Von Nudging und Doppelhaken: Wie IT-Konzerne unsere Aufmerksamkeit fesseln

Pixabay Pete Linforth

Warum verbringen wir immer mehr Zeit online? Was bedeutet das für unsere mentale Gesundheit? Und wie verändert uns die tägliche Auseinandersetzung mit digitalen Inhalten psychologisch und neurobiologisch?

Niemals war es einfacher und kostengünstiger, über weite Distanzen zu telefonieren, Kontakt mit Freunden aufrecht zu halten oder den Weg in unbekannten Gegenden zu finden. Diese Errungenschaften sind auch von zentraler Bedeutung für das moderne Arbeitsleben, dashohe Anforderungen an das Individuum im Hinblick auf Leistungsbereitschaft, aber auch Mobilität und Flexibilität legt.

Das hat zuVeränderungen in vielen Bereichen geführt. Die große Menge an E-Mails, die viele von uns beruflich täglich erreicht, stellt genauso ein Problem dar, wie die geforderte Geschwindigkeit, mit der Arbeitnehmer auf einkommende E-Mails reagieren sollen. Zusätzlich hat das mobile digitale Büro dafür gesorgt, dass Arbeit und Freizeit mehr und mehr verschmelzen. Arbeitsfreie Rückzugsorte sind in vielen Fällen nicht mehr gegeben.

Das „Gratismodell“des Silicon Valley

Der durchschnittliche Smartphone-Nutzer verbringt pro Tag etwa zweieinhalb Stunden mit seinem Gerät (Montag, 2015), was deutlich mehr als ein Arbeitstag pro Woche ist. Im Zeitalter der Aufmerksamkeitsökonomie stellt die eigene verfügbare Zeit ein hohes Gut dar. Tatsächlich wird unsere wertvolle Zeit von vielen digitalen Applikationen absorbiert und könnte zweifelsohne oft besser angelegt werden, sei es um sich weiterzubilden oder Zeit mit der Familie zu verbringen.

Dennoch fällt es vielen Nutzern schwer, sich von dem eigenen Smartphone und den darauf befindlichen digitalen Plattformen zu lösen. Die Gründe sind nicht nur in einer gering ausgeprägten Selbstregulation der Nutzer zu suchen, sondern auch in ausgeklügelten Mechanismen, die Firmen aus dem Silicon Valley gezielt einsetzten, um die Nutzer möglichst lange auf ihren Plattformen zu halten.

Viele Unternehmen haben sich an die Gratismentalität im Internet angepasst, indem sie ihren digitalen Service scheinbar kostenlos anbieten. In der Tat kostet es erstmal nichts, einen Facebook-, Twitter- oder WhatsApp-Account zu haben. Doch ist das nur ein Teil der Wahrheit.Wir überweisen zwar nicht direkt Geld an die Konzerne, aber dafür füttern wir Facebook, Google und Co mit unseren wertvollen Daten. Diese Daten werden für vielerlei Zwecke genutzt, um schlussendlich monetarisiert zu werden.

Um die Nutzer möglichst lange an eine digitale Applikation zu „ketten“, nutzen die IT-Konzerne mehrere Mechanismen. Denn: Mehr Zeit eines Nutzers auf einer digitalen Plattform heißt auch mehr Daten über diese Person für ein Unternehmen.

Freemium-Games auf dem Smartphone

Beginnen wir mit denso genannten Freemium-Games auf dem Smartphone, die Millionen von Nutzern jeden Tag ihre wertvolle Zeitrauben. Freemium ist eine Wortschöpfung aus Free und Premium, bedeutet aber eigentlich „scheinbar kostenlos“. Ähnlich wie bei Facebook & Co ist die Installation des Spiels inklusive der Grundfunktionen gratis. In dem Spiel sind jedoch zahlreiche Mechanismen integriert, die den Nutzer entweder dazu bewegen, einen App-In-Kauf zu tätigen oder für ein weiteres Spielelement mit der eigenen Aufmerksamkeit zu bezahlen. Mit einem App-In-Kauf kann sich der Nutzer eines Spiels beispielsweise neue Leben oder eine bessere Ausrüstung kaufen, um ein Level zu lösen.

Wie sieht das genau aus? Betrachten wir das Spiel „CandyCrush Saga“, das von 2012 bis 2018 stolze 2,73 Milliarden (!) Mal runtergeladen wurde. Schon aus den Nutzungszahlen ergibt sich die Bedeutsamkeit des Spiels und das ökonomische Potential. Bei „CandyC…

Professor Dr. Christian Montag, Diplom-Psychologe, Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm und Visiting-Professor an der University of Electronic Sciences and Technology of China (UESTC) in Chengdu, China.

Diskutieren Sie mit