundheit.

Werden Mitarbeiter damit auch immer schneller ersetzbar?

Die Wegwerf-Mentalität ist bereits sehr verbreitet. Das gilt selbst für hochqualifizierte IT-Experten im Silicon Valley zum Beispiel in der Game-Industrie. Die rackern sich fast zu Tode, bis ein Spiel fertig ist. Danach wird ein neues Team zusammengestellt.

Warum gehen hoch qualifizierte Menschen zu Unternehmen, die – wie zum Beispiel Amazon – bekannt für ihre schlechten Arbeitsbedingungen sind?

Prestige und Status. Wer dort einen Job bekommt, wähnt sich in der Elite. Und kaum einer kann sich dann eingestehen, dass ihn der Job krank macht. Noch dazu, wenn er erfolgreich ist. Damit spielen die Unternehmen sehr geschickt: Wir sind die Besten und wenn du deinen Job bei uns nicht schaffst, gehörst du auch nicht zur Elite.

Man sollte sich also nicht von dem Image einer Firma blenden lassen.

Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem Prestige einer Firma und der Art, wie sie ihre Mitarbeiter behandelt. Das sollte jeder bei seiner Jobauswahl berücksichtigen. Denn ist man erst einmal drin, verhindern nicht nur wirtschaftliche Gründe, sondern oft auch psychologische Fallen, dass man rechtzeitig wieder aussteigt. Auch erfolgreiche Topmanager sind nicht immun gegen die zerstörerischen Wirkungen von zu viel Arbeitsstress und verlieren schnell die Kontrolle über ihren Job und ihr Leben.

Was kann ich tun, wenn mich der Job krank macht?

Am besten kündigen. Wenn das nicht geht, sich möglichst viel soziale Unterstützung durch Freunde suchen.

Sie plädieren für mehr menschliche Nachhaltigkeit. Was bedeutet das?

Unternehmen kümmern sich heute oftmals um die Umwelt und die gefährdeten Polarbären. Das ist natürlich richtig und gut. Aber sie sollten sich auch mehr um die menschliche Nachhaltigkeit kümmern. In vielen Unternehmen wird der Garten besser gepflegt als die eigenen Mitarbeiter.

Das Interview führte Bärbel Schwertfeger

Jeffrey Pfeffer ist Thomas D. Dee II Professor für Organizational Behavior an der Graduate School of Business der Stanford University, wo er seit 1979 lehrt. Er gilt als Querdenker unter den weltweit führenden Management-Vordenkern. In seinem letzten Buch „Leadership BS“ (BS steht für Bullshit) kritisierte er Leadership-Branche, die mit ihren Büchern, Seminaren und Beratern egoistische und selbstherrliche Manager fördert.

Jeffrey Pfeffer: „Dying for a Paycheck“, Harper Business, New York 2018, 258 Seiten, 19,99 Euro (Englisch).

Bärbel Schwertfeger ist Diplom-Psychologin, seit 1985 freie Journalistin und Chefredakteurin von WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE.

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